8 A * * => 4 8 fr = — * in 2010 with funding from University of Toronto . http://www.archive.org/details/dorfundschlossgeO 3 48 1 1 A 5 MARIE VON EBNER-ESCHENBACH Dorf- und Schloßgeſchichten dx 2 5 N De, * H. Fikentſcher Verlag / Leipzig & ı | 1 Textreviſion: Dr. Otto Görner ug Leſer der erſten dieſer Skizzen ſtellten die Frage an mich, ob es denn in vormärzlicher Zeit in Galizien einen jüdiſchen Kreisphyſikus gegeben haben könne? Nun vermöchte ich freilich den Mamen eines ſolchen anzuführen, deſſen Andenken in den weſtlichen Kreiſen, in denen er ſegensreich gewirkt hat, heute noch in Ehren gehalten wird. Aber ich ziehe es vor, eine friſchgebackene Gelehrſamkeit an den Tag zu legen, die ich dem treueſten aller Freunde und liebenswür⸗ digſten aller Juriſten verdanke, und auf das Hof: dekret vom 16. November 1784 hinzuweiſen. Laut deſſen war es jüdiſchen Ärzten in Galizien ausnahms⸗ weiſe erlaubt, Stellen als Kreisphyſici und Stadt⸗ ärzte zu bekleiden. Auch über die in der „Deutſchen Rundſchau“ er⸗ ſchienene Novellette „Die Poeſie des Unbewußten“ hat man eine Erklärung von mir verlangt. Einer ihrer Gönner wollte genau wiſſen, wie die Akten ausſehen, aus denen die Korreſpondenz, um die es ſich handelt, geſchöpft wurde. Nun denn! es waren Kärtlein aus Briſtolpapier, in Kuverts wohlverwahrt. Auf den Kuverts aber prangten reizende Exemplare der ſinnigſten Kunſt⸗ form, die wir der Phantaſie unſres Jahrhunderts ver⸗ danken, des Monogramms. Das Büchlein rüſtet ſich zum Wandern und bittet um einen Reiſeſegen. — Geh nur, ich weiß keinen. Die Freunde, die du nicht ſelbſt dir erwirbſt, haſt du eben nicht. Meine parteiiſche Fürſprache, was ſollte ſie dir nützen? Sprich du, und ich denke: Wie ſonder⸗ bar! man kann ſich ganz durchdrungen fühlen von der ehrlichſten Beſcheidenheit, und doch etwas Unbeſchei⸗ denes tun, zum Beiſpiel — ein Buch herausgeben. Zdißlawitz, 29. Auguſt 1883. +» IO ® wer reispbyfi tus I Doktor Nathanael Roſenzweig hatte eine entbeh- rungsreiche Jugend durchlebt. Was genießen heißt, erfuhr er in der ſchönſten Zeit des Daſeins nicht. Heute hungern und dabei gerade genug erwerben, um morgen weiter hungern zu können: nachts um zwei Uhr ſich zuſammenrollen wie ein Igel und in der Ecke der Kellerſtube den harten, traumloſen Schlaf der Erſchöpfung ſchlafen: erwachen bei dem Gewim⸗ mer der alten Großmutter, die ſich entſchuldigte, daß ſie noch nicht geſtorben ſei, daß ſie ihm noch zur Laſt fallen müſſe: forteilen, um lehrend die Möglichkeit zu erringen, ſelbſt zu lernen — ſo ging es jahraus, jahrein. Erwerben, der Inbegriff all ſeines Dichtens und Trachtens, Geld erwerben, Kenntniſſe, Gunſt, hauptſächlich die feiner Profeſſoren (Mathanael ſtu⸗ dierte Medizin an der Univerſität in Krakau), er⸗ werben um jeden Preis, den der Ehrlichkeit einzig ausgenommen, erwerben und nur ja nichts umſonſt II. hergeben, nicht den kleinſten Teil der eigenen Kraft; keine mitleidige Regung kennen, keine hemmende Rück⸗ ſicht. Seine Großmutter und er, er und ſeine Großmut⸗ ter, machten für ihn die Welt aus, und wie ſeine Welt klein war, ſo waren ſeine Ziele nahe. Das erſte und am ſchwerſten Errungene beſtand in dem Er⸗ ſparniſſe ſo vieler Gulden, daß er und die alte Frau nicht ſofort verhungern mußten, wenn ein unvorher⸗ geſehenes Unglück ſeine Tätigkeit für einige Zeit läh⸗ men ſollte. Als er es erreicht hatte, da fühlte er ſich als Kapitaliſt und tröſtete die Großmutter bei ihrer allmorgendlichen Klage mit den Worten: „Lebe du nur ruhig fort, jetzt kann uns nicht ſo leicht mehr etwas geſchehen.“ Sein raſtloſer Fleiß verminderte ſich nach dem er⸗ ſten Erfolge nicht, er wuchs vielmehr mit der Kraft deſſen, der ihn anwandte. Nathanael wurde ein ſtarker Mann: feine kreuz⸗ ſpinnenartigen Extremitäten kräftigten ſich zu mus⸗ kulöſen Armen und Beinen, die Bruſt wurde breit, die Geſtalt bekam etwas Reckenhaftes trotz ihrer Ma⸗ gerkeit. Sein Auftreten war ſo ſicher, ſein Blick ſo ruhig und klar, ſeine Rede ſo beſtimmt, daß ſchon ſeine erſten Patienten — gar kleine Leute — meinten: „Das iſt ein geſcheiter Herr Doktor!“ Seine grüne Jugend ſah ihm niemand an: er hatte 12 ſich zu lange in Geſellſchaft der Sorge befunden, und wenn er ſie auch bändigte und unterwarf, — daß ſie heimlich an ihm zu nagen fortfuhr, konnte er nicht verhindern. Allmählich kam er in Beſitz eines Rufes, eines be- ſcheidenen, aber eines guten, und dem verdankte er es auch, daß er mit dreißig Jahren ſchon, von Amts wegen, als Phyſikus nach einem der weſtlichen Kreiſe verſetzt wurde. Ein ſicheres Brot von nun an, ein reichliches ſogar nach Mathanagels Begriffen. Er hätte bei der Einrichtung ſeiner Wohnung auf dem Ring der Kreishauptſtadt nicht fo ängſtlich zu knickern ge- braucht, aber er fürchtete übermütig zu werden, wie die meiſten Armen, wenn ſie plötzlich zu Geld kom⸗ men, und gab den Handwerkern wenig zu verdienen. Immer des Wortes eingedenk: „Die Axt im Hauſe erſpart den Zimmermann“, ſchaffte er allerlei Werk⸗ zeuge an und ließ ſich's nicht verdrießen, den Tiſchler und den Schloſſer gleichfalls zu erſparen. Und wenn es auch wirklich ein Graus war, wie die Sachen aus⸗ ſahen, den Doktor beirrte das nicht; der Schönheits⸗ ſinn war bei ihm entweder nicht vorhanden oder nicht ausgebildet. Als die Großmutter, ſteinalt und unbeweglich, ihre Stube nicht mehr zu verlaſſen vermochte, ſich aber doch noch herzlich ſehnte nach dem Anblick einer grü⸗ nen Staude, einer blühenden Blume, da wurde der 13 Herr Doktor ein Gärtner, und bald ſahen die Yenfter ſeiner Wohnung aus wie die eines Treibhauſes. Die Greiſin litt manchmal an Rückfällen in ihre ehemalige Schwachherzigkeit, doch äußerte ſich dieſe jetzt in andrer Weiſe. „Wenn ich nur nicht zu früh ſterbe“, ſagte die Neunzigjährige. „Ein Begräbnis iſt gar zu koſt⸗ ſpielig!“ Nathangel tröſtete fie liebreich: „Stirb ja nicht, Großmutter, du würdeſt mich um den Lohn aller Mühen betrügen, die ich um deinet⸗ willen gehabt habe.“ Der Beſitz Nathanaels mehrte ſich im Schranke, die Luſt am Beſitze ſtieg und ſtieg. Pläne, deren Ver⸗ wirklichung dem klugen Manne in ſeiner Jugend als bare Unmöglichkeit erſchienen wären, erwog er nun mit der Zuverſicht bevorſtehender Erfüllung. Seine ärztliche Praxis war ausgedehnt und einträglich. Mach allen Schlöſſern der Umgebung berief man ihn. Der trockene, wortkarge Doktor Roſenzweig, der keinen Widerſpruch duldete, der nie eine Schmeichelei über die Lippen brachte, wurde der Vertrauensmann der Edelleute und, was viel merkwürdiger war, das Ora⸗ kel ihrer liebenswürdigen und feinen Damen und der Freund ihrer Kinder. „— Der Kleine iſt ſchwer krank, aber — Roſen⸗ zweig behandelt ihn.“ „— Den ganzen Tag habe ich 14 in Todesangſt um mein Töchterlein zugebracht — aber jetzt iſt Roſenzweig gekommen.“ Wenn nur Roſenzweig da war, ſo war Hilfe da, und blieb ſie einmal aus, dann hatte Gott eben nicht gewollt, daß ein Menſch ſie bringe. Unter keinen Umſtänden erwies man ſich karg gegen ihn, das hätte niemand gewagt. — Doktor Ro⸗ ſenzweig baut ſich ein Haus, ein Haus aus gebrann⸗ ten Ziegeln; dazu braucht er Geld. Er hat außerhalb der Stadt einen Baugrund gepachtet, und unter ſei⸗ ner eigenen Leitung iſt auf dem ein viereckiger, ein- ſtöckiger Wohnkaſten errichtet worden. Stolz ruht er auf tüchtigen Kellergewölben, hat eine ſteinerne Treppe und ein wetterfeſtes Ziegeldach. Die Fenſterrahmen ſind ſchneeweiß angeſtrichen, die Mauern ſchneeweiß getüncht. Als einzige Zierde der Faſſade prangt ne- ben der Glocke an der Tür das Schildchen der Feuer— verſicherungsgeſellſchaft. Aus den Fenſtern der vorderen Front — ſie liegt gegen Oſten, und ihr erſtes Geſchoß wird von dem Doktor und ſeiner Großmutter bewohnt — hat man eine weite, weite Ausſicht: Himmel und Felder. Frei ſchweift der Blick ins Grenzenloſe. Kein Hügel hemmt ihn, kein Wald bringt einen dunkeln Fleck hervor auf der glatten im Sommer goldig, im Winter ſil⸗ bern ſchimmernden Flur. Jede Handbreit Erde kann von der lieben Sonne durch und durch getränkt wer- 15 den mit lebenweckenden Strahlen. Gibt es einen Schatten, ſo iſt es ein ſolcher, der nicht kühlt, nicht ruht, der keinem Hälmchen die Wärme entzieht, deren es zu ſeinem wunderbar geheimnisvollen Rei⸗ fen bedarf — der Schatten der fliehenden Wolken. Wie oft verfolgt ihn Nathanael aufmerkſamen Auges, ſieht ihn hingleiten über den wachſenden, ſchwellenden Reichtum, den ſie zum Herbſte einheim⸗ fen und zu Schiff auf der Weichſel nach Deutſch— land und nach Rußland bringen und teuer verkaufen werden. Wer ſich doch beteiligen könnte an dieſem großartigen Erwerb, ein Hundertſtel, ach ein Tau⸗ ſendſtel nur von dem Gewinn, den er abwirft, in die eigene Taſche fließen ſähe! Der Doktor fängt an, auf der unermeßlichen Ebene Luftſchlöſſer zu er⸗ bauen, ſo bunt und märchenhaft ſchön, daß er nicht umhin kann, während er ſie baut, lächelnd zu denken: Mahnſt du auch mich einmal, nie angetretenes Väter⸗ erbe — morgenländiſche Phantaſie? Er wendet ſich ab von dem Anblick fremden Reich⸗ tums und will einen Strich gezogen haben zwiſchen dieſem und ſeinem beſcheidenen Eigentum. Das Dok⸗ torhaus wird in fünf Klafter breiter Entfernung von jedem Punkte ſeiner Mauer mit einem Zaun aus or⸗ dentlich zugehobelten Latten umgeben; nach je ihrer zwanzig kommt ein ſtarker, ſpitz zulaufender Pfahl. Aus dem Raume zwiſchen Haus und Zaun wird nach 16 und nach ein kleiner Garten werden; die Einteilung in Blumen- und Gemüſebeete iſt bald getroffen. Kein Schachbrett kann genauer quadriert ſein. „Im nächſten Jahre, liebe Großmutter, wirſt du Roſen und Reſeden unter deinen Fenſtern blühen ſehen“, verſprach Nathanael der Greiſin, und fie er- widerte: „Wenn ich es nur noch erlebe, mein Kind. Aufs Jahr werde ich fünfundneunzig.“ „Weit über hundert mußt du werden!“ rief er eifrig. „Das biſt du mir ſchuldig, denke doch! Wie würde das Vertrauen der Leute zu mir noch ſteigen, wenn es hieße: Seine Großmutter hat er auf mehr als hundert Jahre gebracht. Denn die Leute ſind dumm, liebes Godele*, fie ſchreiben meiner Kunſt zu, was deine gute Natur getan hat. Bleibe du nur fro- hen Mutes, nimm dir nur recht feſt vor, noch nicht zu ſterben. Solange du es dir feſt vornehmen kannſt, wirſt du munter weiterleben.“ Die Greiſin nahm ſich's vor, aber von einer rech⸗ ten Muntkerkeit war nicht mehr die Rede. „Mir iſt jetzt ſo oft,“ ſagte ſie, „als ob dein Groß⸗ vater vor mich träte und zu mir ſpräche wie in ſeiner Todesſtunde: Komm bald! Wir wohnen fo fried- lich beiſammen im Garten Eden, wie wir gehauſt ha⸗ 8 „ Großmütterchen. 17 · ben auf Erden. Komm bald nach, Rebekka!“ ... Da- mals konnte ich nicht folgen dem Rufe meines Ge— liebten, weil du mich haſt zurückgehalten, du armes Würmchen, du ganz verlaſſenes. Von Vater und Mutter zuerſt, und vom Großvater bald darauf. Ja, es war eine ſchreckliche Seuche, die Gott geſchickt hat über ſein Volk im Kazimirz, und nicht gewußt hätte ich, wem ſagen: Sei barmherzig meinem Enkelkind, wenn ich mich nun auch hinlege zu ſterben. So habe ich damals nicht erfüllen dürfen den Wunſch meines Geliebten. Jetzt aber, Nathanael, mein Kind, jetzt aber iſt mir, als ſollte ich ihn nicht länger warten laſſen.“ Solche Reden ſchnitten dem Doktor ins Herz. Mie hatte die zurückhaltende, ſchweigſame Großmutter ähnliche geführt. Ein bedenkliches Zeichen, wenn alte Leute etwas fun, das außerhalb ihrer Gewohnheiten liegt! Der kleinen Veränderung folgt oft nur gar zu bald die unwiderrufliche — die letzte nach. Und noch ein Symptom, das den Doktor beunruhigte. Die Grei⸗ ſin, die ſonſt nie genug Einſamkeit haben konnte, war jetzt nicht mehr gern allein. Sooft Nathanael ſich bei ihr verabſchiedete, ſprach ſie: „Geh denn in Gottes Namen, aber ſchicke mir den Goj , daß er mir Geſellſchaft leiſte und ich doch blik— ken könne in ein menſchliches Angeſicht und nicht im⸗ * Andersgläubiger. 18 mer und immer nur auf die Felder und den Him- mel.“ Der „Goj“ war ein Jüngling von nun achtzehn Jahren, des Doktors Famulus, ſein Diener, ſein Sklave. Des Tages wußte er ſich nicht zu erinnern, an dem der „Wohltäter“ ihm ein gutes Wort ge⸗ gönnt oder ein gutes Kleidungsſtück geſchenkt hätte. Wenn die Röcke und Stiefel Roſenzweigs unbrauch⸗ bar wurden, erhielt der große Junge ſie zur Be⸗ nützung und die Vermahnung dazu, ihnen all die Rückſicht zu erweiſen, die man fremdem Eigentum ſchuldig iſt. Der Doktor ging immer mehr in die Breite, und faſt ſchien es, als ob er kleiner würde. Sein Famulus „verdünnte“ ſich, wie Roſenzweig ſagte, von Tag zu Tag und ſchoß ſpargelmäßig in die Höhe. Wie ihm die Gewänder des Wohltäters ſa⸗ ßen, das kam dieſem ſelbſt entweder erbärmlich oder lächerlich vor — beides mit einem Zuſatze von Ver⸗ achtung. Den Jungen konnte er einmal nicht leiden, ſein Widerwillen gegen ihn war unüberwindlich und ent⸗ ſprang aus dem Gedanken, daß der Findling ſeines Herrn Brot umſonſt oder doch faſt umſonſt eſſe. Vor vier Jahren hatte ihn Roſenzweig von der Straße aufgeleſen, in einer eiskalten herrlichen Win⸗ ternacht. Mit dem Stolze eines Triumphators war er im Schlitten des Grafen W. pfeilgeſchwind da⸗ 19 hingeſauſt. Der Graf felbft hatte ihn bei der Abfahrt ſorgſam in die Pelzdecke gehüllt, in der er ſich ſo behaglich fühlte, und ihm immer wieder gedankt, und immer von neuem Worte geſucht für das Unſagbare — die Glückſeligkeit des Liebenden, dem ſein Teuer⸗ ſtes, das er ſchon verloren gab, wiedergeſchenkt iſt. Gerettet die junge Gräfin, gerettet vom beinahe ſi⸗ cheren Tode durch das Genie, durch die erfinderiſche Sorgfalt des unvergleichlichen Arztes, der an ihrem Krankenlager geſtanden hatte wie ein Held auf dem Schlachtfelde, faſt beſiegt noch den Sieg im Auge, kampfbereit noch im Erliegen, der nicht gewichen war, bevor er ſagen konnte: „Wir haben gewonnen, ſie wird leben!“ Er hatte ſo viele Nächte durchwacht und ſich auf den guten Schlaf gefreut während der Heimfahrt im bequemen Schlitten. Aber ſeine Müdigkeit mußte zu groß ſein, ſie verſcheuchte die erſehnte Erquickung, ſlatt ſie herbeizurufen. Sooft Nathanael die Augen ſchloß, unwillkürlich öffneten ſie ſich wieder und ſchwelgten im Anblick des ſternenbeſäten, mondhellen Himmels und der ſchneebedeckten Ebene, die in wun⸗ derbarer Blankheit erglänzte, gleich einer ungeheu⸗ ren, neugeprägten Silbermünze .. Wieviel Gold ließe ſich erwerben um ſolche Münze? Die Keller des viereckigen Doktorhauſes hätten nicht Raum, ſie zu faſſen, die köſtlichen Barren, die verehrungswür⸗ 20 digen! Berger und Träger allbezwingender Kräfte, gebundene Zauber, aufgeſpeicherte Macht. Was läßt ſich nicht tauſchen um Gold? Unſchätzbares erkauft man damit, das weiß der Mann, der denen, die ihn bezahlen, die Geſundheit wiedergibt. Der Doktor wurde in ſeinem Gedankengange plötz⸗ lich unterbrochen. Das Gefährt ſtand dicht am Gfra- ßengraben ſtill, und der Kutſcher rief: „Herr Doktor! Herr Doktor!" ... „Was gibt es, mein Sohn?“ „Herr Doktor, da liegen zwei Betrunkene.“ „Steig ab und prügele ſie ein wenig durch, damit ſie nicht erfrieren.“ Indes der Kutſcher abſtieg und die Zügel am Bocke verknotete, hatte Nathanael ſich aufgerichtet und vor⸗ gebeugt und ſah einer der auf dem Boden liegenden Geſtalten mit geſpannter Aufmerkſamkeit in das vom Mondenlicht hell erleuchtete Geſicht. Kein Säufer⸗ geſicht, wahrlich! ſondern eines, das Zeugnis gab von ehrlichem Darben und Dulden bis an die Grenze der menſchlichen Kraft. Der arme Teufel hatte, in dem Augenblick wenig⸗ ſtens, kein Bewußtſein feines Elends, er ſchien feſt zu ſchlafen. Als aber der Kutſcher ihn packte und ihn emporzerrte, fiel er ſofort, ſteif wie ein Eisblock, in den Schnee zurück. Jener ſprach: „Der eine iſt ſchon erfroren, Herr Doktor!“ 21 » Roſenzweig ſprang mit beiden Füßen aus dem Wagen und überzeugte ſich bald, daß die Behaup⸗ tung des Dieners richtig ſei. Grimm erfüllte ihn. Da war ihm einmal wieder der Tod zuvorgekommen, den er am meiſten haßte, der nicht durch Krankheit bedingte, durch das Alter herbeigeführte, der Tod, dem der Zufall in die Hand gearbeitet hat, der Tod, der ſeine Beute umſonſt gewinnt, dem ſie dumm und töricht zuteil wird, ohne triftigen Grund. „Sehen wir nach dem andern“, ſagte der Doktor zwiſchen den Zähnen. Der andre ſchlief auch, aber weniger tief. Es war ein Knabe von etwa vierzehn Jahren, dem Toten offenbar nahe verwandt, ſein viel jünge⸗ rer Bruder oder ſein Sohn. Mit dem Feuereifer des Berufs begann der Dok⸗ tor Wiederbelebungsverſuche anzuſtellen, und nach langen Mühen krönte ſie ein ſchwacher Erfolg. Ein kaum ſpürbares Rieſeln war durch des Knaben ſtarre Pulſe geglitten, und wenn es auch ſofort wieder ſtaute, dennoch erklärte der Doktor voll Siegesgewißheit: „Jetzt hab' ich ihn!“ Und er hüllte ihn in ſeinen Pelz, hob ihn in den Schlitten, brachte ihn heim und legte ihn in ſein eige⸗ nes Bett, an dem er das Kind des Elends mit derſel⸗ ben Hingebung bewachte, die er der Herrin im Gra⸗ fenſchloß gewidmet hatte. Am Morgen war der Pa⸗ 22 » tient außer Lebensgefahr, und Roſenzweig konnte nicht umhin, zu ſich ſelbſt zu ſagen: Auch der gerettet, zwi⸗ ſchen zweimaligem Sonnenaufgang zwei! Schmunzelnd ſtreichelte er ſeinen langen Moſes— bart und freute ſich ſeines mächtigen Vermögens. Sein Patient aber erhielt noch am ſelben Tage die Weiſung: „Steh auf und geh.“ „Wohin? Gnädiger Herr Doktor, wohin? Wer nimmt mich ohne meinen Bruder?“ antwortete der Knabe verzweifelnd, und nun trat die Frage heran: Was mit ihm beginnen? Die Papiere, die der Verſtorbene bei ſich gehabt hatte, wieſen ihn aus als den Maſchinenſchloſſer Ju— lian Mierſki, der viele Jahre hindurch als Werkfüh— rer in einer Fabrik in Lemberg gedient hatte. In fei- nem Zeugniſſe hieß es, der vorzügliche Arbeiter habe, zum Bedauern ſeines Dienſtherrn, infolge ſchwerer Erkrankung entlaſſen werden müſſen. Seitdem konnte er nichts mehr verdienen, und ſein Bruder, den er nach dem Tode der Eltern — arme Häusler in einem Dorfe bei Lemberg — zu ſich genommen, nur gar wenig. So gingen, erzählte der Knabe, in Monaten die Erſparniſſe von Jahren hin und wurden aufge— zehrt bis auf einige Gulden, deren Anzahl er genau angab, und die ſich auch richtig im Ranzen des Ver⸗ unglückten vorgefunden hatten. 23 Die Großmutter hörte dem unter Tränen erftaffe- ten Berichte aufmerkſam zu. „Horch, Nathanael, mein Kind“, ſagte fie. „Es iſt nicht recht geweſen von dem Goj in Lemberg, zu entlaſſen den Mann in ſeiner Krankheit, der ihm in Geſundheit gedient hat viele Jahre.“ „Eine Fabrik iſt keine Verſorgungsanſtalt“, erwi⸗ derte Roſenzweig und befahl ſeinem Geretteten: „Sprich weiter.“ Dieſer fuhr fort: „Vor acht Tagen iſt ein Bekannter von meinem Bruder gekommen und hat erzählt, daß es in Kra⸗ kau eine Fabrik gibt wie die unſre, und daß fie uns dort gewiß nehmen werden. Mein Bruder war ſehr froh: „Komm, Joſeph, wir wandern‘, hat er geſagt und hat auf der Reiſe immer gemeint, der lange Mü⸗ ßiggang iſt es geweſen, der ihn nicht hat geſund wer⸗ den laſſen, beim Marſchieren wird ihm beſſer. Auf einmal hat er aber nicht weitergekonnt und hat ſich in den Schnee gelegt, um ein wenig zu ſchlafen.“ „Und du haſt das zugegeben?“ ſchrie der Doktor ihn an. „Weißt du nicht, was einem geſchieht, wenn man ſich bei ſolchem Froſt in den Schnee legt?“ Der Knabe ſenkte ſeine großen Augen, aus denen unaufhörlich Tränen floſſen, und ſchwieg. . —— 24 . „Was foll man anfangen mit einem ſolchen Cha- mer?“ fragte Roſenzweig die Großmutter. Die Greiſin entgegnete: „Laß ihn heute noch ruhen unter deinem Dache. Sei ihm barmherzig. Er iſt eine Waiſe wie du.“ Am nächſten Tage lautete ihr Rat: „Behalte ihn. Unſre Magd wird ohnehin alt und wackelig und kann eine Hilfe brauchen. Behalte ihn und richte ihn ab zu deinem Dienſt. Wer wird es verargen einem großen Mann wie dir, wenn er tut ſich halten einen Famulus?“ So wurde der Findling ein Genoſſe des Doktor— hauſes, und zwar, obwohl Roſenzweig das nicht gel⸗ ten ließ, ein ungemein nützlicher. In den Augen ſei⸗ nes Herrn blieb Joſeph ein „Chamer“, der aus Bü⸗ chern nichts zu lernen vermochte. Mit achtzehn Jah⸗ ren noch las er nicht ohne Schwierigkeit die einfach⸗ ſten Kindergeſchichten. Ihn zur Schule zu zwingen, hatte der Doktor ſchon nach den erſten Monaten auf⸗ gegeben, weil er nur mit Schlägen dahin zu bringen war, und weil ſein Wohltäter nicht immer Muße hatte, ihm die zu ſpenden. Seine mechaniſchen Fertig⸗ keiten hingegen waren groß, und groß der Fleiß, mit dem er ſie ausübte. Auch er pfuſchte in jedes Hand⸗ werk, aber mit beſſerem Erfolg als dereinſt der Dok⸗ kor. * Eſel. 25 In allem, was er unternahm, offenbarte ſich ein Schick, eine Leichtigkeit, ja ſogar ein Geſchmack, der den Pillenſchächtelchen des Doktors ebenſoſehr zugute kam wie den Blumenbeeten im Gärtlein vor dem Hauſe. Immer nur mit Verdruß hörte Nathanael ihn loben, „den Tagedieb, der nichts kann und nie etwas andres können wird als ſpielen.“ Er hatte einmal wieder dieſen Vorwurf ee chen, da entgegnete Joſeph: „Wenn du dich entſchließen könnteſt, Me Felder in deine eigene Verwaltung zu nehmen, würde ich dir beweiſen, daß ich kein Tagedieb bin.“ Der Doktor fuhr auf: „Was ſprichſt du von meinen Feldern? Weißt du nicht, daß ich ein Jude bin und als ſolcher Grund⸗ eigentum nicht beſitzen darf? Weißt du nicht, daß ſogar mein Haus auf fremdem Boden ſteht?“ — Joſeph wurde rot vor Verlegenheit, ſah jedoch dem Doktor vertrauensvoll und offen ins Geſicht und er⸗ widerte: „Du haſt die Felder auf den Namen des Theo⸗ phil von Kamatzki gekauft, aber fie find doch dein.“ „Sag' einmal, mein Junge, woher haſt du dieſe Nachricht?“ fragte Roſenzweig, und höchſt verdäch⸗ tig war die Gebärde, mit der er dabei ſein ſpaniſches Rohr zu ſchwenken begann. Gelaſſen antwortete Joſeph: 26 » „Das iſt kein Geheimnis. Alle Leute wiffen es und gönnen dir die Felder.“ Während dieſes Geſpräches ſtanden die beiden mit— ten auf dem Wege, der ſchnurgerade von der Haus: tür zum Gartenpförtlein führte, zwiſchen zwei fäu- berlich mit Reſeden eingefaßten Roſenbeeten. An den Stachelbeerhecken, die Joſeph längs des Lattenzau⸗ nes gezogen hatte, reiften die erſten Früchte. Was man überblicken konnte an zart entfalteten Salat⸗ ſtauden, an Rüben mit kühnen Federbüſchen, an gelb⸗ lich zwiſchen gekräuſelten Blättern hervorleuchtendem Blumenkohl, an ſchier kriegeriſch behelmten Zwiebel⸗ nachwuchs, an zierlichem Majoran und — utile dulci — als Begrenzung jeglichen Gemüſekarrees an duftendem Lavendel, deſſen kleine Knoſpen zu ſchwel⸗ len anfingen, das war alles ſo kraftſtrotzend und kern⸗ geſund, daß bei dem Anblick jedem Menſchen, beſon⸗ ders aber einem Arzte, das Herz im Leibe lachen mußte. Mit geheimem Wohlgefallen betrachtete Roſenzweig die freundlichen Himmelsgaben und ſagte: „Weil du ein leidlicher Gärtner biſt, bildeſt du dir ein, auch ein Landwirt ſein zu können.“ Damit wollte er abbrechen, beſann ſich aber und fügte hinzu, in⸗ dem er die Spitze feines Stockes mit großer Hart— näckigkeit in die Erde bohrte und dieſe Operation ſcheinbar höchſt aufmerkſam verfolgte: „Ich hätte die Felder nicht — eigentlich mit einem 27 gewiſſen Unrecht — in meinen Beſitz gebracht, wenn ich nicht hoffen dürfte, ſie bald zu Recht beſitzen zu dürfen. Du wirſt wohl wiſſen, daß eine Veränderung der Landesgeſetze bevorſteht, und daß an den größeren Freiheiten, die ſie dem Volke Galiziens gewähren werden, auch die Juden teilnehmen ſollen.“ Joſeph wußte das und hoffte, der Doktor werde die Felder, wenn ſie einmal vor Gott und der Welt ſein Eigentum ſein würden, nicht mehr in Pacht ge⸗ ben, ſondern ſelbſt bewirtſchaften. „Dann wirſt du Ställe und Scheuern bauen müſ⸗ ſen“, ſchloß der Jüngling. „Ich habe dem Architek⸗ ten in der Stadt etwas abgeſehen und die Pläne ſchon fertig.“ „Biſt ein Marr“, ſprach der Doktor, verlangte aber nach einigen Tagen doch die Pläne zu ſehen. Mun, brauchbar waren fie gewiß nicht, doch als merkwürdig mußte man es gelten laſſen, daß der Findling, deſſen Schrift die eines fiebenjährigen Kin⸗ des war, doch ſo nett und ordentlich und vielleicht auch in den Maßen richtig einen Plan zu zeichnen vermochte. Das iſt eben einer von denen, die tanzen können, bevor ſie das Gehen erlernt haben. Es gibt ſolche Käuze. Sie ſetzen uns allerdings manchmal in Erſtaunen; gewöhnlich wird aber nichts aus ihnen. Nathanael, der einen Gedanken, der fein eigenes Wohl und Weh betraf, nie lange verfolgte, ohne die 28 Großmutter zu feiner Vertrauten zu machen, fragte bald darauf bei ihr an, was fie zu einer Selbſtver— waltung ſeiner Gründe ſagen würde. Da zeigte es ſich, daß dieſer Gegenſtand zwiſchen der Greiſin und dem Findling ſchon erörtert worden war. „Du wirſt reich werden wie Laban“, prophezeite die alte Frau. „Über dir iſt des Herrn ſichtbarer Se⸗ gen.“ In dieſem Frühjahr hatte es ſich erwieſen, in die⸗ ſem für Tauſende unſeligen Frühjahr 1845, als die Weichſel aus ihren Ufern trat und in einen ſchlam⸗ migen See verwandelte, was üppig und verheißungs⸗ voll grünende Saat geweſen war. Unaufhaltſam wie ein Gottesgericht waren die Fluten hereingebro⸗ chen, hatten die ernährende Scholle hinweggeſpült und mit ihr das Hab und Gut und die Hoffnung derer, die ſie bebauten. Bis dicht an die Grenze der Felder Nathanaels erſtreckte ſich die Verheerung — vor ihnen zerrannen die Wellen. Vor ihnen waren die Waſſer hinweg⸗ gefahren und hatten ſich auseinandergeteilt, wie ein⸗ ſtens die Waſſer des Roten Meeres, als Moſes gegen ſie den Stab erhob und die Hand reckte auf Gottes Gebot. Und als der Herbſt kam, herrſchte ringsum Hun⸗ gersnot. Hunderte verließen mit ihren Weibern und 29 Kindern die Heimat und wanderten als Bettler, als Tagelöhner, Brot und Arbeit ſuchend, aus. Die Großmutter aber fragte täglich: „Wann beginnt die Ernte? In dieſem Jahre hat der Weizen hundertfachen Wert. Wann kommen die Schnitter?“ Nathanael erwiderte lächelnd: „Bald, ſehr bald. Sie wetzen ſchon die Senſen!“ Indeſſen erlebte die Greiſin die Zeit der Ernte nicht mehr. Sie fiel ſelbſt als überreifes Körnlein in den Mutterſchoß der Erde zurück, bevor ihr Enkel zu ihr hatte ſprechen können: „Die Schnitter kommen!“ Unerhört ſpät und doch zu früh war plötzlich ihr Leben erloſchen. Da lag ſie nun in ihrem ſchmalen Sarge, die alte Rebekka, ein wunderſam ergreifender Anblick. Der Tod hatte ihre gekrümmte Geſtalt geſtreckt, und wei⸗ nend und ſtaunend fragte Joſeph: „So groß war ſie?“ Er fragte aber auch: „So ſchön war ſie?“ Erlöſt von allen Gebreſten, befreit von der Hilf— loſigkeit des Alters, wie majeſtätiſch erſchien ſie nun, in ihrer unendlichen Ruhe, in ihrem untrübbaren Frie⸗ den! Das Lächeln auf dem Angeſicht ſo vieler, die 30 überwunden haben, umſchwebte diefe Lippen nicht. Steinerne Kälte ſprach aus den Zügen, die ein Schim⸗ mer der begeiſterten Liebe und Bewunderung, welche die Gegenwart des Enkels ſtets auf ihnen hervorge- zaubert, noch in der Sterbeſtunde erhellt hatte. Du biſt es nicht mehr! dachte Mathanael, und mit grauſamer Gewalt ergriff ihn das Bewußtſein des erlittenen Verluſtes. Er winkte Joſeph hinweg, er wollte ungeſtört bei feiner Toten bleiben. Am Fußende des Sarges ſte— hend, ſuchte er in dem fremden, veränderten Antlitz der Großmutter das lang bekannte, teure und — fand es nicht. Das einzige ideale Gut, das er beſeſſen hatte, die Zuneigung dieſer alten Frau, war für immer da⸗ hin und er als ein bejahrter Mann — allein. Mit jähem Schreck fiel es ihn an: Zwiſchen dieſer Greiſin und dir liegt eine Generation. Du ſollteſt jetzt hin⸗ gehen können und an der Bruſt deines Weibes um fie weinen und dir Troſt ſchöpfen aus dem Anblick deiner Kinder. Der raſtlos Strebende, der nie zurück-, der nur vorwärtsgeſchaut hatte, nach Zielen, die mit feinen Erfolgen wuchſen, hielt einmal ſtill in ſeinem Laufe, wandte ſich und durchmaß im Geiſte ſeinen ganzen Lebensweg. Viel erreicht! durfte er ſich geſtehen, doch niemals das geringſte ohne einen Gedanken an dich — Großmutter. So freudig ihr Daſein ihn erfüllt und "IE: beglückt hatte, fo ſchmerzlich klaffte jetzt der Riß, den ihr Scheiden verurſachte. Sie hätte ihn nicht verlaſſen ſollen, ſie, deren Mähe ihn über das Schwinden der Zeit — eines Begrif⸗ fes, der dem hohen Alter verloren geht — getäuſcht hatte. „Weiche ab von dem Brauche unſres Volkes“, hatte die Greiſin oft geſprochen. „Heirate nicht zu früh, ſetze nicht Bettler in die Welt. Du kannſt war⸗ ten, mein Kind, du biſt jung.“ Immer hatte er zu dieſer Ermahnung geſchwie⸗ gen; heute antwortete er ihr, die ihn nicht mehr hören konnte: „Ich war dir ſo lange zu jung zum Freien, bis ich mir zu alt dazu geworden bin.“ Alsbald jedoch empfand er den Widerſpruch, den er ihr ins Grab nachgerufen, als einen Frevel. Er trat zu ihr, beugte ſich über ſie, und, was nie ge⸗ ſchehen war, ſolange ſie gelebt hatte, er küßte ihre Hand, küßte ihre Stirn und den für ewig verſtumm⸗ ten Mund, den einzigen auf Erden, von dem er ſich „mein Kind“ hatte nennen gehört. » 32 ° 1 v. Ebner⸗Eſchenbach II a „Sof eph beteiligte ſich als Freiwilliger an den Ernke⸗ arbeiten, und eines Machmittags ſah ihn Rof enzweig, der gleichgültig, als ob die Sache ihn nichts anginge, vorbeiſchritt, hoch oben ſtehen auf einem beinahe völ⸗ lig beladenen Leiterwagen. Behend und kräftig ſchich⸗ tete er die Garben, und dem Doktor fiel es auf, daß der Burſche in der drollig weiten Jacke, die ſeinem Wohltäter als Rock gedient hatte, und in den viel zu kurzen Hoſen doch ein bildſchönes Menſchenkind ſei. Groß, ſchlank und ſtark, weiß und rot im Geſicht, den wohlgeformten Kopf umwallt von leicht gelock⸗ tem blonden Haar, ſein ganzes Weſen Freudigkeit atmend an der Arbeit, an der Mühe, nahm er ſich auf ſeiner ſtolzen Höhe ganz merkwürdig gut aus. Unter den auf dem Felde beſchäftigten Weibern und Mädchen befand ſich auch die Tochter des Päch⸗ ters, dem Roſenzweig die Gründe des Pan Theophil von Kamatzki anvertraut hatte. Ein hübſches, lebhaf⸗ tes Ding, die echte Mazurentochter. Roſenzweig be⸗ merkte, daß die braunen, funkelnden Augen des Mäd⸗ chens und die blauen des Burſchen einander gar oft begegneten, und wenn ſich dann die braunen verlegen ſenkten, wurden ſie von den blauen hartnäckig ver⸗ folgt, ſo hartnäckig, ſo kühn, daß ſie ſich endlich wie⸗ der erheben mußten, mit oder ohne ihren Willen. 2 » Ebner⸗Eſchenbach 33 Die Geringſchätzung, die Roſenzweig für Joſeph hegte, erhielt durch dieſen kleinen Vorgang neue Mah⸗ rung. Ein Menſch, zu ewiger Dienſtbarkeit verurteilt durch die elende Beſchaffenheit ſeines Kopfes, befaßt ſich damit, den eines Mädchens zu verdrehen? Und in welchem Alter? In dem eines Knaben, in den Jah⸗ ren, in denen der Sohn des Doktors ſtände, wenn der Doktor zur rechten Zeit geheiratet hätte. Was er in heroiſcher Selbſtverleugnung ſo lange zu erringen ſäumte, bis er die Hoffnung, es zu erringen, ver⸗ ſäumte, das Glück der Liebe, danach haſchte in ge- dankenloſem Leichtſinn ein von fremden Gnaden le⸗ bender, unreifer Habenichts! Am Abend berief ihn Roſenzweig auf ſein Zim⸗ mer. Das war ein ſo kahles und ungemütliches Ge⸗ laß, daß jeden, der es betrat, fröſtelte — ſogar in den Hundstagen. Die Einrichtung beſtand aus einigen an die Wände gereihten Seſſeln, einem rieſigen, mit weißer Olfarbe angeſtrichenen Schreibtiſch und einem gleichfalls weiß angeſtrichenen, langen und niederen Büchergeſtell, das, einer Gewölbbudel ähnlich, das Gemach in zwei Teile ſchied. In dem kleineren, zu⸗ nächſt den Fenſtern, hielt ſich der Doktor auf, in dem größeren, nächſt der Tür, hatten die Patienten, die ihn beſuchten, zu warten, bis er zu ihnen trat durch einen ſchmalen Raum, der zwiſchen der Wand und dem Büchergeſtell freigeblieben war. Auf deſſen ober⸗ 34 ſtem Brette lagen oder ftanden allerlei Dinge, mit deren gruſelnder Betrachtung die Leute ſich die Zeit des Wartens vertrieben. Sonderbare Inſtrumente, Meſſer und Zangen und feſt verſchloſſene Gläſer, gefüllt mit einer durchſichtigen Flüſſigkeit, in der der galiziſche Inſtinkt ſofort Weingeiſt witterte. Mur war leider das gute Getränk verdorben durch höchſt unappetitliche Gebilde, die darin ſchwammen. Über all dieſe Sachen hinweg rief Roſenzweig jetzt dem eintretenden Joſeph zu: „Sag' einmal, was haſt du mit der kleinen Lu⸗ bienka des Pächters?“ Wie gewöhnlich, wenn ſein Wohltäter ihn ſcharf anredete, wurde der Burſche feuerrot, fand auch nicht gleich eine Antwort. Erſt nachdem Roſenzweig ſeine Frage wiederholt hatte, nahm Joſeph ſich zuſammen und entgegnete halblaut, aber beſtimmt: „Ich hab' ſie lieb.“ „Und — ſie?“ „— Sie hat mich auch lieb.“ Der Doktor lachte bitter und höhniſch: „Das bildeſt du dir ein?“ „Das weiß ich, gnädiger Herr —“ „Wohin ſoll dieſes Liebhaben führen?“ Nun meinte Joſeph, der Doktor habe ihn zum be- ſten, wollte ihn nur ein wenig aufziehen, und erwi⸗ derte ganz munter: 2* 35 „Zu einer Heirat, Herr.“ „Einer Heirat! Du denkſt ans Heiraten?“ „Ja, Herr! und Lubienka denkt auch daran.“ „Sie auch ... Was ſagt denn ihr Vater dazu?“ „Dem iſt es recht, Panie Kochanku“!“ rief Joſeph mit einem Ausbruch überwallender Empfindung und machte Miene, auf dem jedem andern als dem Doktor verbotenen Weg in das Bereich feines Wohltäters gu ſtürzen Der aber erhob ſich gebieteriſch von ſeinem Stuhle und bannte den Jüngling mit einem ſtrengen „Bleib, wo du biſt!“ an ſeinen Platz. In grauſamen Worten hielt er ihm ſeine Armut und ſeine Ausſichtsloſigkeit vor. Ihn empörte der Gedanke, daß dieſer Menſch vielleicht auf ihn ge⸗ rechnet habe, reſpektive auf ſeinen Geldbeutel, und er faßte den Entſchluß, dem intereſſierten Schlingel nach beendeter Erntearbeit die Tür zu weiſen. Vor⸗ läufig wies er ihn aus dem Zimmer und legte ſich mit dem Vorſatz zu Bett, den Pächter am folgen⸗ den Tage ernſtlich zu ermahnen, der Löffelei zwiſchen ſeiner Tochter und Joſeph ein Ende zu machen. Gerade an dieſem Tage jedoch ereignete ſich etwas, das ihn von jedem unweſentlichen und nebenſächlichen Gegenſtand ein für allemal abzog. Er wurde am frühen Morgen zu dem plötzlich er⸗ eber Herr. krankten Sohn einer benachbarten Gutsfrau berufen, konnte die beſorgte Mutter über den Zuſtand des Pa— tienten beruhigen und wäre am liebſten ſogleich wie— der nach Hauſe gefahren. Das geſtattete jedoch die landesübliche Gaſtfreundſchaft nicht. Gern oder un— gern hieß es an einem reichlichen Frühſtück feilneh- men, das im Salon aufgetragen war. Dort hatte ſich eine große Anzahl Schloßgäſte verſammelt, eine Geſellſchaft, dem Doktor wohlbekannt und fo wider- wärtig, als ob ſie aus lauter Kurpfuſchern beſtanden hätte. Anhänger und Anhängerinnen „König“ Adam Czartoryſkis, Konſpiranten gegen die beſtehende gute Ordnung, Schwärmer für die Wiedereinführung der alten polniſchen Wirtſchaft. Die Frau des Hauſes, noch jung, ſchön, enthuſiaſtiſch, ſeit dem Tode ihres Mannes unumfchränkte Herrin der großen Güter, die ſie ihm zugebracht hatte, war die Seele der ganzen Partei und ihre mächtige Stütze. Die unterhielt eine lebhafte Korreſpondenz mit der Nationalregierung in Paris, empfing und beherbergte deren Emiſſäre und verwendete jährlich große Summen für Revolutions⸗ zwecke. Dieſes fanatiſche Treiben mißfiel dem Doktor und entſtellte ihm das Bild der in jeder andern Hinſicht als gute Mutter, als kluge Verwalterin ihres Ver⸗ mögens und als humane Herrin ihrer Untertanen verehrungswürdigen Frau. 37 Mit verdrießlicher Miene nahm er am Teetiſche Platz, aß und trank und ſprach kein Wort, indes Herren und Damen eifrig politiſierten. Ihm war, als ſei er von Kindern umgeben, die, ſtatt Soldaten zu ſpielen, zur Abwechſlung einmal Verſchwörer ſpiel⸗ len. Da legte eine weiße Hand ſich plötzlich auf die Lehne ſeines Seſſels. „Warum ſo verſtimmt, angeſichts des ſchönſten Wunders, mein lieber Doktor?“ ſprach Gräfin Aniela W. zu ihrem Lebensretter. Roſenzweig erhob und verneigte ſich: „Welches Wunder meinen Euer Hochgeboren?“ „Das der Wiedererweckung des polniſchen Rei⸗ ches!“ verſetzte die reizende Frau, und aus ihren Tau⸗ benaugen ſchoß ein Adlerblick, und ihre zierliche Ge⸗ ſtalt richtete ſich heroiſch auf. Der Doktor verbiß ein Lächeln, und ſogleich riefen mehrere Patriotinnen in ſchmerzlicher Enttäuſchung: „Sie zweifeln? O Doktor, — iſt das möglich? Ein ſo geſcheiter Mann!“ „Ich zweifle nicht, meine Damen! Wer ſagt, daß ich zweifle?“ „Ihr Lächeln ſagt es, das ganz unmotiviert iſt, da wir Ernſt machen“, ſprach die Gräfin und kreuzte die Arme wie Napoleon. 38 „Der Augenblick, das fremde Joch abzuſchütteln, iſt gekommen ... Sie dürfen es erfahren, weil Sie ein guter Pole und unſer Vertrauter ſind. Das Zei⸗ chen zum Ausbruch der Revolution wird in Lemberg auf dem erſten Balle des Erzherzogs gegeben wer— den!“ Allgemeines Schweigen folgte dieſer freimütigen Erklärung. Die Verſchworenen waren betroffen über die Eigenmächtigkeit, mit der Aniela über das ge- meinſame Eigentum — den Plan der Partei — ver⸗ fügte. Doch war ſie viel zu liebenswürdig und ſah auch viel zu reizend aus, als daß man ihr hätte zürnen können. Sie trug ein Pariſer Häubchen mit einer Kaskade aus geſinnungstüchtigen rot und weißen Bändern. Den köſtlichen Stoff des Morgenkleides hatte ihr Gemahl von feiner letzten Miſſionsreiſe nach Rußland, aus Niſhnij⸗Nowgorod, mitgebracht, — unter welchen Gefahren! Ach, es war eine ganze Geſchichte .. Heute wurde ſie aber nicht erzählt, am wenigſten in dieſem Augen⸗ blick, in dem es vor allem galt, den üblen Eindruck zu verwiſchen, den die Politikerin auf ihre Umgebung hervorgebracht hatte. „Ihr Kleingläubigen!“ rief ſie, „zweifelt ihr an der Treue und Zuverläſſigkeit eines Mannes, der dem Vaterlande mein Leben erhalten hat?“ 39 Einige junge Herren beeilten ſich zu proteſtieren, und ein alter Schlachtſchitz mit langem, herabhän⸗ gendem Schnurrbart erhob ſein Madeiragläschen, leerte es auf einen Zug und ſprach: „Vivat, Doktor Roſenzweig!“ Die Frau vom Hauſe wiederholte: „Vivat, Doktor Roſenzweig, dem ſo viele von uns ihre eigene Geſundheit und die ihrer Kinder verdan⸗ ken!“ Sie ſtürzte nach dieſem Toaſt den Reſt ihrer ſech⸗ ſten Taſſe Tee hinunter, und ſtatt ſich erkenntlich zu zeigen, brummte der Arzt: „Wie oft habe ich Euer Hochgeboren erſucht, nicht ſoviel Tee zu trinken. Sie ruinieren Ihre Nerven.“ Die ſchöne Feſtgeberin lächelte überlegen: „Guter Gott, meine Nerven! An die werden bald ganz andere Zumutungen geſtellt werden!“ „Ich verſtehe — auf jenem Revolutionsballe!“ „Ja, Doktor! Ja!“ rief Gräfin Aniela dazwiſchen, — „dem Ball, auf dem wir ein welthiſtoriſches Er— eignis inaugurieren!“ „Bei der Mazurka, oder bei der Frangaiſe?“ „Beim Kotillon. Die Damen wählen zugleich alle anweſenden Offiziere. Die Offiziere legen zum Tanz ihre Säbel ab. Die Säbel werden fortgeſchafft. Kaum iſt das geſchehen, ſo werfen ſich die Polen auf die waffenloſen Feinde und machen ſie nieder!“ 40 „Vivat!“ rief der Schlachtſchitz, „alle nieder, ohne Pardon!“ Einige Damen widerſprachen und ſchlugen vor, den Offizieren Pardon zu geben, die ihn verlangen wür— den. Sie zogen jedoch ihren Antrag zurück, als fie be- merkten, daß er Zweifel an der Echtheit ihres Pa- triotismus erregte. „Meine Herrſchaften,“ ſagte Roſenzweig, „dieſer Plan iſt wunderſam ausgedacht, aber ausführen wer⸗ den Sie ihn nicht.“ „Warum?“ rief's von allen Seiten, „was ſoll uns hindern?“ „Ihre eigene Hochherzigkeit, Ihr eigener loyaler Charakter. Edle Damen und edle Herren wie Sie können haſſen, können befehden, aber ſie verraten nicht, und ſie morden nicht.“ „Monſieur!“ entgegnete ein neunzehnjähriges Bürſchlein, das eben aus einer Pariſer Erziehungs⸗ anſtalt heimgekehrt war, „Ihr Argument würde im Kriege gelten, aber es gilt nicht in einer Konſpira⸗ tion.“ „Ganz richtig — weil ja ...“ Dem alten Schlacht⸗ ſchitz war plötzlich eingefallen, daß er jetzt eine Rede halten ſollte; er ſprang auf, ſchlug die Ferſen an- einander und rief nach langer Überlegung: „Vivat, Polonia! Vivat, König Adam!“ Nun erhob ſich in der Ecke des Zimmers eine zit⸗ 241 · ternde, klangloſe Stimme. Wie aus der Tiefe eines Berges kam fie hervor, einem Berge von Geiden- und Schalſtoffen, von Spitzen, Rüſchen und Bän⸗ dern. Die Stimme gehörte der Staroſtin Sulpicia, Großtante der Hausfrau, bei der die hochbejahrte Dame ein ſehr reich mit Butter beſtrichenes Gnaden⸗ brot genoß. „Olga, Duſchenka moja“,“ ſprach fie, „denke vor allem an dein ewiges Heil!“ Mit Schrecken hatte die Schloßdame das leiſe Sinken des Enthuſiasmus ihrer Gäſte wahrgenom⸗ men, indeſſen ſie ſelbſt nach der ſiebenten Taſſe Tee auf dem Gipfel der Begeiſterung angelangt war. Die Greiſin goß mit ihrer Ermahnung Ol ins Feuer. Es ſchlug auch ſogleich lichterloh empor in dem lauten, feierlichen Ausrufe: „Alles für Polen! Mein zeitliches und mein ewi⸗ ges Heil!“ Gräfin Aniela warf ſich, ganz entzückt von dieſer Größe, ihrer Freundin in die Arme, die Herren küß⸗ ten die Hände der Patriotinnen. Einer von ihnen er⸗ bat ſich die Ehre, aus dem Schuh der Hausfrau trinken zu dürfen. Sie geſtattete es aber nicht, aus Rückſicht für den erhabenen Ernſt dieſer Stunde, und der Abgewieſene ſetzte ſich ans Klavier und in⸗ tonierte ein melancholiſches Nationallied. * Mein Seelchen. . 42 . Alle ſchwiegen, alle horchten gerührt, in manches Auge traten Tränen. Die unwiderſtehliche Macht dieſes Geſanges er— griff ſogar einen, der bisher unbeweglich in einer Yen- ſterecke geſtanden und am Geſpräch nicht teilgenom— men hatte. Roſenzweig kannte ihn nicht und war in ange— ſtammtem Mißtrauen geneigt geweſen, ihn feiner auf- fallenden Bläſſe wegen für einen der verſchämten Patienten zu halten, die ſich berühmten Arzten ſo gern auf neutralem Gebiet in den Weg ſtellen, um im Vorübergehen eine Konſultation abzuhalten, für die fie ſpäter das Honorar ſchuldig bleiben. Indeſſen hatte Roſenzweig ſich geirrt. Der Fremde machte keinen Verſuch, in ſeine Mähe zu gelangen, während er ſelbſt nicht mehr vermochte, ſeine Auf— merkſamkeit von ihm abzulenken. Er war ein mittelgroßer, ſchlanker Mann mit blon⸗ dem, dünnem Bart, mit blauen, offenbar ſehr kurz— ſichtigen Augen. Der Eindruck eines ungemein regen Geiſteslebens, den ſeine Züge hervorbrachten, wurde durch die Bläſſe erhöht, die den Doktor anfangs ver- leitet hatte, ihn für einen Kranken zu halten. Doch auch von dieſer Meinung war er bald abgekommen. Krankheit vergeiſtigt nicht, wie die Poeten oft be— haupten, ſie zeichnet vielmehr die Kinder des Stau— bes mit deutlichen Merkmalen ihrer Abkunft. 43 In dem Weſen diefes Mannes aber gab ſich kein Zeichen von körperlicher Mühſal kund. Die Leidens⸗ ſpuren auf ſeiner marmorgleichen Stirn waren durch raſtlos arbeitende Gedanken ausgeprägt worden, und der Schmerzenszug um den jungen Mund durch frühe, ſchwere Seelenkämpfe. Die Geringſchätzung, mit der das Treiben der Geſellſchaft ihn zu erfüllen ſchien, wurde allmählich beſiegt. Die Klänge des ſchö⸗ nen Volksliedes ergriffen und bewegten auch ihn. Eine Empfindung verband ihn mit ſeinen Brüdern! Sehnſucht, leidenſchaftlich heiße Sehnſucht nach dem verlorenen Vaterland. An dieſem Leidensborn hat kein Volk ſich ſo über⸗ ſatt getrunken wie das, aus deſſen Herzen ſolch ein Lied geſtrömt. Es ſingt von dem verirrten Sohne, der heimgekehrt zum Elternhaus, voll Reue und glü⸗ hender Liebe. Zagend ſteht er an der verſchloſſenen Tür und hört die Stimme ſeines Vaters, die nach ihm ruft, und hört das Weinen feiner Mutter Vater! Mutter! ſtöhnt er. Sie antworten: Komm! Erlöſe uns, wir liegen in Banden... Er rüttelt an der eiſernen Pforte, zerpocht ſich die Hände, zerſchlägt ſich die Stirn, ſchon fließt ſein Blut. Vergeblich. Nie wird dieſe Pforte weichen, nie vermag er ſie aus den Angeln zu heben. — Er wird auf der Schwelle verſchmachten. Der Geſang war verſtummt, und die Stille, die 44 ihm folgte, wurde erſt nach einer Weile durch die Wirtin unterbrochen, die ſich erhob, auf den rem- den zuſchritt und leiſe mit ihm zu parlamentieren be⸗ gann. Die ſtattliche Dame machte ſich förmlich klein vor ihrem Gaſt, jede ihrer Mienen bezeugte Ehrfurcht, jede ihrer Gebärden war Huldigung. Sie faltete die Hände und flehte: „Sprechen Sie, o ſprechen Sie zu der Verſamm— lung!“ Die Aufforderung der Hausfrau fand lebhafte Unterſtützung. „Ach ja, ſprechen Sie!“ riefen viele Stimmen durch- einander. — „Es würde uns beſeligen.“ — „Wir wagten nur noch nicht, Sie darum zu bitten.“ — „Aus Beſcheidenheit.“ Alle kamen heran, ſehr freundlich, mit auserleſener Höflichkeit — keiner ohne eine gewiſſe Scheu. Sogar die ſiegesſichere Gräfin Aniela war befangen, und ihre anmutigen Lippen zitterten ein wenig, als ſie ſprach: „Geben Sie uns eine Probe Ihrer wunderbaren Beredſamkeit, von der wir ſchon ſoviel gehört haben. Man ſagt, daß Sie ſteinerne Herzen zu rühren und moraliſch Tote zu den größten Taten zu wecken ver⸗ mögen!“ Der Fremde lachte, und dieſes Lachen war hell und 45 friſch wie das eines Kindes. Unwillkürlich mußte Ro⸗ ſenzweig denken: Du haſt eine unſchuldige Seele. „Wie heißt der Mann?“ fragte er die Hausfrau. Sie errötete und gab mit nicht ſehr glücklich ge- ſpielter Unbefangenheit zur Antwort: „Es iſt mein Couſin Roswadowſki aus dem König⸗ reich.“ Niemals hatte der Doktor von einem berühmten Redner Roswadowſki auch nur das geringſte gehört; aber was lag daran? In Zeiten nationaler Erhebung pflegen ja von heut' auf morgen nationale Größen aus dem Boden zu wachſen. Roswadowſki erwiderte den Blick, den der Arzt auf ihm ruhen ließ, mit einem ebenſo forſchend ge⸗ ſpannten, und ſich leicht gegen ihn verneigend, ſagte er: „Bitten Sie doch Herrn Doktor Roſenzweig zu ſprechen. Er möge Ihnen ſagen, was er von der Re⸗ volution erwartet.“ „Das wiſſen wir im voraus,“ entgegnete Aniela, „wie jeder gute Pole, die Wiederherſtellung des Rei⸗ ches, das allgemeine Wohl!“ „Olga, Duſchenka moja,“ ließ wieder die Groß— tante ſich vernehmen, „ſage deiner Freundin, daß kei⸗ ner ein guter Pole iſt, der nicht ein guter Katholik iſt.“ Ohne auf die Unterbrechung zu achten, fuhr Ros⸗ wadowſki fort: „Das allgemeine Wohl ſoll jedes Beſondere in 46 - ſich begreifen, alfo auch das dieſes Mannes und ſei— ner Glaubensgenoſſen. Warum höre ich keinen von euch, die ihr ſeines Lobes voll ſeid, davon ſprechen, daß ihr die Schuld abzutragen gedenkt, in der wir alle ihm gegenüberſtehen und ſeinem Volke?“ „Ce cher Edouard!“ rief Graf W. und fügte, ſich in den Hüften wiegend, mit ſüßlichem Lächeln, nur vernehmbar für ſeine Frau und für den neben ihr ſtehenden Roſenzweig hinzu: „Er wird immer ver- rückter.“ Auch die Schloßdame war unzufrieden mit dem unerwarteten Ausfall ihres Couſins und erklärte ſehr ſcharf, „in einer Schuld der Dankbarkeit und Ver⸗ ehrung, fühle fie wenigſtens ſich dem vortrefflichen Doktor gegenüber nicht.“ „Und was die Gleichberechtigung aller Konfeſ— ſionen im Königreiche Polen betrifft,“ ſagte Aniela, „ſo iſt ſie bereits im Prinzip feſtgeſtellt. Mit den Modalitäten wird man ſich beſchäftigen. Bis jetzt hatte man aber noch nicht Zeit, auf Details einzu⸗ gehen.“ „Ich falle Ihnen zu Füßen!“ ſprach Roſenzweig. „Um die Sache der Juden iſt mir nicht mehr bang.“ „Ihre Verheißung macht ihn lachen, ſo groß ift fein Vertrauen —“, nahm Roswadowſki wieder das Wort. „Er, deſſen ganzes Leben nur eine Übung im 47 Dienſte der Pflicht gegen uns ift, erwartet von uns — nichts.“ „Herr, wenn ich meine Pflicht nicht täte, käme ich um mein Amt“, fiel der Doktor ein, im Tone eines Menſchen, der einer unangenehmen Erörterung ein Ende machen will. Sein unberufener Parteigänger jedoch entgegnete: „Wenn ich von Pflicht ſprach, ſo hatte ich eine höhere im Auge als die, die Ihr Amt Ihnen aufer⸗ legt. Von Amts wegen ſind Sie ein tüchtiger Kreis⸗ phyſikus, zum Samariter macht Sie Ihr eigenes Herz.“ „Samariter! ... Ich?“ „Jawohl, Sie! Der des Evangeliums pflegte des Sterbenden an der Heerſtraße und übergab ihn dann fremder Hut. Sie haben den Sterbenden, den Sie auf Ihrem Wege fanden, in Ihr Haus aufgenom⸗ men, das dem verwaiſten Chriſtenknaben ein Vater⸗ haus geworden iſt.“ Der Doktor deprezierte: „— Wie man's nimmt“, und dachte im ſtillen ganz grimmig: „Du biſt gut unterrichtet, Lobhudler! Mein Haus ein Vaterhaus für einen ſolchen Chamer!“ Und in dem Augenblick beantwortete ſich ihm eine Frage, die er oft erwogen hatte, die Frage: ob man wohl zwei Gedanken auf einmal haben könne, denn wahrhaftig, er hatte zugleich auch den: ich will 48 dem Chamer, bevor ich ihn wegſchicke, doch einen neuen Anzug machen laſſen. „So hat ein Jude getan“, wandte der Redner ſich an die Geſellſchaft, „aus freiem Willen für einen Andersgläubigen, und was haben wir Andersgläu— bigen jemals aus freiem Willen für einen ſeines Vol— kes getan? Leſet eure Geſchichte und fragt euch ſelbſt, ob ein Jude die Tage herbeiwünſchen kann, in denen in Polen wieder Polen herrſchen?“ Olga und Aniela erhoben Einwendungen; was die Herren betraf, ſo waren die meiſten von ihnen dem Grafen W. in das Nebenzimmer gefolgt und hatten dort an Spieltiſchen Platz genommen. Nur der ehr⸗ würdige Schlachtſchitz und der Ankömmling aus Pa⸗ ris hielten ritterlich bei den Damen aus, und der erſte verſicherte, er habe ſich in ſeiner Jugend auch mit der Geſchichte feines Landes beſchäftigt, darin je⸗ doch niemals andre als glorreiche Dinge geleſen. Jetzt wurde die Tür aufgeriſſen, ein Diener ſtürzte herein und meldete: „Der Herr Kreishauptmann. Er wird gleich in den Hof fahren.“ Die mutigen Damen ſtießen einen Schrei des Ent— ſetzens aus: „Um Gottes willen, der Kreishauptmann!“ Voll Todesangſt ergriff die Hausfrau die Hand ihres Vetters. „Fort! fort! verbergen Sie ſich!“ 49 „Ich denke nicht daran,“ erwiderte er ganz ruhig, „ich bleibe, ich freue mich ſehr, die Bekanntſchaft eines liebenswürdigen Mannes zu machen.“ „Sie bleiben nicht! Sie gehen — weil Ihre Gegen— wart uns kompromittiert“, rief Graf W., der mit beſtürzter Miene in den Salon zurückgekehrt war. Ein Wortwechſel entſpann ſich ... „Doktor! ich beſchwöre Sie, eilen Sie dem Kreis⸗ hauptmann entgegen und ſuchen Sie ihn ſo lang als möglich auf der Treppe aufzuhalten“, flehte die Her⸗ rin des Schloſſes und drängte Roſenzweig zur Tür. „Ich werde tun, was ich kann; ich empfehle mich, meine Herrſchaften!“ antwortete er und verließ den Salon, im Grund der Seele höchlich ergötzt über das Ende, das die Verſammlung der Verſchwörer ge- nommen hatte. Vom Gange aus ſah er den Kreishauptmann ſo⸗ eben in das Haus treten. Ein behäbiger, feiner, mit äußerſter Sorgfalt gekleideter Herr. Der Deckel ſei⸗ nes Zylinders glänzte in der Vogelperſpektive, in der er ſich zuerſt dem Doktor zeigte, wie die Mondes⸗ ſcheibe. Nicht minder glänzte der Lackſtiefel an dem kleinen Fuße, den der Beamte auf die erſte Stufe der niederen Treppe ſetzte, als Roſenzweig bei ihm an⸗ langfe. „Ich habe die Ehre, Euer Hochwohlgeboren zu be— 50 grüßen!“ ſprach der Doktor, feinen Hut feierlich ſchwenkend. „Wie, mein lieber Doktor? Sind Sie es wirklich? Was?“ ſprach der Beamte mit dem gnädigſten Lä— cheln, „auch Sie im Neſte der Verſchwörer?“ „— Herausgefallen, als ein noch nicht flügges Vög—⸗ lein! — Wie befinden ſich Euer Gnaden?“ „Gut. Dank Ihren Ordonnanzen.“ „Und der Pünktlichkeit, mit der Euer Gnaden ihnen nachkommen. Sie ſind ein ſo vortrefflicher Patient, daß Sie verdienen würden, immer krank zu ſein.“ „Sehr verbunden für den chriſtlichen Wunſch .. Entſchuldigen Sie — da habe ich mich verſprochen.“ Und nun kam die Frage, die der Kreishauptmann dem Doktor auch bei der flüchtigſten Begegnung nicht er- ließ. „Aber, mein lieber Doktor, wann werden Sie ſich denn endlich taufen laſſen?“ Auf die ſtehende Frage erfolgte die ſtehende Ant⸗ work: „Ich weiß es noch nicht genau.“ „Entſchließen Sie ſich! Sie ſind ja ohnehin nur ein halber Jude.“ „Ich würde vermutlich auch nur ein halber Chriſt fein.“ „Ohol das ift etwas anderes!“ entgegnete der Be- amte ſtreng. „Wir ſprechen noch davon; jetzt ſagen Sie mir —“ feine Miene blieb unverändert, aber 51 feine kleinen klugen Augen blickten den Doktor durch⸗ dringend an: „Iſt er oben, der Sendbote? Haben Sie ihn geſehen?“ „Welchen Sendboten?“ „Hier im Hauſe wird er als Herr von Roswa⸗ dowſki vorgeſtellt.“ Auf dem Geſichte Roſenzweigs malte ſich ein ſo aufrichtiges Erſtaunen, daß der Beamte ausrief: „Sie ſind nicht eingeweiht! — Nun, ich will Ihnen Ihre politiſche Unſchuld nicht rauben ... Ganz ſchar⸗ mant dieſe Konſpiranten! befonders die Damen. Übri⸗ gens haben wir uns weniger in acht vor ihnen zu neh⸗ men, als ſie ſich ſelbſt vor — andern. Es ballt ſich ein Gewitter über ihren Häuptern zuſammen, von deſſen Aufſteigen ſie keine Ahnung haben. Dieſe harm⸗ loſen Unzufriedenen, die ſich für bedrohlich halten, ſind ſelbſt von ganz anders Unzufriedenen, in ganz anders gefährlicher Weile bedroht.“ Roſenzweig konnte eine Erklärung dieſer Worte nicht mehr erbitten. Auf der Höhe der Treppe er⸗ ſchien ſoeben die Hausfrau, ſtrahlend vor Freundlich⸗ keit, und der Kreishauptmann ſchwebte ihr in zier⸗ lichen Schritten eiligſt entgegen. 52 · III „ eee ließ feinem Kutſcher den Befehl er: teilen, anzuſpannen und ihm auf der Straße nach— zufahren. Er ſelbſt ging zu Fuße voraus und ſchlug bald einen ſchmalen Weg ein, der, die Felder quer durchſchneidend, in der Nähe eines ſteinernen Kreu— zes in die Landſtraße einmündete. Dort wollte er fei- nen Wagen erwarten. Er ſehnte ſich danach, tüchtig auszuſchreiten, friſche, freie Luft zu atmen und den geſunden Erdgeruch ein— zuziehen, der aus den aufgeriſſenen Schollen empor: ſtieg. Nur wunder nahm es ihn, daß er die Wonne und Wohltat, der parfümierten Salonluft und Ge— ſellſchaft entronnen zu ſein, nicht ſo recht zu empfin⸗ den vermochte. Ein tiefinnerliches Unbehagen erfüllte ihn, ein un⸗ beſtimmtes Etwas ging ihm nach, von dem er ſich keine andre Rechenſchaft zu geben wußte, als daß es ſehr quälend ſei. Plötzlich rief er mehrmals ee lauf aus: „Narr! Narr!“ Die Apoſtrophe galt dem, den der Mete e ſoeben einen Sendboten genannt, und die Erinnerung an das unverdiente Lob, das dieſer Menſch ihm ge- ſpendet hatte, das war's, was dem Doktor die Laune verdarb. Jedes Wort, das der „Narr“ geſprochen, 85 jeder Zug feines durchgeiſtigten Apoſtelgeſichts, der Ausdruck der ſchwärmeriſchen Ehrfurcht, mit dem ſeine tiefblauen Augen auf ihm geruht — alles hörte, alles ſah er wieder, und eine zornige Beſchämung er⸗ füllte ihn. Er, der trockene, auf feinen Vorteil bedachte Na⸗ thangel Roſenzweig — ein Menſchenfreund und Sa⸗ mariter? — So einſam er da wandelte auf dem Felde, ihm ſchoß das Blut in die Wangen, daß ſie glühten. Er gedachte all der Hände, die ſich im Verlauf ſeines langen Lebens flehend zu ihm ausgeſtreckt und ſagte ſich: „Nie haſt du geholfen außer im Beruf. Und was wir dem zuliebe tun, tun wir uns ſelbſt zuliebe.“ Seine Schuldigkeit hatte er in ihrem ganzen Um⸗ fang erfüllt; aber Schuldigkeit — es liegt ſchon im Worte — iſt nur ein Tauſch. Mehr als getauſcht hatte er nie. Seine Kraft, ſein Talent, die Früchte feines raſtlos vermehrten Wiſſens gegen den Wohl⸗ ſtand, den er durch ſie erwarb, und gegen die Achtung der Menſchen. So hatte er bisher gehalten und — Nathanael warf den Kopf zurück in ſeinen breiten Nacken — ſo wollte er es auch ferner halten. Möge erſt jeder ſeinem Beiſpiel folgen: Möge dieſe, im Grunde niedere Stufe der Moral erſt von der Mehr⸗ zahl erreicht ſein, dann werden ſie zu Worte kommen, die Idealiſten, die Träumer von einem goldenen Zeit⸗ alter allgemeiner Nächſtenliebe. Früher — nicht! 54 Jetzt hatte er ſich wieder zurechtgefunden und ſchritt rüſtig und ſorglos weiter in gewohnter Seelenruhe. Lange vor feinem Wagen, von dem trotz allen Aus— blickens keine Spur zu entdecken war, erreichte er das ſteinerne Kreuz. An deſſen Fuße kauerte eine kläg— liche Geſtalt. Ein alter Mann, die Knie heraufgezo— gen bis ans Kinn, eine hohe Schafspelzmütze auf dem Kopfe, um die Schultern die Reſte eines blauen Fracks, den vermutlich dereinſt in Tagen ſchlum⸗ mernden Nationalgefühls der verewigte Gutsherr ge— tragen. Die mageren Beine des Greiſes wurden von einer ausgefranſten Leinwandhoſe umſchlottert und be— fanden ſich, wie ſein ganzer kleiner Körper, in einer unaufhörlich zitternden Bewegung. Als der Doktor ſich ihm näherte und ihn anſprach, erhob er langſam, mühſam das juchtenfarbige, fal- tige Geſicht und blickte aus halberloſchenen, rot um— ränderten Augen mit dem demütigen Leidensaus⸗ drucke eines alten Jagdhundes zu ihm empor. „Was fuft du hier?“ fragte Roſenzweig. „Ich warte, mein gnädiger Herr, ich bete und warte,“ antwortete der Angeredete und ſtreckte ſeine knöcherne Rechte aus, an deren Fingern ein vielge- brauchter Roſenkranz hing, „ich warte immer auf einen Brief von unſerm lieben Herrgott.“ „Was ſoll denn unfer lieber Herrgott dir ſchrei— ben?“ 55 „Daß ich zu ihm kommen darf; 's iſt ja hohe, hohe Zeit.“ „Wie alt biſt du?“ „Siebzig, nicht mehr. Aber wie ich ausſehe und wenn Euer Gnaden wüßten, wie mir iſt. Da —“ er klopfte auf ſeine eingefallene pfeifende Bruſt — „kein Atem. Jeden Tag meine ich, ich ſterbe auf dem Wege, ich erreiche das Kreuz nicht mehr.“ „Warum bleibſt du nicht zu Hauſe?“ Der Alte öffnete die Arme mit einer unbeſchreib⸗ lich hilfloſen Gebärde! „Sie jagen mich ja hinaus, die Tochter, der Schwiegerſohn, die Kinder. Nun ja — ſie haben ſelbſt keinen Platz in der kleinen Scha⸗ luppe.“ „Wem gehört die Schaluppe?“ „Der Tochter. Ja, der Tochter. Ich habe ſie ihr zur Ausſteuer geſchenkt.“ „Ein Schürzenvermögen alſo!“ ſpöttelte der Dok⸗ tor. „Und jetzt jagt ſie dich aus dem Haus, das du ihr geſchenkt haſt?“ „Mein Gott, was ſoll ſie tun? Der Schwieger⸗ ſohn prügelt ſie ohnehin, weil ich ſo lang lebe. Der Schwiegerſohn ſagt zu den Kindern: „Kinder, betet, daß der Großvater bald ftirbf.‘ — Ja!“ „Du haſt da einen ſauberen Schwiegerſohn.“ „Mein Gott, Herr, die Leute ſind ſchon ſo. Solche Herren wie du wiſſen nicht, wie die Leute ſind. Es gibt noch viel, viel ärgere im Dorf. Beſonders jetzt in dieſer Zeit.“ Er ſenkte die keuchende Stimme. „Weh allen Panowies und Panies, die das nächſte Jahr erleben!“ „Warum denn? Was meinſt du damit?“ „Oh, die armen Herrſchaften! Die Armen, Armen!“ wimmerte der Greis und begann bitterlich zu weinen. „Alles wird man ihnen wegnehmen, und erſchlagen wird man ſie auch.“ Der Doktor fuhr auf: „Du biſt nicht bei Troſt!“ Nun begann der andre die Hände zu ringen: „Auch du antworteſt mir ſo? Das iſt ein Unglück! Ach, das iſt ein Unglück! ... So hat der Herr Pfar- rer mir geantwortet, wie ich in der Beichte ausge- ſagt habe, was ich weiß, ſo hat der Herr Mandatar mir geantwortet, und der Herr Verwalter hat gar gedroht, mich auf die Bank legen zu laſſen, wenn ich ſolche Sachen rede...“ Er richtete feinen unſicher ſuchenden Blick auf den Doktor: „Biſt auch du mit ihnen einverſtanden?“ „Einverſtanden — ich? mit wem? .. Sag' al⸗ les!“ befahl Roſenzweig. „Was wird ums neue Jahr geſchehen?“ „Männer von jenſeits des Meeres werden kom— men und werden alle adeligen Beſitzungen unter die Bauern verteilen.“ — Auch die des Pan Theophil Kamatzki. — War⸗ . 57 . tet, Kanaillen! dachte der Doktor und ſprach: „Was wird denn die Regierung dazu ſagen?“ „Die Regierung? Ach! Jeſus! Von der Regie⸗ rung aus iſt im vorigen Frühjahr ſchon alles Land vermeſſen worden, damit die fremden Männer wiſ⸗ ſen, wie geteilt werden ſoll.“ Roſenzweig brach in ein ſchallendes Gelächter aus: „O! dieſes Volk!... Seit fünfzig Jahren ver⸗ kehre ich mit dieſem Volk, aber die Wege ſeiner Dummheit habe ich noch nicht erforſcht ... Alter! die Vermeſſungen hat der Kaiſer vornehmen laſſen, weil er wiſſen will, wie groß ſein Galizien iſt, und wieviel Steuern es ihm zahlen kann.“ Ungläubig wackelte der Greis mit dem Kopfe: „Das wiſſen wir beſſer, verzeih. Der Kaiſer nimmt den Herren, die gegen ihn ſind, das Land und ſchenkt es den Bauern, die für ihn ſind. Dann wird es gut fein, glauben die meiſten ... Ich glaube, daß es ſchlecht ſein wird. Jeden Tag wird Sonntag ſein, und was tun die Bauern am Sonntag, als raufen und ſich be⸗ trinken? .. Oh, mein gnädiger Herr, könnt' man's doch verhüten!“ „Sei du ganz ruhig, das wird gewiß verhütet wer⸗ den“, entgegnete Roſenzweig und lachte wieder. Da wurde der Alte plötzlich aufgebracht: „Wenn du geſtern abend im Wirtshaus geweſen wäreſt und den Kommiſſär hätteſt predigen gehört, du würdeſt nicht lachen.“ „Den Kommiſſär? Den Emiſſär, willſt du wohl ſagen! Ein Emiſſär, wie fie jetzt zu Dutzenden ber: umziehen.“ „Nein, nein, kein ſolcher. Einer, der einmal ein Herr war und jetzt ſagt, daß es keine Herren mehr geben ſoll. Er weiß ſo gut, was für Zeiten kommen werden, daß er lieber gleich von ſelbſt ein Bauer geworden iſt und hat alles verſchenkt.“ Dieſe Worte erweckten Nathanaels ganze Auf— merkſamkeit und erhoben es ihm zur Überzeugung, daß der Alte von demſelben Manne ſprach, den der Kreishauptmann den Sendboten genannt, und vor dem er ſelbſt eben erſt Aug' in Auge geſtanden hatte. Derſelbe! er war es — er gewiß, der Rätſelhafte, deſſen Lebensgeſchichte die Vernünftigen einander mit Hohn und Spott erzählten, die Furchtſamen mit Haß, die Phantaſten mit Begeiſterung, es war — Eduard Dembowſki. Oft hatte er ſagen gehört, daß von dieſem Men⸗ ſchen ein Zauber ausgehe, dem ſich niemand zu enf- ziehen vermöge, und dieſer geheimnisvollen Einwir⸗ kung den größten Unglauben entgegengebracht, und nun geſtand er ſich, daß er doch etwas ihr Uhnliches erfahre. Ja! der bleiche Schwärmer ſchritt wie ein Ge⸗ 50 fpenft neben ihm her. Ja! fein Bild verfolgte ihn mit unleidlicher Hartnäckigkeit. Vergeblich ſuchte er ſeine Gedanken von ihm abzulenken, immer wieder tauchte es auf und trotzte dem Willen, es zu ver⸗ ſcheuchen. Das Gefährt des Doktors ſtand ſchon ſeit gerau⸗ mer Weile auf der Straße. Eine bequeme Britſchka, beſpannt mit einem Paar kugelrunder Falbenſtuten, in zierlichen Krakauergeſchirren, mit glockenbehange⸗ nen Kummeten. Der Kutſcher war ein ſchlanker Burſche im ſaubern, einfach verſchnürten Leibrock, und das Ganze bildete eine hübſche Equipage, um die ſo mancher Edelmann den Doktor beneidete. Dieſer klopfte den Falben die ſtarken Hälſe und legte ihnen die Zöpflein der ſchwarzen, eingeflochte⸗ nen Mähnen zurecht. Schon war er im Begriff, in den Wagen zu ſteigen, da wandte er ſich zu dem Al⸗ ten am Fuße des Kreuzes zurück: „Du! wie heißt du?“ „Semen Plachta, Herr.“ „Hör' an, Semen! Krieche heim und ſage deinem Schwiegerſohn, daß Doktor Roſenzweig morgen kom⸗ men wird, dich zu beſuchen. Er ſoll dich zu Hauſe laſſen. Verſtehſt du mich? Wenn ich komme und dich nicht zu Hauſe finde, werde ich dafür ſorgen, daß dein Schwiegerſohn noch vor der allgemeinen Verteilung als erſte Abſchlagzahlung auf das Künftige eine 60 - Tracht Prügel erhalte.“ Roſenzweig hatte feine Brief— taſche gezogen und ihr eine Fünfguldenbanknote ent- nommen. Sein Geſicht wurde ſehr ernſt, während er ſie betrachtete. Ein kurzes Zögern noch — dann reichte er ſie dem Greiſe hin. „Das aber gehört dir. Ich will morgen hören, ob das Geld für dich verwendet worden iſt.“ Semen ſtreckte die Hand nach dem fabelhaften Reichtum aus; — zu ſprechen, zu danken vermochte er nicht. Auch der Kutſcher auf dem Bode blieb ſtarr, riß die Augen auf, ließ vor Erſtaunen beinah die Zügel fallen. Was ſollte das heißen, um Gottes wil- len? Sein Herr verſchenkte fünf Gulden an einen Straßenbettler ?! „Herr,“ ſagte er, als der Doktor in den Wagen ſtieg, „du haſt ihm fünf Gulden gegeben. Haſt du dich nicht geirrt?“ „Schweig und fahr zu!“ befahl Roſenzweig, und die Peitſche knallte, und die Falben griffen aus. Bald kam auf der weiten Ebene das Doktorhaus in Sicht. Es ſtand jetzt nicht mehr ſo allein da wie ein Grenzſtein; ſehr nette Stallungen und Schuppen erhoben ſich hufeiſenförmig im Hintergrunde, und eine wohlgepflegte Baumſchule füllte den Raum zwi⸗ ſchen den Wohn- und Wirtſchaftsgebäuden. Die letzteren waren wirklich nach einem Plane des Chamers, dem der Architekt ſeine Sanktion gegeben . 61 · hatte, ausgeführt worden und gut ausgefallen, das mußte man gelten laſſen. Ob Roſenzweig zu ſeinem Daheim zurückkehrte aus dem Gehöft eines Schlachtſchitz, aus dem Hauſe eines Grundherrn oder aus dem Schloſſe eines Magnaten — ſein geliebtes Beſitztum begrüßte er ſtets mit der gleichen Freude. „Den andern das ihre, das meine mir!“ — Aufrichtig geſagt, getauſcht hätte er, wenn auch noch ſo gewinnreich, mit keinem. Er hatte ja nie ein lebendes Weſen (ſeine Großmutter ausge⸗ nommen) ſo geliebt, wie er ſein kleines Gut liebte. Und wie es da ſo ſchmuck vor ihm lag, das langſam und mühſam Erworbene, die Verkörperung ſeiner Kraft und Tüchtigkeit, ein ſo wahrhaft zu Recht be⸗ ſtehendes Eigentum, wie es wenige gab, da ballten ſich ſeine Fäuſte, und er vollzog einen imaginären Totſchlag an dem imaginären erſten, der es wagen würde, ihm feinen Beſitz anzutaſten. Am Abend noch beſuchte er den Kreis hauptmann und berichtete ihm Wort für Wort ſein Geſpräch mit Semen Plachta. Der Beamte ließ ſich in eine ausführliche Erörte⸗ rung der kommuniſtiſchen Umtriebe im Lande ein; die eigentlichen Abſichten ihres Urhebers jedoch, das We⸗ ſen des ſeltſamen Mannes überhaupt, wußte er nicht zu erklären, ſo genaue Kenntnis er auch von deſſen ganzem Lebenslaufe beſaß. 62 » Der Sendbote, der das Land raſtlos durchpilgerte und in den Paläſten und den Hütten das Evangelium der Gleichberechtigung aller Menſchen und der Gleich— teilung allen Grund und Bodens verkündete, ge— hörte, als Sohn des Senatorkaſtellans von Polen und Herrn der Herrſchaft Rudy im Warſchauer Gou— vernement, dem hohen Adel an. Auch er war wie ſeine Standesgenoſſen aufgewachſen und erzogen wor⸗ den im Bewußtſein überkommener Rechte, ererbter Macht und der Pflicht, ſie zu wahren und ſie aus⸗ zuüben. Kaum jedoch in ihren Beſitz gelangt, hatte er ſich ihrer freiwillig entäußert. Die Erträgniſſe feiner Gü- ter floſſen in die Bettelſäcke der Güterloſen oder wur⸗ den zu Revolutionszwecken verwendet. Er aber zog umher und warb Jünger für ſeine Lehre und fand ihrer in den Reihen ſeiner eigenen Standesgenoſſen. An die eindrucksfähigen Herzen der Jugend wandte er ſich, und je reiner und unſchuldiger die Herzen wa⸗ ren, deſto feuriger erglühten fie in Verehrung für ihn, und in Sehnſucht, feinem opfermutigen Bei- ſpiel zu folgen. Boten des Sendboten tauchten auf im Königreiche Polen, im weſtlichen Rußland, in Po— ſen, in Galizien. Die Worte ihres Abgottes auf den Lippen, riefen fie dem Adel zu: — Wirf deine Reich⸗ tümer und deine zu lang genoſſenen Vorrechte von dir. Vorrecht iſt Unrecht. Und dem Volke — Kommt, 63 ihr Armen! Nehmt euern Anteil an dem Boden, den ſeit Jahrhunderten euer Schweiß, und wie oft! auch euer Blut gedüngt hat. — Zu allen aber ſpra⸗ chen ſie: Erhebt euch, ſchüttelt das Joch der Frem⸗ den ab! Wir wollen ein Reich gründen, darin es weder Überfluß noch Armut, nicht Herrſchaft noch Knechtſchaft gibt, das Reich — das Chriſtus gepre⸗ digt hat. Der geiſtige Leiter dieſer Miſſionen hatte ſich in⸗ zwiſchen an dem gegen Rußland geplanten und faſt im Augenblick des Losbruchs geſcheiterten Aufſtande des Jahres 1843 beteiligt. Als Flüchtling entkam er nach Poſen, wurde dort binnen kurzem wegen Ver⸗ breitung kommuniſtiſcher Grundſätze zur Rechenſchaft gezogen, in Haft genommen, endlich verbannt. Er be⸗ gab ſich nach Brüſſel, wo Lelewel die Verirrungen feiner allzu heißen Freiheits- und Vaterlandsliebe in den Qualen bitterſten Heimwehs verbüßte. Der Um⸗ gang mit dieſem „Großmeiſter der Revolutionäre“ ſteigerte die Begeiſterung Dembowſkis zum Fanatis⸗ mus. Was ſeine Seele fortan erfüllte, war nicht mehr Mitleid allein mit den Elenden und Armen, es war auch Haß gegen die Starken und Reichen, hießen fie nun die Beherrſcher der Teilungsmächte, oder die Inhaber der polniſchen Zentralgewalt in Pa⸗ ris und Uſurpatoren des Königreichs, das ſie wieder⸗ herſtellen wollten. 64 Der Apoftel der Nächſtenliebe kehrte als ein po- litiſcher Agitator nach der Heimat zurück. Er, den bisher nur ſeine eigenen Eingebungen geleitet hat⸗ ten, übernahm die Ausführung fremder Pläne und die Aufgabe, Galizien zur Empörung reif zu machen. In dieſer Aufgabe wirkte er nun. Wußten die, die ihn mit ihr betrauten, was fie taten? Sahen ſie ihn und ſeine Lehre nur als das Ferment an, das die ſtumpfſinnige Menge in Gärung bringen, in eine Be⸗ wegung ſetzen ſollte, der die Richtung vorzuſchreiben ſie ſich anmaßten? — Die Sympathie und Bewunderung, die jeder echte Pole für den empfindet, der im Kampfe gegen die Fremdherrſchaft gelitten hat, bewährte ſ ich von neuem. Der Adel nahm den Geächteten in Schutz, obwohl er einen Gegner ſeiner Intereſſen in ihm erkannte. Mochte er welcher Partei immer angehören, die Befreiung Polens war auch ſein Ziel, auf dem Wege traf man zuſammen und drückte einander die Hand. „Und ſehen Sie,“ ſchloß der Kreishauptmann, „jo ſehr iſt der Meuſch in mir im Beamten doch nicht aufgegangen, daß ich dieſe Polen um ſolcher Züge ihres oft unbeſonnenen, blinden, ſtets aber hochher⸗ zigen Patriotismus willen nicht lieben und zugleich — beneiden müßte.“ „Euer Gnaden!“ rief Mathanael mißbilligend aus, 3 v. Ebner⸗Eſchenbach ö 65 . und beide Männer ſchwiegen. Mach geraumer Zeit erſt nahm der Doktor wieder das Wort: „Ich glaube, Euer Gnaden, es wäre Sache der Regierung, vor allem ſich und den Adel vor dem ver⸗ derblichen Einfluß des kommuniſtiſchen großen Herrn zu ſchützen.“ Hier flocht er das rutheniſche Sprich⸗ wort ein: ‚Ein ſchlechter Vogel, der fein eigenes Neſt beſchmutzt.“ — „Ich begreife nicht, warum man fo lange untätig zuſieht. Warum man ihn nicht hin⸗ dert, gleichſam unter den Augen der geſetzlichen Macht ſein tödliches Gift auszuſtreuen.“ Unangenehm berührt durch die Entſchiedenheit, mit der Roſenzweig ſprach, entgegnete der Kreishaupt⸗ mann mit kühler Überlegenheit: „Es geſchieht ſchwerlich ohne Grund. Übrigens — unter uns! — wir haben Weiſung, auf ihn zu fahn⸗ den — in unauffälliger Weiſe.“ „Oh — dann!“ rief Nathanael übereifrig — „dann beſchwöre ich Euer Gnaden, meine Dienſte in An⸗ ſpruch zu nehmen. Unauffälliger wäre nichts, als einen Kranken dem Arzte anzuvertrauen. Und daß Ihr „Sendbote krank iſt — hier,“ er deutete auf die Stirn, „und in das Beobachtungszimmer des Kreis⸗ phyſikus gehört, darauf ſchwöre ich!“ Der Ausdruck im Geſichte des Beamten wurde immer kälter, er richtete plötzlich eine gleichgültige Frage an den Doktor und entließ ihn, indem er beim 66 - Abſchied warnend Talleyrands berühmtes „Surtout pas trop de zeèle!“ zitierte. Die Warnung blieb fruchtlos. Des Doktors ein⸗ mal entfeſſelter Eifer für die Sache der Ordnung und des Geſetzes war nicht mehr zu bändigen. Er hätte die Friedloſigkeit, die ihn umherjagte, auch den andern mitteilen mögen, legte einen Abſcheu ohneglei⸗ chen gegen die zuwartende Geduld an den Tag, deren man ſich in maßgebenden Kreiſen befliß, und nannte ſie verbrecheriſchen Leichtſinn und unverzeihliche Lau— heit. Sein politiſches Glaubensbekenntnis hatte ſich bis⸗ her in dem Satze zuſammenfaſſen laſſen: „Unſre Regierung wird die denkbar beſte ſein, ſo— bald ſie ſich nur noch herbeiläßt, den Juden das Recht zu geben, Grund und Boden zu beſitzen.“ Jetzt aber war ihm der Glaube an die Weisheit dieſer Regie⸗ rung erſchüttert, und er begann ſich als ihr Belehrer und Ratgeber zu gebärden. Auf dem Kreisamf hatte man wenig Ruhe vor ihm, er brachte täglich neue, immer bedenklicher lautende Nachrichten von dem Umſichgreifen der kommuniſtiſchen Propaganda und riet immer dringender, man möge ſich doch entſchlie⸗ ßen, energiſche Sicherheitsmaßregeln zu ergreifen. Die genaue Bekanntſchaft des Schwiegerſohnes Semen Plachtas, die er gemacht hatte, gab ihm viel zu denken. Er hatte ſich bisher niemals mit dem Stu⸗ 3* 67 · dium einer Bauernſeele beſchäftigt. Ein Bauer war in feinen Augen der unintereſſanteſte von allen mit einer Menſchenhaut überzogenen Bipedes. Jetzt nahm er einen von der Sorte aufs Korn, beobachtete ihn genau, ging ſogar mit ihm ins Wirtshaus, ließ ſich mit ihm in Geſpräche ein und wußte am dritten Tage, was er ſchon im erſten Augenblick gewußt hatte, daß der Mann faul, trunkſüchtig und einfältig war. Wie einfältig, das kam erſt zum Vorſchein, wenn ihm der Branntwein die ſchwere Zunge löſte und es nur we— niger Fragen bedurfte, um ſich zu überzeugen, daß ihm ſogar die Kardinalerkenntnis der Unterſcheidung zwiſchen mein und dein fehlte. Der Doktor fuhr zur Gräfin Aniela und hielt ihr einen Vortrag über den Zuſtand der Landbevölkerung. „Ja,“ ſchloß er, „der Bauer iſt dumm, aber wodurch ſoll er denn geſcheit werden, wenn er es nicht zufällig von Natur iſt? Ja, der Bauer iſt faul, aber was würde die Arbeitſamkeit ihm nützen, ſie brächte ihn doch nimmer auf einen grünen Zweig. Seine Arbeit⸗ ſamkeit käme mehr dem Herrn zugute, als ihm. Ja, der Bauer trägt den heute verdienten Groſchen heute noch in die Schenke, aber dieſe Verſchwendung kommt von ſeinem Elend. Das Elend iſt nicht ſparſam, das Elend vermag einen ſo geſunden und fruchtbringen⸗ den Gedanken wie den der Sparſamkeit gar nicht zu faſſen.“ . 68 Gräfin Aniela ſtreckte das zierliche Hälschen in die Höhe, ihre lieblichen Lippen verzogen ſich ſpöt— tiſch. „Verehrter Lebensretter, Sie ſprechen ja ganz wie der Sendbote,“ ſagte ſie, „man glaubt ihn zu hören.“ Der Doktor ſchwieg; der ſcherzhaft gemeinte Vor⸗ wurf traf ihn tief. Eine Stunde ſpäter ſtand er in ſeiner Baumſchule vor einem Stämmchen, nicht viel dicker als ein Fin⸗ ger, und doch trug es ſchon unter ſeiner kleinen Blät⸗ terkrone drei herrliche Apfel, völlig reif beinah, mit gelblich glänzender Schale. Zu jeder andern Zeit hätte der Doktor an dem Anblick ſeine Freude gehabt, heute vermehrte ſich durch ihn nur ſein Mißmut. Joſeph kam aus dem Haufe, fein Arbeitsgerät auf der Schul⸗ ter, und wollte den Wohltäter noch zu andern Bäum⸗ chen führen, die ein ebenſo kräftiges Streben, brave Bäume zu werden, an den Tag legten, wie das, wel⸗ ches er ſtaunend betrachtete. Er erhielt keine Antwort. Mit finſterer Strenge funkelten die ſchwarzen Augen Roſenzweigs unter ihren buſchigen Brauen den Jüngling an, und plötz⸗ lich ſprach er: „Sag' einmal, haſt du nie etwas von einem Frei⸗ heitshelden, ſo eine Art Narren gehört, der ſich hier in der Gegend aufhält und, wie man behauptet, den Bauern in den Wirtshäuſern Revolution predigt?“ 69 Joſeph ſah offenbar betroffen aus und ſchwieg. „Geſteh! Geſteh!“ befahl Roſenzweig, und ſein drohendes, zornrotes Geſicht näherte ſich dem des Jünglings. „Ich weiß nicht, Herr,“ ſtammelte dieſer, „ob du den meinſt, den ſie den Sendboten nennen.“ „Den eben meine ich!“ „Der predigt aber nicht Revolution, der predigt Fleiß und Müchternheit.“ „Fleiß im Stehlen, Nüchternheit beim Totſchla⸗ gen — was?“ höhnte der Doktor. Ungewohnterweiſe ließ ſich Joſeph nicht aus der Faſſung bringen. Noch mehr! Er erlaubte ſich einen Widerſpruch: „Du biſt im Irrtum. Ich kenne ihn.“ Roſenzweig prallte mit einem unartikulierten Aus⸗ ruf zurück, und Joſeph fuhr fort: „Ich habe lange mit ihm geſprochen.“ „Wo? und wann? und was?“ „Auf dem Felde, in der vorigen Woche; und von dir iſt die Rede geweſen.“ „— Von mir?“ Aus dem Munde des Chamers hat er ſeine Nach⸗ richten über mich? dachte der Doktor. — Nun, ſie ſind danach! „Ich habe ihn nie predigen gehört“, nahm Joſeph wieder das Wort. 997 „Möchteſt aber wohl?“ „O ja! — ich möchte wohl. Kein Pfarrer kann es ihm gleichtun, heißt es. Es heißt auch, daß er heute nacht zum letztenmal in unſrer Gegend ſprechen wird, in der Schenke des Abraham Dornenkron, eine Meile von hier, auf der Straße nach Dolego.“ Eine lange Pauſe entſtand, der der Doktor ein Ende machte, indem er Joſeph befahl, an die Arbeit zu gehen; er ſelbſt begab ſich zum Kreishauptmann, mel⸗ dete, was er ſoeben in bezug auf den Emiſſär in Er⸗ fahrung gebracht hatte, und fragte an, ob es nicht ge⸗ raten wäre, ein Pikett Huſaren nach der Schenke zu ſchicken und den Aufwiegler gefangennehmen zu laſ⸗ ſen. „Was nötig iſt, wird geſchehen, mein lieber Roſen⸗ zweig!“ antwortete der Beamte. „Wir ſind von al⸗ lem, was vorgeht, auf das genaueſte unterrichtet und finden darin keinen Grund zur Sorge. Wovor fürch— ten denn Sie ſich? Sie gehören zu uns. Ich wollte, ich könnte etwas von Ihrer Vorſicht denen einflößen, die ihrer bedürftiger wären als Sie und wir.“ Roſenzweig machte noch einige Krankenbeſuche und kam erſt ſpät am Abend heim. Vor dem Gartentor fand er Joſeph, der ihn erwartete. „Was haſt du dazuſtehen? Geh ſchlafen!“ herrſchte er ihm zu. Auch er hätte gern Ruhe gefunden, aber ſie floh Wr ihn in dieſer Macht wie in den vorhergehenden TTäch- ten. Auf einmal fiel es ihm ein, ob es nicht möglich wäre, daß Joſeph ſich jetzt aus dem Hauſe ſchliche, um nach der Schenke zu rennen und die Abſchieds⸗ rede des Agitators zu hören. Der Weg iſt freilich weit, und die Nacht ſchon vorgeſchritten, aber der Burſch hat junge Beine... Übrigens — wer weiß? Wenn er fürchtet, zu ſpät zu kommen, nimmt er am Ende gar ein Pferd aus dem Stall .. Nun, der Zweifel wenigſtens ſollte ihn nicht lange quälen. Raſch nahm er den Leuchter vom Tiſch und eilte über die Treppe und den Gang, nach der von Joſeph bewohnten Stube. Seit Jahren hatte er ſie nicht betreten; ſie war die einzige ſchlechte im Hauſe und ärgerte ihn, ſooft er ſie ſah. Ein länglicher, ſchmaler Raum, einfenſtrig, mit Ziegeln gepflaſtert. Wäre Roſenzweig nicht der Wohltäter, ſondern der Arzt Joſephs geweſen, er hätte ihm verboten, da zu ſchlafen auf dem Stroh⸗ ſack, im Winkel zwiſchen der Drehbank und der Mauer, die förmlich troff von Feuchtigkeit. Er ſagte ſich das, als er eintretend den Menſchen, den er auf dem Wege nach Dolego vermutete, lang ausgeſtreckt fand auf ſeiner mehr als beſcheidenen La⸗ gerſtätte, tief und ſelig ſchlafend. Als Roſenzweig ſich über ihn beugte und ihm ins 72 Geſicht leuchtete, zuckten feine Augenlider, fein roter, friſcher Mund zog ſich trotzig zuſammen, aber nur, um gleich wieder mit leicht aufeinanderruhenden Lip⸗ pen weiterzuatmen. Hätte er tauſend Zeugen gehabt, fie würden nicht vermocht haben, kräftigere Für— ſprache für die Lauterkeit ſeines Herzens einzulegen, als es der Ausdruck des bewußtloſen, ſchweigenden Friedens auf ſeinem Antlitz tat. Der Doktor ſtellte den Leuchter auf die Drehbank und begann ſich in der Kammer umzuſehen. Was es da gab an begonnenen, an halb und an faſt be— endeten Arbeiten, das alles war die Frucht des Flei⸗ ßes emſig ſchaffender und geſchickter Hände. Und es mußte doch kein ſo übler Verſtand ſein, der ihr Tun leitete, denn nirgend fand ſich die Spur verwüſteten Materials oder kindiſcher Spielerei. Und worauf ſich das ganze Sinnen und Denken dieſes Verſtandes richtete, das war das Wohl und Gedeihen des Dok— torhauſes, ihm kam all fein Streben zugute, das för⸗ derte er nach beſter Kraft und Einſicht. Ein Beiſpiel für hundert fiel dem Doktor auf und — faſt rührte es ihn. Er hatte unlängſt das hölzerne Gartenpförtlein durch ein eiſernes erſetzen laſſen und war zufrieden geweſen mit der vom Stadtſchloſſer gelieferten Ar⸗ beit, aber Joſeph meinte: „Sie iſt nicht ſchön ge— nug, ich will eine Verzierung anbringen.“ Roſen⸗ 73 zweig verhöhnte ihn damals, und nun war das Werk ſchon unternommen, war ſchon mit unſäglicher Mühe aus ſtarkem Eiſenblech herausgeſägt und gefeilt, und inmitten ſchmucker Arabesken zeichnete ſich, gar künſtleriſch verſchlungen, der Mamenszug Roſen⸗ zweigs. Dieſer lächelte, kreuzte die Hände und verſank in eine zum erſtenmal wohlwollende und mitleidige Be⸗ trachtung des beſcheidenen Tauſendkünſtlers. Zu Häupten ſeines Lagers bemerkte er ein Bild des hei⸗ ligen Joſeph, mit vier Nägeln an der Wand be⸗ feſtigt, und darunter ſtand in ungefügiger Schrift: „Von meiner Lubienka.“ — Die deine, du armer Junge, der auf der weiten Erde nichts beſitzt? Hab' erſt feſten Boden unter dei⸗ nen eigenen Füßen, eh' du es wagſt, einem ſchwäche⸗ ren Menſchenkinde zuzurufen: Tritt zu mir! Du haſt dir noch nichts erworben, noch nichts verdient trotz deiner Arbeitsfreudigkeit und Treue, nichts — kei⸗ nen Lohn, keinen Dank, kein Recht. Was du mir leiſteſt und nützeſt, gilt nur als Zahlung deiner einſt — unfreiwillig eingegangenen Schuld. Wann wird dieſe Schuld endlich getilgt ſein, ar⸗ mer Geſelle? ... Iſt fie es denn im Grunde nicht längſt? Beſäßeſt du Klugheit genug, um abzurech⸗ nen und abzuwägen, vor Jahren ſchon hätteſt du geſagt: Wir ſind quitt! Von nun an bezahle * mich, Herr! Ich will auch für mich erwerben. — Ich ſei ein harter Mann, heißt es, aber un⸗ gerecht darf mich niemand ſchelten. Wenn du ge⸗ fordert hätteſt, ich hätte dir gegeben, ich hätte dich gelten laſſen, wenn du dich geltend gemacht hät⸗ teſt. .. Du haft es aber nicht getan; du biſt ſchwei⸗ gend unter deinem Joche weitergeſchritten und wirſt ſo weiterſchreiten, bis du zuſammenbrichſt und am Ausgang deines Lebens ſo hilflos daſtehſt, wie du an feinem Eingang geſtanden haft... Weſſen Schuld? — Warum denkſt du nicht? Warum ſprichſt du nicht? Warum verſchwendeſt du die koſtbaren Kräfte deiner Jugend ? ... Aber es geſchieht, und ich verbrauche ſie — und ſo wie ich tun Tauſende und ſo wie du Hunderttauſende .. Noch einen Blick auf den ſanft Schlafenden, und Nathanael ſchloß die Augen und preßte die Hände an ſeine Stirn. Grell und blendend drang es auf ihn ein, wie ein im Dunkel aufflammendes Licht. Mit Grauen und Entſetzen erfüllte ihn das Bewußtſein: Da ſchläft er noch ſtill und harmlos, und die Hun⸗ derttauſende ſeinesgleichen ſchlafen wie er. Doch wer⸗ den ſie erwachen — ſchon weckt man ſie. Zu welchen Taten? Wie werden ſie hauſen, die plötzlich entfeſ⸗ ſelten Knechte? Ein Schwindel ergriff ihn, ihm war, als wanke ſein Haus. “75” „Noch nicht!“ rief er und ſtieß den Fuß heftig gegen den Boden. Joſeph erwachte, ſprang auf: „Was befiehlſt du, Herr?“ Das Bewußtſein kehrte ihm nicht ſchneller zurück, als dieſe Frage auf ſeine Lippen trat. „Wiſſen will ich, was vorgeht, hören, was euch gepredigt wird. Ich will den Sendboten hören. Spann die Falben vor den Wagen, du wirſt mich nach der Schenke des Dornenkron fahren. Spann ein!“ IV. D ie Nacht war dunkel. Ein feiner, dichter Regen ſtrömte unabläſſig, emſig auf die Erde nieder, und ein andrer, ein kompakter Regen ſpritzte von ihr auf beim energiſchen Geſtampfe der wackeren Rößlein. „Polens fünftes Element“ umwirbelte und über⸗ ſprühte das von Joſeph gelenkte Gefährt, das zwi⸗ ſchen einer doppelten Reihe rieſiger Pappeln auf der Kaiſerſtraße dahinrollte. Der Doktor ſaß lange Zeit ſchweigend in ſeinen Mantel gehüllt. Ungeduld verzehrte ihn. „Wir kommen zu ſpät“, ſagte er endlich. „Treib die Falben an.“ 76 „Sie laufen ja, was fie können“, antwortete Jo⸗ ſeph. „Wir ſind ſchon weit.“ Er deutete nach einem großen weißlichen Fleck im Nordweſten des bleigrauen Horizonts, „die Weichſel und der Dujanec ſtecken ſchon ihre Fahnen aus.“ Eine Viertelſtunde ſpäter war das Ziel erreicht: ein niedriges, weitläufiges Gebäude. Vor dem ſtan⸗ den allerlei Fuhrwerke und hinderten Joſeph, ſich mit dem ſeinen zu nähern. Roſenzweig hieß ihn halten, ſtieg ab und ſuchte ſich einen Weg durch das Gewirr der Wagen und Pferde zu bahnen. Es war keine leichte Aufgabe für einen, der möglichſt unbemerkt in das Haus gelangen wollte. Die meiſten Kutſcher hatten ihr Geſpann verlaſſen, die andern ſchliefen auf dem Bocke oder taten ſo und leiſteten dem Befehl des Doktors, ein wenig Raum zu geben, keine Folge. Er hob eben den Stock, um ſich ihnen deutlicher verſtändlich zu machen, als Abra⸗ ham Dornenkron auf der Schwelle des Hauſes er— ſchien, einen brennenden Span in der Hand. „Schaff' mir Platz, Abraham,“ ſprach der Doktor, „ich bin's, ich, Doktor Roſenzweig.“ „Gott der Gerechte!“ ſtieß der Wirt erſchrocken hervor, faßte ſich aber ſogleich und patſchte dienſt⸗ willig in den Sumpf, der die Zufahrt zu ſeinem Gaſthof bildete. Er ſchob die künſtlich aufgeſtellte "BR: Wagenburg auseinander und rief dabei fortwährend mit überflüffigem Stimmaufwand: „Der Herr Doktor Roſenzweig! — Is wer krank? Wohin belieben zu reiſen der Herr Doktor?“ Sobald die Möglichkeit vorhanden war, ſich ihm zu nähern, ſprang Nathanael auf ihn los und packte ihn beim Ohr: „Sei ſtill, Spitzbube! Du brauchſt mich bei deinen Gäſten nicht anzumelden. Ich will das ſchon ſelbſt beſorgen.“ Und als das Männlein trotzdem nicht aufhörte, ſeine Verwunderung über die Ankunft des Doktors laut auszuſchreien, drückte der ihn gegen den Tür⸗ pfoſten, daß ihm der Atem verging, und drang an ihm vorbei in den Flur. „Ein Gibor*! Schema Iſroel, ein Gibor der ge— waltige Doktor!“ raunte Abraham einem mißgeſtal⸗ teten Weſen zu, das plötzlich im Dunkel geräuſch⸗ los wie eine Eidechſe, krummbeinig wie ein Kobold, neben ihm aufgetaucht war. Es wiegte den unförmigen Kopf, ſeine nachtſchwar⸗ zen Augen funkelten klug und feurig. „Er iſt eingezogen, zu ſpionieren, Tateleben. Wir wollen ihm kommen zuvor, daß uns nicht kann be⸗ gegnen ein Unglück“, flüſterte der Kleine. * Ein Rieſe. 78 ns „Elend über Elend! Wie heißt ihm kommen zu⸗ vor?“ „Ich will nehmen ein Pferd, Tateleben, und rei- ten nach Tarnow wie ein Windſtoß, zu melden bei der Polizei, daß bei uns Verſammlung halten die rebelliſchen Gojim, und daß die kaiſerliche Regierung ſoll ausſchicken gegen ſie Soldaten, wenn es is ge— fällig der kaiſerlichen Regierung.“ Abraham betrachtete ſeinen Sprößling mit Blik⸗ ken bewundernder Liebe: „Reit wie ein Windſtoß, mein Sohnleben, daß du mit Gott bald kommſt ans Ziel. Reit“, wieder⸗ holte er und ſetzte in naiver Fürſorge hinzu: „Tu dich nur nehmen in acht, daß du nicht kommſt um deine graden Glieder.“ Roſenzweig war inzwiſchen in die Wirtsſtube ge— treten oder hatte ſich vielmehr hineingezwängt. Es herrſchte darinnen eine dicke, dumpfe Atmo⸗ ſphäre, das Produkt von mehr als hundert dicht an⸗ einandergepferchten Menſchen in naſſen Pelzen, Klei⸗ dern und Stiefeln. Fuſeldünſte und der Qualm einer an der Decke hängenden Naphthalampe trugen dazu bei, das Atmen in dieſem Raume zu erſchweren. Die Anweſenden jedoch erfuhren unbewußt den beklem⸗ menden Einfluß, der die Geſichter der einen glühen machte und die andrer bis zur Todesbläſſe entfärbte. Es waren Männer, den verſchiedenſten Altersſtufen 79 und Ständen angehörig, in ärmlicher Kleidung, im reichen Nationalkoſtüm, im Prieſtertalar, im Stu⸗ dentenrock, im ſchäbigen, ſchwarzen Gewand des Winkelſchreibers. Die keinen andern Platz mehr ge⸗ funden hatten, waren auf die Bänke geſtiegen und, zwiſchen die Mauern und die Menge geklemmt, be⸗ zahlten ſie bei jedem neuen Andrang den Vorteil ihrer erhöhten Stellung mit der Gefahr, erdrückt zu wer⸗ den. In der vorderſten Reihe, feine Umgebung üͤber⸗ ragend, ſtand ein grauhaariger, graubärtiger, breit⸗ ſchultriger Herr in koſtbarer Magnatentracht. Wenn er den Kopf wandte, zeigte ſich dem beobachtenden Nathanael das ausdrucksvolle aſiatiſche Profil eines der mächtigſten Fürſten des Landes. — Auch du, Starosta princeps nobilitatis? dachte Roſenzweig. Aber eine noch größere Überrafchung er- wartete ihn. Der einzige in der Stube frei gebliebene Raum war der vor dem Eingang in das Nebenzimmer, deſ⸗ ſen offene Tür von einigen jungen Leuten mit wahr⸗ haft wildem Eifer vor der Zudringlichkeit der Meu⸗ gier oder des Fanatismus gehütet wurde. Dort ſchritt Dembowſki im Geſpräch mit einem Schlachtſchitz auf und ab, in dem Roſenzweig zu ſeinem grenzenloſen Erſtaunen den vertrauten Freund des Kreishaupt⸗ manns erkannte. Er lebte in glücklichen Familien⸗ 80 und geordneten Vermögensverhältniſſen, war ein harmloſer, aufrichtiger Menſch, dem der Friede über alles ging. Nie hatte er es dahin gebracht, einer po- litiſchen Debatte ſeiner Gutsnachbarn bis ans Ende zu folgen, weil er regelmäßig früher einſchlief. Und dieſer ruhigſte und ſtillſte aller Staatsbürger, da wandelte er nun flammend und glühend in einem Seelenkampfe, deſſen Pein ſich in ſeinem zuckenden Geſicht malte, neben dem Aufwiegler einher. Der aber, leicht vorgebeugt, den Arm des Neo— phiten ſanft berührend, ſprach eindringlich und leiſe zu ihm, ſprach Worte, auf welche dieſer keine Er— widerung mehr zu finden ſchien. Ein letztes noch — und er wandte ſich von dem Erſchütterten und trat zu ſeiner Gemeinde, die ihn mit unendlichem Jubel empfing. Der Sendbote war als Bauer gekleidet. Er trug einen langen, weißen Kaftan, der am Halſe durch zwei große Metallknöpfe geſchloſſen war, hohe Stiefel, ein Hemd aus großer Leinwand und Pluderhoſen aus demſelben Stoffe. Ein lederner Riemen, an dem ein kleines Kruzifix aus ſchwarzem Holze hing, umgür⸗ tete ſeine Lenden. Sein dichtes, dunkelblondes Haar war kurz geſchoren; es wuchs in ſcharfer Spitze in die Stirn und zog ſchön gewölbte Bogen um die matt⸗ weißen, etwas eingedrückten Schläfen. Ruhig ließ er den Freudenſturm des Willkomms 81 verbrauſen, ſtand da mit herabhängenden Armen, die Finger nur leicht gekreuzt und ſchaute ins Gewühl läſſig und obenhin, wie ſehr Kurzſichtige pflegen, die ſchauend ſchon im voraus auf das Sehen verzichten. „Freunde, Brüder,“ begann er, ohne die Stimme zu erheben, und ſogleich wurde es ſtill bis zur Laut⸗ loſigkeit, — „ich grüße euch zum letztenmal vor dem Kampf, vielleicht zum letztenmal vor dem Tode.“ „Sei uns gegrüßt!“ antwortete ein brauner Kum⸗ pan von martialiſchem Ausſehen; „im Kampf, im Tod, im Sieg!“ „Im Sieg!“ durchlief's die Menge als Seufzer der Sehnſucht, als Schrei der Hoffnung, als Aus⸗ ruf der Zuverſicht. „Sieg?“ wiederholte der Redner, „ihr habt ihn ſchon errungen. Ein Kampf wie der eure iſt ein Sieg, und ein Sieger jeder von euch, ob er den Fuß auf ſeine Feinde ſtellt, ob er zertreten vor ihren Roſſen auf dem Schlachtfelde liegt. Meine Brüder! was immer uns beſchieden ſein mag, der Gedanke, der uns beſeelt, kann nicht mehr ſterben. Er wird fortleben, ſogar auf den Lippen derer, die uns um ſeinetwillen verfolgen und töten. Sie ſelbſt werden die heilige Lehre noch verbreiten, indem ſie von dem Märtyrer⸗ tim erzählen, das wir erlitten haben.“ Allmählich war die lähmende Müdigkeit von ihm 82 » gewichen, feine geſchmeidige Geſtalt hatte fich empor— gerichtet: „Vielleicht iſt die Erinnerung an unſern Tod das einzige, was wir denen hinterlaſſen können, für die wir ſo gern gelebt hätten. Wir müſſen dafür ſorgen, daß dieſes Erbe ein glorreiches ſei ... Es wird kein glorreiches ſein, wenn nicht jeder einzelne, der zu un⸗ ſerm Bund geſchworen hat, ſich als ein Prieſter fühlt, deſſen Ehrgeiz Entſagung und deſſen Ruhm grenzen— loſe Hingebung an die Sache Gottes iſt.“ Vereinzelte Laute der Zuſtimmung ließen ſich ver- nehmen, aber ſo manches Antlitz drückte Enttäuſchung aus. „Die Sache Gottes, meine Brüder!“ wiederholte der Redner. „Vermöchte ich den Feuereifer, ihr zu dienen, in euern Seelen zu erwecken, den er in der meinen erweckt hat, und euch den Abſcheu und die Scham kennen zu lehren, womit ich zurückblicke auf die einſt genoſſenen Erdenfreuden. Mitten in der Fülle ihrer Genüſſe fand mich der Herr. Aus ihrem Taumel ſchrak ich auf bei ſeinem Ruf. Und die Stimme, mit der der Allerbarmer mich rief, war die des Mitleids, und das Mitleid gebar den Zweifel und der Zweifel die Erkenntnis.“ Verklärung breitete ſich über ſeine Züge, das Licht der ſchönſten Liebesgedanken leuchtete auf ſeiner Stirn. „Ich lebte, wie die Verwöhnten leben. Weil der 83 Zufall mir zu viel beſchert hatte, kannte ich kein Ge⸗ nügen, in meiner heißen Hand zerſchmolz das Gold. Da war einer unter meinen Dienern — Jelek hieß er, ein Bauersſohn, der, aufgeweckt und tüchtig, es bis zu dem Amte meines Güterverwalters gebracht hatte. Er allein wagte es einmal, eine Warnung gegen mich auszuſprechen und fiel dadurch bei mir in Ungnade. An einem Sommermorgen ritt ich nach fröhlich durchlebter Macht mit meinem Anhang von einem Feſte bei meiner Geliebten heim. Ihre Küſſe brann⸗ ten noch auf meinen Lippen, die Klänge der Muſik ſummten mir noch im Ohr, liebliche Bilder gaukel⸗ ten vor meinen Augen, eine beglückende Lebensluſt er⸗ füllte mich. In meiner Seele vermählten ſich die Er- innerung an genoſſene Freuden mit der Erwartung künftiger, und übermütig rief ich meinen Gefähr⸗ ten zu: „Wie heute, fo morgen, und immer!‘ Wir waren am Ausgang des Waldes angelangt; vor uns lagen im ſchimmernden Duft des jungen Ta⸗ ges die taufriſchen Wieſen, das Ahrenmeer der Fel⸗ der, und aus der Ferne grüßte mein bewimpeltes Schloß mit ſeinen ſtarken Türmen. Seine Fenſter blinkten, auf feinem altersgrauen Gemäuer lag der Glanz der aufgehenden Sonne wie ein Lächeln auf dem Antlitz eines Greiſes. Einen ſchönen Anblick bot 84 mein ehrwürdiges, gaſtliches Haus, und mit Jauch— zen ſprengten meine Gefährten ihm zu. Ich aber verhielt mein Roß. Ich hatte längs des Waldſaumes einen Mann in haſtender Eile herbeikommen ſehen, und Jelek, mei— nen Verwalter, in ihm erkannt. — ‚Woher und wo— Bin?“ rief ich ihn an. Er nannte einen weit entfernten Meierhof, nach dem ihn der Intendant mit einem Auftrag ſchickte. — Fand ſich dazu kein geringerer? Seit wann machſt du Botengänge?“ — Auf dieſe meine Frage gab er zur Antwort: Seit ich bei dir in Ungnade gefallen bin. Dein Intendant hat mich mei- nes Amtes entſetzt und bedenkt mich dafür mit aller— lei Ämtern,‘ — Er keuchte und wiſchte ſich den Schweiß von der Stirn, und ich ſah es ihm an, daß ihm der Boden unter den Füßen brannte. Ich ſah auch, daß ſich vom Dorfe aus ein langer Zug nach der Straße hin bewegte, und daß der es war, dem er entgegen— ſtrebte. Ich ſetzte mein Pferd in Schritt, und er folgte mir. So kamen wir zur Landſtraße, auf der die Leute wanderten. Ein paar hundert Männer, Jünglinge, Greiſe, ihre Senſen auf den Schultern, Säcke auf den Rücken. Sie ſchritten ſtumm, mit geſenkten Köp— fen, die meiſten barfuß und zerlumpt — meine Bauern! .. . Und wie fie, ſich bis zur Erde verneigend, an mir vorüberſchlichen, unluſtig, wie eine Herde, die nach fremdem Pferch getrieben wird, da wußte ich: 85 · die Leute find vermietet für die Erntezeit, weithin vielleicht, und werden den Boden, auf dem ihre eigene ärmliche Ernte reift, nicht wiederſehen, eh' der Schnee ihn bedeckt. Jelek hatte ein Tüchlein hervorgezogen, in dem einige Münzen eingebunden waren, und drückte es einem Alten in die Hand, der am Ende des Zuges mühſam nachhumpelte: — Damit du nicht darbſt unterweges, Vater. Gott tröſte dich. Meinetwegen mußt du fort. Der Alte barg das Tuch an ſeiner Bruſt, und der Heiduk, der die Schar geleitete, ſtieß ihn vorwärts. In die Augen Jeleks traten Tränen des Schmer⸗ zes und der Wut. Warum ſagteſt du, fragte ich ihn, ‚dein Vater müſſe um deinetwillen fort?“ Weil es fo iſt. Der Intendant hätte ſich nicht getraut, ihn zu vermieten, wenn du mir noch gnädig wäreſt wie font.‘ Ein paar Tage ſpäter traf ich meinen Jelek, wie er einen Arbeiter auf dem Felde, einen hochbejahrten Mann, der Faulheit anklagte und erbärmlich ſchlug. „Siehſt du nicht, daß der Mann erſchöpft iſt und nicht mehr arbeiten kann', ſagte ich, und er erwiderte: „So werden fie es in der Fremde auch meinem Vater tun. Warum foll es dem einen beſſer gehen als dem andern?“ | 886 Was ich ihm antworten ſollte, wußte ich nicht, aber zu dem Alten ſagte ich: „Tun dir die Schläge nicht weh, daß du daſtehſt und nicht einmal klagſt?“ „Oh, mein gnädiger Herr!“ entgegnete er, ‚was würde das Klagen mir nützen?“ Und auch darauf mußte ich ſchweigen ... Am Abend war das Haus zum Empfang meiner Geliebten geſchmückt, und alle, die um meine Gunſt buhlten, waren verſammelt, um ihr zu huldigen. Sie erſchien in ihrer königlichen Schönheit, und ihr An- blick und der Anblick der Pracht, die mich umgab, und der kriechenden Dienſtfertigkeit meines Anhangs — Grauen, meine Brüder! Grauen erweckten ſie mir. ... Ein Dämon, meint' ich, habe tückiſch mein Auge zu furchtbarem Hellſehen geſchärft ... All der Glanz, all die Pracht und Herrlichkeit, und die Liebe des Weibes und die Treue der Freunde — ſie hatten einen Preis, und bezahlt hatte ihn das Elend. Die hatten ihn bezahlt, die zum Frondienſt vermietet hin⸗ gezogen waren in die Fremde .. Das Gewühl vor mir, die Wände des Saales wurden durchſichtig. Wie durch ſchimmernde Schleier ſah ich eine wandernde Schar, deutlich jede Linie der Geſtalten, jeden Zug der Geſichter, die mein Auge an jenem Morgen nur flüchtig geſtreift hatte. Ergebung auf allen! Nicht ſchöne, männliche — nein! die £roft- und hoffnungs⸗ 87 · loſe Ergebung des Stumpfſinns. Was jenes Opfer der ungerechten Vergeltung, die mein Diener übte, geſprochen hatte, das ſprachen auch ſie in ihrem Schweigen. Was würden Klagen uns nützen? Brüder! in dieſer Stunde habe ich meiner Macht geflucht und mein Glück gerichtet... Meine Macht war zum Unheil andrer ausgeübt worden, mein Glück wuchs nicht wie eine Blume aus dem geſunden Mut⸗ terſchoß der Erde, es war ein Wuchergebilde, ihrer Krankheit Frucht, und nährte ſich paraſitiſch von koſtbaren Lebensſäften.“ Der Redner bog den Kopf zurück; ſeine Lider ſchloſ⸗ ſen ſich, einem Gepeinigten gleich zog er den Atem ein. „Da ergoß ſich in meine Bruſt ein Strom der Schmerzen .. Die Schmerzen jedes einzelnen, der um meinetwillen gelitten hatte, ergoſſen ſich in meine Bruſt! ... Und jede Schuld, und jedes Unrecht, das die begangen hatten, die mir dienten, als meine Schuld empfand ich ſie und vernahm ſchaudernd, wie ihr Schrei gegen mich zum Himmel ſtieg. Die Luft im Saale laſtete wie Blei, aus den Augen meiner Geliebten blickte die Sünde, die Töne der Muſik girrten ſinnverwirrende Melodien, und — fort trieb es mich, hinweg von dem durchſchauten Trug in die kühle, klare Macht. Ich wanderte unter ihren ſchimmernden Sternen, ſoweit meine Füße mich trugen, und wie auch mein Herz blutete und 988 rang, mir war, als lebte ich auf. In der herben Qual, die ich litt, fühlte ich die Hand meines Herrn, verſtand die Mahnung, deren er mich gewürdigt hatte. Und während ſie mich ſuchten im Schloſſe und in den Gärten, lag ich im Waldesgrund auf dem Ange— ſicht vor meinem Gott und flehte um Kraft zur Buße und Sühne, und bot mich ihm dar zum Werkzeug ſeines Willens, zum Verkünder ſeiner Lehre, und flehte den Urquell des Lichtes um Erleuchtung auf meinem Wege an. Sie wurde mir. Wie das Auge des Blindgebore- nen, als der Finger des Heilands es berührte, ſich der alten, vertrauten und ihm doch unbekannten Welt erſchloß, fo erſchloß ſich meine Erkenntnis der Dffen- barung, in deren Licht ich gewandelt war, von Ju⸗ gend an — ein Blinder. Und je tiefer ich in den Geiſt des göttlichen Wortes eindrang, deſto klarer wird es mir: Inbegriff ſeiner Weisheit iſt die Liebe. Für uns Menſchen — die Mächſtenliebe!“ Die hochgehenden Wogen der Begeiſterung, mit der der Sendbote empfangen worden, waren all⸗ mählich verebbt. Ein Gemurmel der Mißbilligung, in das ſich nur vereinzelt warme Zurufe miſchten, erhob ſich jetzt. Aus der Gruppe, die den Fürſten umdrängte, ſcholl rauh die Mahnung: „Laß den Pfarrer von Nächſtenliebe ſprechen, ſprich du von der Befreiung des Vaterlandes!“ „Eines, die beiden!“ antwortete der Redner. „Keine Befreiung ohne die Liebe des Mächſten. Sie iſt der unermeßlich reiche Schatz, der uns an dem Tag er⸗ löſt, an dem wir uns entſchließen, ihn zu heben. Nur verſtehen müßt ihr ihr Geſetz. Für euch, ihr Mäch⸗ tigen und Reichen, lauten ſeine erſten Worte: Ent⸗ ſagung, Entbehrung, Sühne!“ Die Lippen des Fürſten kräuſelte ein Lächeln, aber mit immer mächtiger werdender Stimme fuhr der Redner fort: „Es gibt nur einen Herrn, den König der Himmel und der Welten, und nur ein Menſchenvolk gleich⸗ geborner Brüder. Der ſich Herrſchaft anmaßt über ſeine Brüder, ſäet und erntet Unheil; die Seele des Knechtenden, wie des Geknechteten verdirbt.“ Mit einem raſchen Schritte trat er auf den Für⸗ ſten zu: „Rette deine Seele, demütige dich! Gedenke der Sünden deiner Väter, gedenke der Flüche, die auf deinem Haupte laſten. Wie? — Befreiung von frem⸗ der Tyrannei verlangt ihr? Was habt denn ihr je⸗ mals ausgeübt an dem bejammernswerten Volke als Tyrannei? Ihr, der Adel, ihr wart der Staat. Nie⸗ mals iſt in Polen ein andrer Stand zu Wort ge⸗ kommen als der eure, und wohin habt ihr das Land gebracht? ... Euer Eigennutz hat es ausgebeutet, eure 90 Zwietracht es zerriffen, euer Verrat hat es den Fein⸗ den ausgeliefert!“ „Du lügſt! Schweig! Wir wollen dich nicht mehr hören!“ tönte es ihm zurück. Ein raſender Tumult erhob ſich. „Platz da! Platz für den Fürſten!“ riefen die Be— gleiter des Magnaten, der ſich ſchweigend und ver— ächtlich umgewandt harte, und dem die Seinen mit Stoßen und Drängen einen Weg zum Ausgang zu bahnen ſuchten. Nathanael, in der Mähe ſtehend, erwies ſich ihnen hilfreich. Die Menge war wie eingekeilt unter der Tür, aber ſein eiſerner Arm teilte ſie, um den Fort⸗ ſtürmenden Raum zu ſchaffen, und ein allgemeines Aufatmen gab es, als der Fürſt mit ſeiner Schar das Freie gewonnen hatte. Von draußen vernahnt inan ihr Schreien, Flu⸗ chen und Lachen. Die Herren pfiffen ihren Kutſchern und ihren Hunden, Peitſchen knallten, Fuhrwerke ſetz⸗ ten ſich in Bewegung. Der Blick des Sendboten glitt ſchwermütig über die gelichteten Reihen ſeiner Jünger. „Auf die Großen dieſer Erde habe ich nicht ge— zählt; wohl uns, wenn wir keine andern Gegner hät⸗ ten als ſie“, ſprach er ruhig. „Der Bedrücker ſind wenige, der Bedrückten viele. Wenn die Bedrückten fi) erheben und im Manſen des Allgerechten ihren r Anteil am Befiß der Erde fordern würden, dann wäre die Macht der Mächtigen wie Spreu. Aber der Ko— loß, der ſich nur zu regen brauchte, um ſeine Bande zu ſprengen — er regt ſich nicht. Er duldet und front und wird ewig dulden und fronen. Durch das un⸗ würdige Leben, das er ſeit Jahrhunderten führt, iſt das Bewußtſein ſeines Menſchentums, ſeines freien Willens in ihm erſtickt worden. Sie aber, die ihm dieſes Bewußtſein raubten, haben nicht nur gegen das elende, von ihnen verachtete Volk, ſie haben — und deſſen gedenken ſie nicht! — ſie haben gegen Gott gefrevelt, indem ſie Tauſende ſeiner Geſchöpfe un⸗ fähig machten, ſein Bild widerzuſpiegeln.“ Er hielt inne, und die jungen Leute jubelten ihm Beifall zu. Die älteren Männer ſchwiegen. Einige Geiſtliche hatten ſich in die Nähe der Tür begeben. Der treuloſe Freund des Kreishauptmanns war ſamt den Edelleuten verſchwunden, nachdem er mit ſtau⸗ nendem Schrecken den großen Kopf Roſenzweigs aus dem Gedränge hervorragen geſehen hatte. Der Dok⸗ tor jedoch, mit der Wucht eines Pfeilers auf ſeinem Vordermann laſtend, brachte jeden allmählich zum Weichen und ſtand mum auf demſelben Fleck, auf dem früher der Fürſt geſtanden hatte, dicht vor dem Sendboten. Eine freudige Röte ſtieg dieſem in die Wangen, als er Nathanaels anſichtig wurde. 02 „Gott wird die Schuldigen richten!“ nahm er wie⸗ der das Wort. „Was uns zukommt, iſt die Erlöſung der Armen, deren Jammer zu ermeſſen wir beſſer vermögen als ſie ſelbſt. Was ich von euch fordere, ihr Herren, ihr wißt es, beſprochen und wieder be— ſprochen haben wir's in langen Stunden. Ihr aber, Studenten und Männer der Wiffenfchaft, die ihr dem Volke naheſteht wie euerm Vater, betreut es, als wäre es euer Kind. Lehrt es euch lieben und ver⸗ trauen, verwendet zu ſeinen Gunſten euer Wiſſen, euer Können, eure Erfahrung, Kraft und Zeit. Ver⸗ geßt euch ſelbſt in ſeinem Dienſt. Keiner von euch pflege mehr feinen Geiſt in kaltſinniger Abgefchloffen- heit... Mit welchem Rechte vertieft ihr euch in die Erforſchung der ſchwierigſten Welt⸗ und Daſeins⸗ rätſel, während um euch her noch Menſchen leben, mit dem gleichen Anſpruch auf Erkenntnis ausgeſtar⸗ tet wie ihr — und unfähig, die einfachſten Gedanken⸗ reihen zu bilden? ... Ihr ſucht nach Zielen in euern Wiſſenſchaften und werdet immer nur Grenzen fin- den. Ich nenne euch ein Ziel, das ſich erreichen läßt: die Verminderung des Irrtums, des Wahns, des Aberglaubens unter euern Brüdern... Dem Zug einer ungeheuren Heerſäule, die nachts aufbricht, um zum Kampfplatz zu eilen, gleicht das Wandeln des Menſchengeſchlechts über die Erde. Die, denen Kraft gegeben ward, die andern zu überholen, haben ſich an 93 · die Spitze geſtellt. Sie ſchreiten ſchon im roſigen Morgenlicht, die Schatten fliehen, ein Wunderland öffnet ſich vor ihnen. Unaufhaltſam jagen ſie ihm zu, auf ſonnenbeglänzter Bahn, unbekümmert um die Nachhut, die hinter ihnen im Dunkel tappt und ſich verirrt, und keinen Steg mehr findet, der zu den Glücklichen hinüber führt, an deren Seite auch ſie den Kampf des Lebens zu kämpfen berufen waren... Deshalb, ihr Führer, macht halt! öffnet eure Reihen, laßt die Machhut herankommen. Einen breiten Weg für die Nachhut! Zu ihrem Heil, meine Brüder! aber auch zu dem eurigen, denn aus jedem bisher blö⸗ den Auge, das ſich dank eurer fürſorgenden Liebe einem Strahl der Wahrheit öffnet, wird euch der Himmel grüßen ...“ Einige Schulmänner in der Nähe Roſenzweigs wechſelten bedeutungsvolle Blicke: „Ich bin ſehr ent⸗ täuſcht“, flüſterte ein Advokatenſchreiber den gelehr⸗ ten Herren zu: „Das iſt ja gar nichts.“ Der Doktor ſtand nach und nach ganz bequem, von einem Gedränge war keine Rede mehr. Das Audito⸗ rium machte ſich laugſam und geräuſchlos fort. Wa⸗ gen um Wagen rollte, Reiter trabten davon. Die Zurückbleibenden widerſetzten ſich endlich die⸗ ſer Flucht. Die Verwünſchungen, mit denen die Ab⸗ trünnigen begleitet wurden, begannen in Tätlichkeiten auszuarten. 94 Gebieteriſch erhob der Redner feinen Arm. „Laßt jeden unbehelligt ziehen“, befahl er. „Wer von euch kann ſagen, ob das Samenkörnlein Wahr⸗ heit, das jetzt von der Bruſt dieſer Männer abzu⸗ prallen ſchien, nicht, ohne daß ſie ſelbſt es ahnen, in ihr Wurzel geſchlagen hat? Vielleicht tritt mancher von denen, die uns jetzt verlaſſen, noch dereinſt in unſre Reihen. Mir aber, meine Brüder, mir iſt es ein Segen zu fühlen: was mich in dieſer Abſchieds⸗ ſtunde umgibt, iſt Treue, was mich vernimmt — Ver⸗ ſtändnis. Den tiefſten Inhalt meiner Lehre, in eure Herzen darf ich ihn gießen wie in köſtliche Schalen, die ihn rein und lauter bewahren und ihn andern Herzen alſo mitteilen werden. Brüder, wir müſſen immer hören, ohne Kampf der Menſchen untereinander könne die Welt nicht be⸗ ſtehen; in einem allgemeinen Frieden würden unfre Kräfte einroſten und unſre Geiſter erſchlaffen. Das iſt falſch. Friede zwiſchen den Menſchen bedeutet ja nicht das Ende aller Kämpfe, es bedeutet vielmehr den Beginn eines neuen, eines herrlichen Kampfes. Während der Haß der Urheber aller bisherigen Kämpfe geweſen iſt, wird die Liebe die Mutter der künftigen ſein. Die Streiter, die ſie aufruft, werden nicht etwa ein leichtes Spiel haben, denn die Feinde, denen ſie gegenüberſtehen, gönnen ihren Überwindern nicht Ruhe, nicht Raſt, täglich beſiegt, erheben ſie 95 ſich täglich wieder. Leiden und Leidenſchaft ſind ihre Namen. Faßt fie nur einmal ſcharf ins Auge, und ihr werdet euch fragen müſſen: Iſt es möglich, daß wir jemals einen andern Streit unternommen haben, als den gegen ſie, als den gegen die Leiden der andern und gegen die Leidenſchaft in unſrer eigenen Bruſt? Wie? es gibt in der Welk dieſe fürchterlichen Gewalten, und wir haben mit ihnen einen faulen Frieden geſchloſſen? Wir haben ſie hingenommen wie das Notwendige und Unentrinnbare, wir haben ſchläf⸗ rig und lau den Vampir an unſerm Marke zehren laſſen und unſre Streitluſt nicht an ihm gebüßt, nein, an unſern Brüdern, unſern mitleidenden Brü⸗ dern! Wir haben Beladenen neue Laſten aufgelegt, wir haben Verwundete verletzt. Oh, des Wahnſinns! Oder — des Verbrechens — oder vielmehr der beiden! Verbrechen iſt Wahnſinn, die Torheit iſt die Quelle jedes Unrechts.“ Ja, und tauſendmal ja! dachte Roſenzweig, Trä⸗ nen in den Augen, erſchüttert in allen Fugen ſeines Weſens. Ein unermeßliches Glück durchdrang ihn, er empfand die höchſte aller Wonnen — die Wonne, aus den beengenden Schranken der Selbſtſucht auf- zuſteigen wie aus einem Grabe. Was er bisher am meiſten geſchätzt hatte, erſchien ihm wertlos, die Ar⸗ beit vergeudet, die er auf die Erwerbung feines Reich⸗ tums verwandt, verächtlich ſeine engherzige Freude — 2 an ihm, der, ein toter Staub, in feinen Händen ge— legen. Beſchämung erfüllte ſeine Seele, aber mit Entzücken gab er ſich ihr hin als dem Wahrzeichen ſeiner Wandlung, dem Beginn ſeines inneren Wach— ſens und Klärens. Nur ein Gedanke trübte die reine Seligkeit dieſes Augenblicks; er galt dem Apoſtel des Mitleids und der Liebe und wurde ſchmerzlicher und ſorgenvoller, als dieſer die Zukunft, die er träumte, als eine erreichbare zu ſchildern begann. — Täuſche dich nicht! hätte er ihm zurufen mögen. Das Land deiner Verheißung hat auf Erden keine Stätte. Be- gnüge dich damit, unſre Sehnſucht nach ihm erweckt zu haben. Schon das iſt Befreiung. Aber der Sendbote ſprach ... Der Klang feiner Stimme füllte wie etwas Körperliches den Raum, der Glutſtrom ſeiner Beredſamkeit trieb ſeine kühn⸗ ſten, prächtigſten Wogen, und endlich ſchloß er: „Zweck und Ziel unſres Bundes iſt das Wohl des Volks, das Wohl eines jeden Bewohners der pol— niſchen Erde; ſchwört Treue unſerm Bunde!“ Da riefen alle, da tönte es mit der Stimme einer Be— geiſterung aus der Bruſt von jung und alt, von Be- ſonnenen und Schwärmern: „Wir ſchwören!“ Sie fielen vor ihm nieder und küßten ſeine Hände, feine Knie, feine Füße. „Wir ſchwören dir Gehor⸗ 4 v. Ebner⸗-Eſchenbach 197 ſam bis in den Tod!“ überſchrie einer aus der Menge alle übrigen. Der Sendbote wehrte ab: „Nicht mir Gehorſam — der Sache ſchwört: die Armen und Bedrückten zu lieben wie euch ſelbſt, und das Vaterland mehr als euch ſelbſt.“ Die Beteuerungen wiederholten ſich. „So geht denn hin. Werbt im Volke, werbt Wer⸗ ber für das Volk. Entſendet keinen, der nicht auf das Kruzifix geſchworen hat. Ich bringe euch die Eidesformel und den Katechismus“, ſprach der Agi⸗ fafor, und Stille trat während der Verteilung der Schriften ein. 1 Plötzlich wurde ſie durch ein ſo angſtvolles Gekreiſch unterbrochen, daß alle zuſammenfuhren. Abraham Dornenkron ſtürzte herein, ſchreckensbleich, mit auf⸗ gelöſten Locken: i „Rette ſich, wer kann ſich retten! Mein Sohn⸗ leben iſt geweſen in Tarnow, hat geſehen ſteigen auf die Huſaren, gleich werden ſie ſein hier, mein Sohn⸗ leben is geritten ihnen voraus.“ Die Warnung Abrahams erweckte Hohn, Trotz, Beſtürzung. Einige ſtammelten ein leiſes Abſchieds⸗ wort und eilten raſch davon. Was Waffen trug, ſcharte ſich um Dembrowſki und ſchickte ſich zu fei- ner Verteidigung an. Er aber wies ſeine Getreuen hinweg. „Fort! Ihr, ich, wir alle. Noch iſt es nicht Zeit zum Kampfe. Ein Hochverräter jeder, der den Kampf zu früh beginnt. Fort! Alle fort!“ Die Stube leerte ſich. Der letzte, der hinaustrat, war der Sendbote, knapp vor ihm ſchritt Nathanael. In tiefer Stille beſtiegen die Verſchworenen ihre Wagen und ſtoben auseinander wie Schatten. Das Pferd des Redners wurde vorgeführt, er ſchwang ſich hinauf und gab ihm die Ferſen. Das Tier bäumte ſich, fiel ſchwer auf einen Vorderfuß zurück und zog den andern mit ſchmerzvollem Zucken in die Höhe. Eilends ſprang Roſenzweig herbei. „Ihr Pferd lahmt,“ ſagte er, „auf dem Pferde kommen Sie nicht weit.“ Der Wirt näherte ſich, eine Flaſche tragend, in deren Hals eine tropfende Unſchlittkerze ſtak, hockte am Boden nieder und beſtätigte jammernd den Aus⸗ ſpruch des Doktors. Dieſen ergriff ein Verdacht, er hielt dem Juden die geballte Fauſt vors Geſicht: „Wart', Kerl, wenn du das getan haſt!“ Abraham brach ſofort in Wehklagen und Un- ſchuldsbeteuerungen aus. Der Emiſſär war vom Pferde geſtiegen, ſtand regungslos und horchte. Deutlich vernahm man ſchon das Heranſprengen der Reiter auf der Straße. Sie ritten mit dem ſcharf herüberpfeifenden Wind. Gelblich⸗grau begann der Horizont zu ſchimmern. Der fahle Schein der erſten Dämmerung verbreitete ſich über die Ebene. MNatha⸗ 4 99 · nael fröſtelte und glühte. Kalter Schweiß rann ihm über die Stirn, eine eiſerne Kralle ſchnürte ihm die Kehle zu. Das war Furcht, deren Symptome er ſo oft an andern beobachtet, die er an ſich ſelbſt nie erfahren hatte. „Verbergen Sie ſich im Haus“, ſprach er zum Emiſſär. „Was würde mir das nutzen, wenn der Wirt falſch iſt — und er iſt es“, antwortete jener. „Ich will mei⸗ nen Beinen vertrauen. So viel Klugheit wie das gehetzte Wild habe auch ich. Irgendwo findet ſich ein Hohlweg, ein Baum, ein mitleidiger Strauch, der mich verbirgt.“ Er ſchickte ſich zur Flucht an. Da faßte ihn der Doktor mit überlegener Kraft und drängte ihn zu ſeinem Wagen hin. „Herunter, Joſeph!“ befahl er, „und ſieh zu, wie du nach Hauſe kommſt. Sie aber, nehmen Sie ſeinen Platz ein. Raſch!“ Der Widerſtrebende war auf den Bock hinauf⸗ gehoben, bevor er ſich's verſah. Der Doktor warf ihm feinen im Wagen zurückgebliebenen Mantel über die Schultern, Joſeph legte die Zügel in ſeine Hand und trat ſofort im Eilſchritt den Heimweg an. „Du!“ ſprach Nathanael, und Abraham beugte ſich beinahe bis zur Erde unter dem Blitz, der aus den Augen des Doktors auf ihn niederfuhr, „du ſollſt 100 mich kennenlernen, wenn du den Verräter weiter— ſpielſt!“ Einige Verwünſchungen folgten, die ihm leicht von den Lippen floſſen. Schwerer wurde es ihm, hinzuzuſetzen: „Wenn du aber dein Maul hältſt — dann kriegſt du von mir für dein Schweigen das Doppelte von dem, was deine Angeberei dir einge— tragen hätte.“ Er machte eine raſche Wendung den immer näher— kommenden Reitern entgegen. „Holla ho!“ rief er, die Hände vor dem Munde zum Sprachrohr geformt, „zu ſpät! zu ſpät!“ Ein Pikett Huſaren mit einem blutjungen Kadetten an der Spitze kam angaloppiert. Der Kadett riß ſein Pferd dicht vor Nathanael zuſammen: „Gottes Donner! der Herr Doktor! Was führt Sie her?“ „Beim Zeus! die Neugier, mein Gräflein. Aber Sie — warum juſt Sie? Ein heißer Ritt in kalter Morgenſtunde, das gibt, ſo wahr ich Sie kenne, eine Halsentzündung.“ „Gottes Donner! ſcherzen Sie nicht! komm ich wirklich zu ſpät? Iſt das Neſt leer? War der Emiſ⸗ ſär wirklich da? Haben Sie ihn geſehen?“ fragte der Jüngling in überſtürzter Haſt. „Geſehen, gehört, ihn als unſchädlichen Schwär— mer diagnoſtiziert.“ „Unſchädlich? Dann war er's nicht.“ OT „Er war's!“ „Es is geweſen er!“ fiel Abraham geläufig ein. „Der Herr Kadett können noch ſehn ſtehen hier ſein Pferd, das ich hab' vernagelt, damit er nicht kann reiten davon.“ „Was ihn zwang,“ bemerkte Roſenzweig, „im Wagen eines ſeiner Freunde davonzufahren!“ Der Jüngling nahm das Pferd in Augenſchein, ließ ihm das Eiſen abreißen und befahl einem Sol⸗ daten, es am Zügel mitzuführen. „Ich nehm' es mit, als Pfand“, ſagte er. „Und nun — in welcher Richtung iſt er davongefahren, Doktor?“ „Das verrate ich Ihnen um keinen Preis.“ „In welcher Richtung? Die Sache iſt ernſt. Ich bin ein gemachter Mann, wenn ich ihn fange. Wir haben verſchärfte Order erhalten, heute nachmittag. — In welcher Richtung, Doktor? .. Gottes Don⸗ ner! ſprechen Sie!“ Roſenzweig entgegnete mürriſch: „Ich weiß nichts. Vielleicht ſind Sie ihm ſelbſt begegnet auf der Straße.“ „Niemandem bin ich begegnet außer einigen guten Bekannten ... Übrigens“ — er hielt inne und ſchlug fi) vor die Stirn. „Auch die find ja verdächtig... Rechtsum!“ kommandierte er ſeinen Leuten, und die Huſaren machten kehrt. „Adieu, Doktor. Und du, 102 · Jude, merk' auf! Es foll ein Preis auf den Kopf des Emiſſärs geſetzt ſein, heißt es, ein Preis von tauſend Gulden. Dein wäre er geweſen, hätt' ich den Kerl hier erwiſcht.“ Abraham zuckte zuſammen, wand ſich wie ein Wurm und kreiſchte laut. Der Fuß des Doktors ſtand auf dem ſeinen und trat ihn unbarmherzig. „Was gibt's?“ rief der Huſar. „Er weint um die tauſend Gulden, die ihm an der Naſe vorbeigeflogen ſind“, entgegnete Roſenzweig. Der Kadett ſetzte ſich wieder an die Spitze ſeiner Mannſchaft: „Ich reite zurück. Die Wagen holen wir noch ein... Gottes Donner! die wollen wir jetzt aufs Korn nehmen... In Galopp, Marſch!“ Und das Pikett raſſelte davon. Abraham hüpfte kläglich auf einem Fuße und hielt den andern, zurückgekrümmten, wie in einer Schlinge in der Hand. „Zweitauſend Gulden!“ winſelte er. „Sie haben mir zerquetſcht, Herr Doktor, Sie Gibor, zwei Zehen. ... Aber Sie ſollen gehen drein, ich verlang' kein Schmerzensgeld, wenn Sie mir auszahlen morgen meine zweitauſend Gulden, die Sie ſind mir ſchuldig, fo wahr Gott lebt!“ Roſenzweig antwortete dumpf: „Komm nur, Ha⸗ lunke. Was ich verſpreche, halte ich — auch einem Halunken.“ 103 · Er trat an den Wagen und ſprach, auf den Rück⸗ ſitz deutend, zu ſeinem Fahrgaſt: „Da hinüber ſteigen Sie, überlaſſen Sie mir Ihren Platz. Ich bringe Sie in Sicherheit.“ Der Sendbote ſtand mit einem Satz neben ihm und drückte kräftig ſeine Hand: „Haben Sie Dank. Sorgen Sie nicht weiter um mich; ich finde Freunde überall.“ Vergeblich ſuchte der Doktor ihn zurückzuhalten, er entwand ſich ihm und war bald den Augen ſeines Retters im verhüllenden Zwielicht entſchwunden. V Ros enzweig kutſchierte nach Hauſe, im kurzen Trab, im Schritt — wie es den Falben beliebte. Er hatte keine Eile. Wäre der Weg noch einmal ſo lang ge⸗ weſen, er würde ihm nicht zu lang geworden ſein. Dem, der über ein Wunder Aan vergeht die Zeit geſchwind. Gelogen, betrogen, einen Schurken beſtochen — hatte er das wirklich getan, er, der redliche Roſen⸗ zweig? Um eines Menſchen willen getan, den er noch 104 vor kurzem für einen Feind der Geſellſchaft, für ſei— nen eigenen Feind gehalten? Die widerſprechendſten Empfindungen lieferten ſich eine Schlacht in Nathanaels ſonſt fo gleichmütiger Seele. Nur die ſchlimmſte von allen, die Reue, war nicht unter ihnen. Am Nachmittag kam Abraham, fein Geld zu ho— len. Ja, der Spitzbube nannte es ſein, das ſchöne, zum Ankauf eines neuen Feldes beſtimmte Geld. Fin⸗ ſter gab der Doktor es hin. Dann begab er ſich auf das Kreisamt. Er hatte die Abſicht, ſeinem Chef die Ereigniſſe in der Schenke genau zu berichten, fand ihn jedoch ſo beſchäftigt und in ſo ungewöhnlicher Aufregung, daß er es vorzog, zu ſchweigen. Auch in den folgen⸗ den Tagen ging es nicht beſſer. Auf dem Amte herrſchte in dieſer Zeit eine beſtän⸗ dige Unruhe, eine außerordentliche Tätigkeit. Der Kreishauptmann bewahrte mit Mühe den Schein ſeines heitern Selbſtvertrauens. Die Zuverſicht war erzwungen, mit der er beteuerte, alle Fäden des Netzes in feiner Hand zu halten, an dem Tyſſowſki in Krakau, Skarzynſki im Bochnier, Julian Goslar im Sandezer, Wolanſki im Jasloer und Mazur⸗ kiewicz im Sanoker Kreiſe knüpften. Die Untreue feines beſten Freundes, der offen zur Revolutions⸗ partei übergetreten war, machte einen tiefen Eindruck 105 · auf ihn. Er und der Doktor tauſchten allmählich die Rollen. Der Angſtliche wurde der Sorgloſe und der Sorgloſe der Angſtliche. Eines Morgens überbrachte Joſeph ſeinem Herrn einen Brief, der durch einen Boten im Haufe abge- geben worden war. Er enthielt zwei Eintauſendgul⸗ dennoten in ein Blatt gefaltet, auf dem die Worte geſchrieben ſtanden: Meine Schuld bleibt ewig ungetilgt. Nathanael barg das Blatt in ſeiner Bruſt und legte die Noten vor ſich hin auf den Tiſch. „Joſeph“, rief er. „Was befiehlſt du?“ „Sieh dieſe zwei Bilder gut an. Weißt du, was fie vorſtellen?“ „Viel Geld, mein' ich.“ „Geld! Geld! min ja — aber noch etwas andres.“ „Was denn, Herr?“ „Den Lohn deiner jahrelangen Arbeit ... Mein, nicht ihren Lohn — ihren redlich verdienten Ertrag.“ Joſeph ſah den Gebieter fragend an. „Dahin ſieh, auf die Bilder, nicht auf mich“, rief dieſer. „Sie ſtellen noch ein Drittes vor.“ „Was denn, Herr?“ wiederholte Joſeph. „Was denn? Soll ich Lubienka rufen? Die wüßte es gleich, daß es nichts andres fein kann als — dein Heiratsgut.“ 106 · Da rief Joſeph mit einem Schrei der Wonne: „Mein Wohltäter, mein Herr, du Gütigſter!“ und wollte ſich vor ihm niederwerfen. „Steh!“ befahl Nathanael, legte beide Hände auf ſeine Schultern und blickte ernſt in ſein Angeſicht, das ſich zu ihm emporwandte wie zu einem Gott. „Du haſt eine harte Jugend gehabt, mein Joſeph.“ „Ich? — Was ſagſt du, Herr? — Warſt du nicht immer wie ein Vater gegen mich?“ „Nein, nein, mein Junge, wirklich nicht. Aber du biſt gegen mich immer wie ein Sohn geweſen“, anf- wortete der Doktor und ſetzte die für Joſeph unver⸗ ſtändlichen Worte hinzu: „Gäb' es viele deinesglei⸗ chen, dann wäre der himmliſche Sendbote kein Tor.“ — Von nun an hatte Joſeph glückliche Tage, und noch viel glücklicher wären ſie geweſen, wenn die große Veränderung, die mit feinem Herrn vorgegan- gen war, ihn nicht bekümmert hätte. Sie fiel jedem auf und erregte das Befremden aller Freunde des Doktors. Er, der emſige Sparer, wurde oft von großmütigen Regungen ergriffen. Er, für den der Bettler und der Dieb bisher in eine Kategorie gehört hatten, begann zwiſchen ihnen einen großen Unter⸗ ſchied zu entdecken. Er, auf den bisher die Reichen und der Reichtum eine ſtarke Anziehungskraft ausgeübt, betrat nur noch gerufen die Schlöſſer, ungerufen aber 107 · die Hütten der Armen. Die Unruhe, die ihn umher⸗ gejagt hatte, war verſchwunden. Mit ſtillem, hart⸗ näckigem Eifer ging er ſeinem Berufe nach. Als die Revolution ausbrach und ihre erſten blutigen Opfer forderte, verſtand er es, immer da zu ſein, wo man ſeiner am meiſten bedurfte. Nie, auch nicht in den ſchlimmſten Tagen, verließ ihn die kaltblütige Zu⸗ verſicht: von der Revolution iſt nichts zu fürchten. Andrer Anſicht war der Kreishauptmann. Alle Mutigen wandten ſich ſchon der Überzeugung zu, der Aufſtand müſſe in kurzem beendet ſein, als er noch davon ſprach, die Provinz ſei verloren, wenn nicht in höchſter Eile eine Armee einrücke, die tau⸗ ſendköpfige Hyder der „verwüſtenden Inſurrektion“ zu bekämpfen. Er meinte, Roſenzweig habe den Ver⸗ ſtand verloren, als er eines Tages erwiderte: „Die Inſurrektion iſt keine tauſendköpfige Hyder, ſondern ein hilfloſes Kind. Mit Blumen in den Hän⸗ den kommt es heran, mit einem Herzen voll Liebe, und mit Worten der Erlöſung auf den Lippen. So kommt es zu uns. Aber wir ſind Wölfe, Bären, Ti⸗ ger, aber wir ſind reißende Beſtien. Wir verſtehen die Sprache dieſes Kindes nicht. Es predigt Erbar⸗ men, Gerechtigkeit und Güte, und wir wollen von alledem nichts wiſſen, wir wollen mit niemand Er⸗ barmen haben, als mit uns ſelbſt, wir wollen bleiben, was wir ſind, behalten, was wir haben, womöglich 108 noch andern etwas wegnehmen, um uns zu bereichern. Und fo wird es immer fein, und ein Narr, der daran zweifelt! Und wir, reißende Tiere, wir werden das Kind zerfleiſchen und freſſen und uns zufrieden ſchla⸗ fen legen nach dieſer Heldentat.“ „Phantaſterei! Das iſt ja pure Phantaſterei!“ rief der Beamte voll Beſtürzung aus. „Was iſt mit Ihnen vorgegangen! Welcher Teufel hat Ihre ge— ſunden Sinne verwirrt?“ „Wiſſen Sie,“ nahm er nach kurzem Schweigen wieder das Wort, „daß mir berichtet wurde, Sie hätten einer Zuſammenkunft beigewohnt, in der der gefährlichſte Kommuniſtenführer eine ſeiner berüch— tigten Anſprachen hielt? Wiſſen Sie, daß ſchlechte Spötter behaupten, ſeine Beredſamkeit habe Sie zum Schwärmer gemacht?“ Nathanael ließ ſich durch dieſe Anklage nicht außer Faſſung bringen. „Ein Schwärmer wäre ich,“ entgegnete er, „wenn ich an die Verwirklichung der Utopien glaubte, für die dieſer „Kommuniſtenführer“, wie Sie ihn nen— nen, lebt, und für die er ſterben wird. Nun, nicht einmal unter dem Einfluß feiner Nähe, beim Wohl⸗ laut ſeines Wortes, unter den Blitzen ſeines Auges iſt es mir auch nur durch den Sinn geflogen: Wer weiß? vielleicht doch! ... Vielleicht vermag ein Bei⸗ ſpiel wie das deine uns Selbſtloſigkeit zu lehren und - 109 · allgemeine Erfüllung der einfachſten Pflichten. O nein, nein! dazu kenne ich uns Menſchen zu gut. Aber gedacht habe ich mir: du wirſt zu Boden geworfen, zertreten, ein Marr geheißen und — vergeſſen wer- den. Kaum gibt es in zehn Jahren noch einen unter allen, die du liebteſt, der deinen Wamen nennt. Trotz⸗ dem iſt der mächtige Fürſt, den die Neugier oder der Wunſch, ſich populär zu machen, in deine Verſamm⸗ lung trieb, ein Bettler gegen dich. Reich bleibt ewig nur der Schenkende, und die Größe des Mannes mißt ſich nach der ſeinen Idee und der Opfer, die er ihr bringt. Die deine hat das Maß überſchritten, das ſich in unſrer kleinen Welt verwirklichen läßt. Ihre Größe macht ſich zum Irrtum und dich zum Irren⸗ den. So dachte ich; und ich, der Arzt, der einge⸗ fleiſchte Haſſer und Verfolger alles Krankhaften, Überſpannten, Wahnbefangenen, ich tat ein Gebet für ihn zu meinem Gott: „Laß ihn ſterben, umringt von allen Gebilden ſei⸗ ner Torheit, laß ihn ungeheilt ſterben, o Herr!“ x Dieſ es Gebet ſchien bald im vollkommenſten Maße erhört. Die Erhebung war am Widerſtand der Landbevöl—⸗ kerung geſcheitert; das Korps, das die Inſurgenten e aufgebracht hatten, war durch dreihundert Mann kai⸗ ſerlicher Truppen und eine zehnfache Anzahl Bauern, die ſich ihnen anſchloſſen, unter Benedeks energiſcher Führung, bei Gdow geſchlagen worden. Von der erlittenen Niederlage erhielt die Revo— lutionsregierung in Krakau entſtellte Kunde. Die Freiheitshelden waren, ſo lautete ſie, nicht durch reguläre Truppen, ſondern durch fanatiſierte Bauernhorden überwältigt worden, die, bis Wie⸗ liczka vorgedrungen, ſich jetzt im Anmarſche auf die Stadt befanden. Ein Schrei der Rache erhob ſich und — verſtummte vor der Beredſamkeit eines Mannes, der Schonung des verblendeten und irregeführten Volkes forderte und verlangte, ihm als Bekehrer entgegengeſendet zu werden. Dieſer Mann war Eduard Dembowſki, und ſein Wille geſchah. Vertrauend auf die Gewalt ſeines Wortes verließ er Krakau, von Prieſtern in reichem Ornate, von Fah⸗ nen und Kreuze tragenden Mönchen begleitet. Eine große Menſchenmaſſe folgte, dreißig Scharfſchützen deckten den Zug. Er überſchritt die Weichſelbrücke und bewegte ſich durch die Vorſtadt Podgorze auf der Straße nach Wieliczka. Sie lag ſtill und öde; ſoweit das Auge reichte, keine Spur von herannahenden Bauernrotten. Von Podgorze aus kam jedoch eine Schreckenskunde, der e > Nachhut durch eilende Boten zugetragen; fie durch⸗ lief den Zug wie ein Blitz: Oſterreichiſche Truppen marſchieren gegen Podgorze. Ein raſcher Befehl ſeines Führers, und der Zug trat den Rückweg an, in der Hoffnung, die Stadt vor den Kaiſerlichen erreichen und die Brücke noch gewinnen zu können. Auf den Anhöhen rechts von Podgorze angelangt, konnte der Sendbote ſchon den Sturm auf die Stadt und das ſiegreiche Vordringen der Truppen über⸗ blicken. Die Kaſerne war genommen, die Kirche beſetzt, die polniſchen Schützen, aus den Häuſern vertrieben, jag⸗ ten in ungeordneter Flucht der Brücke zu. Grimm und Schmerz erfüllten bei dieſem Anblick die Seele des Emiſſärs. „Vorwärts! Mit Gott vorwärts, wir ſchlagen uns durch, wir erreichen noch die Brücke. Mut!“ rief er den zögernden Prieſtern zu. „Ihr habt nichts zu fürchten. Die man zum Sturme zwingt, folgen wi⸗ derwillig. Es ſind Galizier, ſie ſchießen nicht auf ihre Landsleute, ſchießen nicht auf geweihte Prieſter!“ Er befahl, ein geiſtliches Lied anzuſtimmen, und in majeſtätiſcher Ordnung, langſam und feierlich, kam die Prozeſſion die Anhöhe herab. Der Emiſſär ſchritt voran im Bauernkleide, fein heller Kaftan ſchimmerte R in der anbrechenden Dämmerung, in der Hand hielt er ein kleines ſchwarzes Kreuz. Ungehindert gelangte der Zug durch den noch un— beſetzten Stadtteil bis zur Kirche. Hierher aber war ſchon eine Kompagnie vorgedrungen, die den Weg zur Brücke verſperrte. Der Emiſſär machte halt. „Seht eure Brüder!“ ſprach er die Soldaten an und deutete auf die Scharen, die ihm folgten. „Auch ihr ſeid Polen. Keinen Kampf, Brüder — gebt Raum!“ Schweigen antwortete ihm. Noch einmal begann er die Soldaten zu beſchwören — da ertönte das Kommando: „Fällt das Bajonett!“ Mit einem Blick der Verzweiflung ſah Dembow— ſki ſich um. Die Geiſtlichen und Mönche waren zurückgewi⸗ chen. Seine Getreuen jedoch und die Schützen dräng⸗ ten ſich um ihn. „Kein Ausweg... Schießt — und vorwärts!“ rief er plötzlich mit wilder Entſchloſſenheit und drang auf die Soldaten ein. Zwei Dechargen erwiderten den unerwarteten An— griff. Nach der erſten ſah man Dembowſki noch auf— eee recht ſtehen, das Kreuz hoch über feinem Haupte ſchwingend. Nach der zweiten ſank er, in den Kopf getroffen. Roſenzweig erfuhr den Tod des Sendboten durch den Kreishauptmann, der ſeinen Bericht mit den Worten ſchloß: „So mußte ein Wahnſinniger enden.“ Die Prophezeiung Nathanaels traf ein, der idealſte Vertreter der Revolution erfuhr den einſtimmigen Tadel und Hohn aller Parteien, ſein Andenken er⸗ loſch auch bald im Volke. Seine Leiche war unter denen der in Podgorze Ge- fallenen nicht aufgefunden worden, und eine Zeitlang erhielt ſich das Gerücht, er ſei nicht tot, er lebe ver⸗ ſteckt als Bauer und werde beim Ausbruch neuer Frei⸗ heitskämpfe auf ihrem Schauplatz erſcheinen. Als jedoch die Stürme des Jahres 1848 aufſtie⸗ gen und verbrauſten, ohne ihn aus ſeiner vermeint⸗ lichen Verborgenheit gelockt zu haben, erloſch auch in denen, die fie am längſten genährt hatten, die Hoff⸗ nung auf ſeine Wiederkehr. * Es war zu Ende der fünfziger Jahre, an einem milden Septemberabend, in einem Dorfe unweit der ſchleſiſchen Grenze. Vor der Schenke hielt eine ge— 114 · deckte Britſchka, der ein paar tüchtige Braune wor: geſpannt waren. Behaglich, ohne Eile, wie es guten Freſſern geziemt, ließen ſie ſich den Inhalt einer vor ihnen aufgeſtellten Futterkrippe ſchmecken. Der Kut- ſcher, ein ältlicher Mann, ſo wohlgenährt wie ſeine Pferde, hatte ſich auf die Bank vor dem Hauſe ge— ſetzt, dampfte aus einer kurzen Pfeife und machte ſich ein Vergnügen daraus, die Fragen der hübſchen Wirtsmagd mit einer ſchelmiſchen Zurückhaltung zu beantworten, die darauf abzielte, ihre durch die An— kunft völlig fremder Gäſte ohnehin erregte Neugier noch zu ſpannen. „Ihr fahrt wohl recht weit über Land?“ fragte ſie. „Weiter, als du denken kannſt“, erwiderte er. „Vielleicht gar ins Ungarn hinein?“ „Pah! Das wäre ja nur ein Katzenſprung!“ Das Mädchen ſtemmte den Arm in die Seite und lachte: „Die möcht' ich ſehen, die Katz', die ſo ſpringen könnt'!“ „Bei uns zu Haus gibt's ihrer genug. Komm du nur hin, dann wirſt ſie ſehen.“ „Ei, fo was! ... Aber wo iſt denn Euer zu Haus?“ „Wo?“ Er deutete mit der Hand nach drei ver— ſchiedenen Richtungen: „Da — und da, und dort.“ „Geh weg, du ſpaßeſt. 115 · „Frag' meinen Herrn, wenn du mir nicht glaubſt.“ „Ja, juſt“, ſpottete ſie, „fragen — ſo einen Herrn!“ „Fürcht'ſt dich?“ — er zwinkerte ſie verſchmitzt an. „Haſt es ſchon weg, daß er ein Hexenmeiſter iſt?“ Sie ſchlug raſch und verſtohlen ein Kreuz: „So? Das hätt' ich ihm nicht angeſehen.“ „Ja, ein gar großer Hexenmeiſter. Macht die Kranken geſund, macht die Toten lebendig.“ „Die Toten?“ ... Das Mädchen ſchauerte. „Die Halbtoten alſo. Zu ſo einem ſind wir grad auf dem Weg.“ „Da kommt ihr ja zu ſpät, wenn ihr noch lang zu fahren habt.“ „Wir kommen nie zu ſpät. Der Herr ſagt nur: Wart'! — und der Tod wartet.“ „So? Hat dein Herr auch eine Frau?“ „Eine Frau hat er nicht, aber mehr als hundert Kinder.“ „Was du ſagſt?“ und wieder lachte ſie hellaut auf. Der Gegenſtand dieſes Geſpräches war ein Greis von kräftiger Geſtalt. Er trug eine Reiſekappe und einen langen, auf der Bruſt leicht verſchnürten Rock. Den untern Teil des markigen, dunkelfarbigen Ge⸗ ſichtes bedeckte der Bart, der, weiß und dicht wie die Haare, in zwei mächtige Strähne geteilt, faſt bis zum Gürtel herabwallte. Der Alte, die Hände auf 116 dem Rücken, ſtand am jenfeifigen Ufer des Teiches, der ſich auf eines Steinwurfs Entfernung vom Wirtshaus befand und ein langgeſtrecktes Oval bil— dete, an deſſen einem ſchmalen Ende knorrige, ganz ſchief gewachſene Weiden ihre Zweige zu ſeinem trü— ben Spiegel niederſenkten, während das andre ſich ſanft gegen die anſteigende Dorfſtraße verflachte. Der Teich war alles in allem: Badeort für die Jugend, Waſchanſtalt für die Hausfrauen, See für das ſchwimmtüchtige Geflügel, Schwemme für die Pferde. Am Werktagabend ging es in ſeiner Um⸗ gebung lebendig zu. Große und kleine Knaben, bar⸗ füßig, die Hoſen übers Knie gezogen, ritten ihre Pferde ins Waſſer, bewundert und beneidet von den Kindern, die am Ufer ſtanden oder ſaßen, die meiſten als ziemlich läſſige Hüter jüngerer Geſchwiſter. Män⸗ ner und Weiber kehrten vom Felde heim, und, von weitem ſchon angekündigt durch die Töne eines ſchal⸗ lenden Geſanges, kam eine Mädchenſchar, Rechen und Sicheln tragend, ins Dorf gezogen. Unter den am Teiche ſpielenden Kindern war eines, das die beſondere Aufmerkſamkeit des Fremden er⸗ regte. Ein Bürſchlein von etwa ſechs Jahren, mit ſehr lieblichem, aber blaſſem Geſichtchen. Seine ſchlich— ten, blonden Haare, im Nacken lang, über der Stirn gerade geſchnitten, quollen reich unter dem Mützchen hervor. Er hatte tiefliegende, blaue Augen, eine 5 ſchmale, leicht gebogene Naſe und einen feinen, aus⸗ drucksvollen Mund. Nach der Beſchaffenheit ſeines Kaftans und ſeiner Stiefel zu ſchließen, gehörte er wohlhabenden Eltern an. In der offenen Tür eines der nächſtgelegenen Häu⸗ ſer war ein junges, hübſches Weib mit einem Kinde auf dem Arm erſchienen und rief dem Knaben zu: „Jaſiu, der Vater kommt.“ Da machte das Bübchen einen Luftſprung und lief von ſeinen Spielgefährten fort, dem Angekündigten entgegen. Der blieb ſtehen, beugte ſich und lachte, als ſein Junge in vollem Lauf an ihn anprallte. Er rückte ihm die verſchobene Mütze zurecht, nahm ſeine Hand und ſchritt mit ihm weiter. Es war ergötzlich, ſie daherkommen zu ſehen, den Bauern und das Bäuerlein, das zweite in Haltung, Gang, Geſtalt und Kleidung das verkleinerte Eben⸗ bild des erſten. Sie näherten ſich, und der Fremde bemerkte auf dem Geſicht des Bauern die entſtellenden Spuren einer ſchweren Verwundung. Die rechte Wange war eingefallen und von Narben zerriſſen, das rechte Auge geſchloſſen. Auch ein Veteran der letzten Kämpfe, dachte der Greis und heftete den Blick immer aufmerkſamer auf den Herankommenden. Ein märchenhaft⸗wunderlicher „118 Einfall durchzuckte ihn. Plötzlich machte er ein paar raſche Schritte, ſtand dicht vor dem Bauern, ſtarrte ihn an und rief: „Iſt es möglich?!“ Überraſcht wich jener zurück, aber nur, um ſchon im nächſten Augenblick auf ihn zuzuſtürzen. „Sie! O Gott, Sie — Doktor Roſenzweig!“ ſagte er mit einer Stimme, deren Wohllaut unvergeſſen in der Erinnerung des Alten gelebt hatte. Früher als dieſer gewann er ſeine Faſſung wieder: „So habe ich Sie nicht umſonſt erwartet, nicht vergeblich gehofft, daß Sie auf einem Ihrer Samariterzüge den Weg durch unſer Dorf nehmen würden, um —“ fügte er mit Rückſicht auf das Publikum, das fie umgab, hin- zu — „Ihren Diener Hawryl zu beſuchen.“ „Hawryl —“ ſtammelte Roſenzweig, „Hawryl alſo ... Wie geht's, Hawryl?“ „Überzeugen Sie ſich ſelbſt. Erweiſen Sie mir die Ehre, in mein Haus einzutreten, ruhen Sie ein wenig aus unter meinem Dache.“ Schweigend, noch ganz betäubt, folgte der Doktor dieſer Einladung und ließ ſich zu dem Hauſe geleiten, auf deſſen Schwelle die junge Frau ſtehengeblieben war und ſich bemühte, das kräftige Kind in ihren Armen, das dem Vater jauchzend und mit ausgeſtreck— ten Händchen entgegenſtrebte, feſtzuhalten. 119 „Mein liebes Weib, Herr Doktor“, ſprach Haw— ryl, und zu ihr gewandt: „Heiße ihn willkommen, Magduſia, einen werteren Gaſt kann uns der Him⸗ mel nicht ſchicken.“ Ihr Geſicht ſpiegelte die Freude, die ſich auf dem ihres Mannes malte, rein und innig wider: „Seien Sie ſchön gegrüßt, Herr“, ſagte ſie und lachte ihn mit ihren großen Augen treuherzig an. Nathanael war wie im Traum. Erſt in der Stube, allein mit Hawryl, begann er ſich von ſeinem Stau⸗ nen zu erholen: „Sie leben! — Menſch, Sie leben! Iſt das auch wahr, daß Sie leben? Aber wenn es wahr iſt, ſo ſtehen Sie doch nicht ſo gleichgültig da —“ „Gleichgültig?“ rief Hawryl. „So reichen Sie mir doch die Hand!“ Zum zweitenmal hielt er ſie in der ſeinen — eine andre als damals, eine derb gewordene Hand, deren Beſitzer den Bauern nicht nur ſpielte. Sie nahmen Platz am Tiſche, der mitten in der freundlichen Stube ſtand, und lange dauerte es, be⸗ vor Hawryl, immer von neuem durch die verwun⸗ derten Ausrufungen des Doktors unterbrochen, die ſeltſame und doch fo einfache Geſchichte feiner Ref- tung beenden konnte. Zunächſt ſchrieb er ſie der Kleidung zu, die er trug, als er bei der Kirche in Podgorze verwundet wurde 120 · und für tot liegenblieb. Er war, da ſich noch Leben in ihm fand, mit andern Landleuten und Soldaten ins Spital nach Krakau gebracht worden. Dort hatte er das Bewußtſein wiedererlangt, bald aber auch die Überzeugung, daß der Arzt, der ihn behandelte, ihn keineswegs für einen Bauern hielt. Später verrieten ihm einige, wie abſichtslos hingeworfene Worte des Doktors, daß er von ihm erkannt worden war. An dem Tage, an dem man ihn für geheilt er— klärte, kam der Direktor, ein Pole — man hatte die Spitalsleitung noch nicht gewechſelt — in die Re⸗ konvaleſzentenſtube. Der Agitator ſah dieſen Mann damals zum erſten⸗ und letztenmal in ſeinem Leben. „Du heißeſt Hawryl Koska,“ ſagte er zu ihm, „biſt ein aus dem Königreich zugereiſter Untertan des Gra⸗ fen Branſki, der dich nach feiner galiziſchen Herr— ſchaft, auf ein Bauerngut, überſiedelt. So leſe ich in deinem Paſſe. Iſt das richtig?“ Und ohne die Antwort abzuwarten, reichte er ihm einen auf den Namen Hawryl Koska lautenden, mit einer auf ihn paſſenden Perſonalbeſchreibung verfehe- nen Paß, wandte ſich an ſeinen Nachbar und ließ den Umgetauften ſtehen. „In der verworrenſten Gemütsſtinnmung, Freund,“ rief Hawryl, „in der ein Menſch ſich befinden kann. Ich hatte zuverſichtlich erwartet, nach meiner Gene- e fung vor Gericht gebracht und als einer der Unruh⸗ ſtifter erſchoſſen zu werden, und hatte mich auf den Tod vorbereitet wie ein gläubiger Chriſt. Und nun ſollte ich leben. — Mein erſtes Gefühl war das der Enttäuſchung, mein erſter Gedanke ſchon ein Gedanke des Hochmuts: Gott ſpart dich auf. Er will nicht dei⸗ nen Tod, er will deinen Dienſt. Das Werk, das zu beginnen du auserſehen warſt, du ſollſt es auch voll⸗ enden. „Von dieſem ſtolzen Glauben erfüllt, trat ich ins Volk und wurde fein Genoſſe; ſcheinbar ein Glei⸗ cher unter Gleichen, in meinen eigenen, eitlen Augen — ein verkleideter Prophet. O Freund! ein einziges Jahr dieſes Lebens, und der vermeinte Prophet war ein demütiger Menſch geworden. Das für erreichbar gehaltene Ziel rückte in unabſehbare Fernen. Zu der Kirche, die ich mit einer herrlichen Kuppel krönen wollte, war der Grundſtein noch nicht gelegt, ja, der Boden für ihn noch nicht ausgehoben! Nicht die Ar⸗ beit des Künſtlers war zu tun, ſondern die des be⸗ ſcheidenen Taglöhners. Das erkannte ich. Und nun — wäre ich nicht ein elender Wortheld geweſen, wenn ich es verſchmäht hätte, mich an die⸗ fer Arbeit, dieſer allerwichtigſten, zu beteiligen?. So griff ich denn zu Schaufel und Spaten, nicht bloß im bildlichen Sinn. Das Kruzifix, in deſſen Ne Zeichen ich dereinft zum Kampfe ſchritt — da hängt es über dem Bette meiner Kinder. O ſehen Sie die ausgebreiteten Arme der Liebe, die verwundete Bruſt, das geneigte, edelſte Haupt... Wer darf ſich ver— meſſen, in dieſes Verſöhners Mamen aufzurufen zu Kampf und Streit?“ Er ſeufzte, aber ſein Angeſicht bewahrte den Aus⸗ druck fiefften, klaren Friedens, und mit einem hei⸗ teren Lächeln fuhr er fort: „So finden Sie den gefährlichen Agitator wieder. Ach, wenn ich an meinen Ausgang denke, an alles, was ich gehofft, was ich mir zugetraut habe — und jetzt! Vergnügt lege ich mich zur Ruhe und preiſe den Tag, an dem es mir gelungen iſt, den Jan abzuhal⸗ ten, ſein Weib zu prügeln, den Martin, in die Schenke zu gehen, oder den Baſil dahinzubringen, feinen alten Pflug in den Winkel zu werfen und mit dem neuen auf den Acker zu fahren.“ „Ihr Geheimnis aber,“ fragte Nathanael, den Gang des Geſpräches unterbrechend, „war das nie in Gefahr verraten zu werden?“ „Der vorige Gutsherr hat es mit ins Grab ge⸗ nommen. Für ſeinen Nachfolger bin ich ein Bauer wie ein andrer.“ — „Ein Bauer! Ein Bauer! ... Und fo wollen Sie es forttreiben bis an Ihr Ende?“ 123 · — „Bis an mein Ende, und ich glaube nicht, da- mit etwas Großes zu tun und meinen Nächſten mehr zu geben, als ich von ihnen empfange. Ich bin kei⸗ neswegs immer ihr Lehrer, ſie ſind auch die meinen. Ihre Freuden zu teilen, vermag ich nicht, aber in Leid und Schmerz haben wir uns oft gefunden. Ich habe Bauern vor ihrem verhagelten Feld, ich habe Mütter an der Leiche ihrer Kinder ſtehen geſehen und Ehrfurcht gefühlt. Selten iſt mir einer von ihnen verachtungswürdig erſchienen, aber hundert unzählige Male beklagenswert.“ In ſeinem Auge leuchtete die alte ſchwärmeriſche Glut, ſeine gebräunten Wangen erbleichten vor in⸗ nerer Bewegung: „Es iſt ein Schatz an Geduld, Ausdauer, helden⸗ mütiger Ergebung in einen höheren Willen in dieſem Volke, den alle Mißhandlung, die es erfahren hat, nicht zu erſchöpfen vermochte. Aber ſeines Reichtums unbewußt, ſtreut es ihn aus und erwirbt nichts dazu. Die Einſicht fehlt und mit ihr das Wirken der kä⸗ tigen, ſittlichen Kräfte. Genug! Genug! das alles wiſſen Sie ſo gut wie ich, und ſomit auch, daß es vieles nicht geringe zu tun gibt auf meinem geringen Poſten. Ihn auszufüllen, reicht mein Können gerade hin. Hawryl Koska wird nicht umſonſt gelebt haben. — Der Sendbote iſt geſtorben, ohne einen Jün⸗ ger zu hinterlaſſen.“ 124 | N „Einen doch!“ rief Nathancel. „Einen, den Sie aus den Reihen Ihrer eifrigſten Gegner geholt ha⸗ ben. Einen Mann, deſſen Zwecke irdiſcher Matur ge— weſen ſind, deſſen Herz an verlierbaren Gütern ge⸗ hangen hat und den Sie den Wert der unverlier⸗ baren kennengelernt haben. Sendbote! da ſteht er vor Ihnen, Ihr Jünger in weißen Haaren.“ Beide waren zugleich aufgeſprungen, fielen einan⸗ der in die Arme und hielten ſich feſt umſchlungen. 125 I Di einen nennen den Jakob Szela einen Volks⸗ führer, die andern einen Volks ver führer; die erſten ſehen in ihm ein Muſter „ſchöner Loyalität“, die zweiten einen Räuber und Mordbrenner. Jene ver⸗ ehren ihn als einen Geſetzeskundigen und Weiſen, während ihn dieſe für einen Winkelſchreiber und Ra⸗ buliſten erklären. Kaum iſt jemals über eine geſchicht⸗ liche Perſönlichkeit ſo verſchieden geurteilt worden, wie über den galiziſchen Bauern Jakob Szela, Grund⸗ wirt zu Smarzowa im Tarnower Kreiſe. Nicht ein⸗ mal das Alter, in dem er ſich Anno 1846 — dem für Galizien ſo wichtigen und unglücklichen Jahre — be⸗ fand, iſt feſtgeſtellt. Er war damals ſechzig Jahre alt und im Voll⸗ beſitze ſeiner Kraft, ſagen ſeine Ankläger. Er war ein ſiebzigjähriger, gebrochener Greis, ſagen ſeine Be⸗ wunderer. Nur in einem Punkte ſtimmen alle über⸗ ein, alle beſtätigen, daß große Macht in den Händen dieſes Mannes lag, dem Tauſende ſeiner Standes⸗ 126 · genoffen unbedingtes Vertrauen ſchenkten und blind gehorchten. Gleich nach ſeiner Erwählung zum Gemeindedepu— tierten hatte er einen Prozeß gegen die Gutsherrſchaft beim Kreisamt anhängig gemacht. Er bewies, daß die Gutsherrſchaft ſich im Verlauf von ſechsundfünfzig Jahren von der Gemeinde Smarzowa wöchentlich um achtzig, in Summa einmalhundertzweiunddreißig⸗ tauſend, neunhundertundſechzig Robottage mehr hatte leiſten laſſen, als jene zu leiſten ſchuldig geweſen war, und verlangte Schadenerſatz. Das Kreisamt nahm die Klage an, ſuchte aber Szelas Forderung zu ver: mindern. Der wollte jedoch kein Jota von ſeinem Rechte ablaſſen, reſpektive von dem Rechte derer, die er zu vertreten hatte, wollte auch auf keinen, noch ſo gut gemeinten Vorſchlag zu einem Ausgleich ein⸗ gehen und legte eine ſolche Halsſtarrigkeit an den Tag, daß der Kreishauptmann, Ritter von Breinl, ſich endlich entſchloß, den Vorſtellungen der Guts⸗ herren von Smarzowa nachzugeben und in die Enk⸗ ſetzung Szelas als Gemeindedeputierten und Bevoll— mächtigten zu willigen. Gegen den Ausſpruch rekurrierte Szela ſogleich beim Gubernium, wurde jedoch abgewieſen und ver⸗ mahnt, ſich an die kreisamtliche Entſcheidung zu hal⸗ ten. Szela überlegte eine Weile und wandte ſich dann mit einer klaren Darlegung des Sachverhalts an die 127 · Hofkanzlei in Wien. Binnen kurzem erfloß von dort die Kaſſierung der Entſcheidungen des Kreisamts ſo⸗ wohl wie des Guberniums. Die beiden Stellen er⸗ hielten den Befehl, Szela, gegen den als Gemeinde⸗ vertreter nichts einzuwenden ſei, auch ſonſt Ungün⸗ ſtiges nicht vorliege, nach wie vor als Deputierten ſei⸗ ner Ortſchaft anzuerkennen. Dieſer Beſchluß erweckte in der Landbevölkerung eine grenzenlofe Begeiſterung und Dankbarkeit für die kaiſerliche Regierung und ſteigerte Szelas Anfehen auf das höchſte. Der Prozeß nahm ſeinen Fortgang und war nahe daran, zugunſten des Klägers entſchieden zu werden, als die Revolution ausbrach, die einzige, in der das Volk den Ausſchlag gab, indem es gegen ſeine vor⸗ geblichen Befreier Partei ergriff. Kein Wunder, daß Szela bei dem merkwürdigen Ereignis eine große Rolle ſpielte — ſpielen mußte; die Konſequenzen ſei⸗ ner langjährigen Wirkſamkeit traten zwingend an ihn heran, und den ſchlichten Bauer hat es wohl ſelbſt befremdet, als er, eines Morgens erwachend, die Senſe in ſeiner Hand in ein Richtſchwert verwan⸗ delt ſah. Ob er es zum Heil oder Unheil geführt, ob er das rings auflodernde Feuer anzufachen oder zu dämp⸗ fen geſucht hat, darüber ſteht den für oder wider ihn Eingenommenen kein Urteil zu. Maßgebender für eine Charakterſtudie des Bauernhäuptlings dürfen die Be⸗ 128 · richte eines kürzlich in Zabno verſtorbenen Mannes ſein, der den Szela perſönlich gekannt, ihm aber fern— geſtanden hat und „sine ira et studio“ von ihm zu ſprechen pflegte. Der Mann war der alte Sikorſki, ehemaliger Ka⸗ ſtellan im Schloſſe des Grafen O., eines Grenznach⸗ bars der Herren von Bogufz, Eigentümer von Smar⸗ zowa. Sikorſki hatte in ſeiner Jugend beim Militär gedient, ſeines Fahneneides nicht vergeſſen, und küm⸗ merte ſich um Politik nicht im geringſten. Er folgte darin dem Beiſpiel ſeines Herrn, der auch viele Jahre Soldat geweſen war und dieſe Zeit als die fröhlichſte feines Lebens bezeichnete. Die glücklichſte für den Gra- fen, die ſeiner Ehe, hatte nur wenige Jahre gedauert. Nach dem Tode ſeiner Gattin, die ihm drei ſchöne und kräftige Söhne hinterlaſſen, gab er ſich anfangs einer unmäßigen Trauer hin, ſuchte aber dann Zer⸗ ſtreuungen. Er kutſchierte in der Machbarſchaft herum, hielt ſich monatelang in Lemberg auf, verbrauchte mehr Geld, als er einnahm, drückte ſeine Pächter und wurde feinen Bauern ein harter Herr. So ſchlecht es denen jedoch erging, von ihren Großeltern konnten ſie hören, daß die jetzige Zeit Gold ſei im Vergleich zur früheren, welche die Metapher von dem an den Pflug geſpannten Bauern zur buchſtäblichen Wahr⸗ heit gemacht hatte. Damals koſtete es den Edelmann keinen Kreuzer, wenn er einen eigenen Untertan — 5 v. Ebner⸗Eſchenbach 129 und nur fünfzehn polniſche Gulden, wenn er einen des Nachbars erſchlug. Der Graf fühlte für Szela immer eine gewiſſe Vorliebe, hielt ihn an, wenn er ihm begegnete, ſprach und ſcherzte mit ihm, demütigte ihn übrigens mit⸗ unter auch recht grauſam. Er haßte Szelas Guts⸗ herren von Herzen wegen ihrer Öfterreich feindlichen Geſinnung, er hätte ihnen alles Schlimme gegönnt; aber daß ihnen Schlimmes durch einen ihrer eigenen Bauern zugefügt wurde, das war ihm doch nicht recht. Die Entſchließung des Kreisamtes in bezug auf Szela hatte er als eine Ungerechtigkeit getadelt, die Ent⸗ ſchließung der Hofkanzlei entrüſtete ihn als eine Un⸗ klugheit. — „Das überſteigt die erlaubten Grenzen“, ſagte er; „das iſt zu arg. Das heißt jede unmittel⸗ bare Autorität dem Landvolke gegenüber untergra⸗ ben.“ Von dem Tage an grollte der Graf dem Szela und wurde gar eifrig in ſeiner Mißſtimmung beſtärkt durch einen jungen Mann, dem er viel raſcher, als ſonſt in ſeiner Art lag, ſein Vertrauen geſchenkt hatte, durch den Mandatar Jaslo. Der Mandatar war überhaupt eine wichtige Per⸗ ſönlichkeit in der Umgebung des Grafen, ein bild⸗ hübſcher Burſch von äußerſt einnehmendem Weſen, mittelgroß, mager wie ein Windhund, geſchmeidig wie eine Katze und klug wie eine Schlange. Der Graf 130 ſtand unter feinem Einfluß, die jungen Grafen waren von ihm bezaubert. Joſeph, der Erſtgeborene, betete ihn förmlich an und wich nicht von ſeiner Seite. Im Herbſt 1845 kam eines Tages Szela zu dem Kaſtellan Sikorſki und bat, ihn beim Grafen zu mel- den. Eine ſolche Freiheit hatte Szela ſich nie heraus- genommen, und Sikorſki ſagte erſtaunt zu ihm: „Ich dich melden? Was fällt dir ein? Nicht einmal, wenn der Herr Graf gut aufgelegt wäre, täte ich's; wie denn heute, da er ſich in ſeiner übelſten Laune be— findet, weil der Verwalter ihm nicht ſo viel Geld gebracht hat, als er auf die morgige Reiſe mitnehmen wollte.“ Szela entgegnete, wenn der Herr Graf morgen ſchon wieder verreiſe, liege deſto mehr daran, daß er ihn heute noch ſprechen könne. Und er wußte dem Kaſtellan die Sache ſo dringend zu machen, ihm die Verantwortung, die er auf ſich lade, wenn er ihm nicht eine Audienz verſchaffe, als eine fo ſchwere vor- zuſtellen, daß Sikorſki ſich zum Grafen begab und ihm die gehorſamſte Bitte des Szela vortrug. Der Graf ſprang vom Schreibtiſch auf, an dem er vor unordentlich durcheinandergeworfenen Rechenbüchern und Schriften geſeſſen hatte und rief: „Herein mit ihm!“ Der Kaſtellan ſtutzte; ihm wurde heiß. Dieſen rauhen Klang in der Stimme ſeines Herrn kannte 5* 131 er und wußte im voraus, was Szela zu erwarten hatte. Er ging nach ſeinem Zimmer zurück und riet dem dort Harrenden: „Glaub' mir, lauf noch jetzt davon. Ich will ſagen, daß du im letzten Augenblick den Mut verloren haft, vor den Herrn zu treten. Das wird ihm in den Kram paſſen und ihn beſänftigen.“ „Kann nicht ſein,“ murmelte Szela, „geh du voran, Pan Kaſtellan, ich folge.“ So begaben ſie ſich auf den Weg. „Was willſt du?“ ſchrie der Graf dem Szela entgegen. Als der jedoch ſich tief verneigte und voll Reſpekt an der Tür ſtehenblieb, da war's, als ob ſein Anblick den Grafen umſtimmte. Und in der Tat beſaß der alte Grundwirt, obgleich er ungewöhnlich klein und ſchmächtig war, ein gar ehrwürdiges Aus⸗ ſehen. Zufällig hatte er ſich gerade unter das Bild des Theuerdank geſtellt, das an der Wand hing, und jedem Menſchen mußte die Ahnlichkeit zwiſchen den beiden Köpfen auffallen, dem des großen Kaiſers im ſamtenen, pelzverbrämten Jagdkleide, und dem des armen Bauers im weißen Leinwandkittel. „Was willſt du?“ wiederholte der Graf. „Ich möchte untertänigſt bitten, unter vier Augen mit dir ſprechen zu dürfen, hochgeborner Herr.“ „Unter vier Augen? ... Du biſt keck! Ich habe keine Geheimniſſe mit dir. Sprich vor dem Kaſtellan oder pack' dich.“ 132 - „Du haſt zu befehlen, gnädigſter Herr“, antwor— tete Szela, ohne eine Miene zu verziehen — er hatte wohl keinen andern Empfang erwartet. „Ich bin ge— kommen, um dich zu warnen; du befindeſt dich in einer großen Gefahr.“ „So. ..“ Der Graf zwirbelte an feinem Schnurr— bart und trat näher auf Szela zu: „Mich zu war— nen, kommſt du, und vor wem?“ „Vor einem deiner Diener, der dich beſtiehlt.“ „Beſtiehlt?“ „Ja, hochgeborener Herr Graf. Er ſtiehlt dir das liebſte, das du haſt — deine Kinder.“ „Was ſoll das heißen? Welchen Unſinn ſchwatzeſt du?“ „Laß dich herab, mich anzuhören“, flehte Szela. „Du haſt einen Mann im Hauſe, der zu den Polen hält und ein Feind des Kaiſers iſt.“ „Wohl auch dein Feind?“ fragte der Graf höh— niſch, und Szela, ohne die Ironie dieſer Worte zu verſtehen, gab mit ruhiger Stimme zur Antwort: „Freilich, Herr. Der Feind des Kaiſers iſt auch mein Feind.“ „Aha!. . . Wie heißt der Mann, von dem du re— deſt?“ „Jaslo, Pan Jaslo, der Mandatar.“ Jetzt brach das Gewitter los: „Hund, niederträch— tiger, verleumderiſcher Hund! Meinen beſten Die⸗ 133 · ner wagt die Beſtie zu begeifern, weil fie weiß, daß fie bei ihm nicht in Gnaden ſteht? .. Weil Jaslo wie jeder Vernünftige ſagt: Unrecht getan hat die Hofkanzlei, indem ſie auf den Rekurs des frechen Kerls anders geantwortet hat als mit einer Anwei⸗ ſung auf fünfzig Stockſtreiche?“ „Es iſt mir zu Ohren gekommen, gnädiger Herr, daß Pan Jaslo ſo ungebührliche Reden führt.“ „Und deshalb alſo? ... Dem ſoll ich den Mund ſtopfen? Ein Menſch, meinſt du, der bei der Hof— kanzlei Gehör gefunden hat, wird auch bei einer Herr⸗ ſchaft Gehör finden? Aber da haft du dich verrech— net... Die Herrſchaft holt nach, was die Hofkanzlei verſäumte .“ Dem Grafen quollen die Augen aus dem Geſicht, ſeine Lippen waren weiß; er ballte die Hand um einen Reitſtock, den er vom Wandgeſtell geriſſen hatte, und ein Hagel von Schlägen fiel auf den Kopf und die Schultern des Bauers. Dieſer ſtand unbeweg⸗ lich, zuckte nicht einmal; nur eine grenzenloſe, ver⸗ zweiflungsvolle Traurigkeit ſprach ſich in feinem fal- tigen Antlitz aus. Plötzlich war's, als ob den Grafen Scham er⸗ griffe über das Büttelknechtsamt, das er ausübte. Statt ihn zu beſänftigen jedoch, reizte ihn der Ge⸗ danke nur zu größerer Wut gegen den, der ihn dahin gebracht hatte, ſich ſo zu entwürdigen. 134 Szela tat nicht das geringfte, um feinen Grimm zu mildern. „Ich brauch' mir im Grund deine Schläge nicht gefallen zu laſſen, gnädiger Herr“, ſagte er, als der Graf ſeinem Stock Ruhe gönnte. „Deſſenunge— achtet bitte ich dich: ſchlag' zu! aber nimm dir meine Warnung zu Herzen.“ Natürlich tobte darauf der Graf noch ärger als früher. Kein Schimpfwort, das er dem Szela nicht zugeſchrien hätte. Zum Schluß ſchwor er einen ſo törichten Eid, wie ihn nur der raſendſte Zorn ein: geben kann: Lieber wollte er untergehen, lieber ſeine Kinder vor ſeinen Augen ſterben ſehen, als ſeine oder ihre Rettung einem elenden Kerl von Bauern dan- ken zu müſſen. „Hinaus! Hinaus mit dir, du lüg⸗ neriſcher Schurke! und wenn du dich je wieder blicken laſſen ſollteſt, dann hüte dich vor den Hofhunden.“ Das war der Reiſeſegen, den Szela mitbekam. Der Kaſtellan nahm den Alten mit auf ſeine Stube und brachte ihm Waſſer, um ſein blutrünſtiges Ge⸗ ſicht zu waſchen. Ihn jammerte des ſchwer Mißhan⸗ delten, er konnte ſich aber doch nicht enthalten, ihm zu ſagen: „Recht iſt dir geſchehen. Warum haſt du durchaus zu ihm gehen müſſen!“ Szela rieb ſich die zerbläuten Schultern mit dem Rücken der Hand: „Armer Herr Graf — für ſo verblendet hätte ich ihn nicht gehalten. Armer Herr! Ganz betört hat ihn der polniſche Schwätzer. Bete 135 zu Gott, Herr Kaſtellan, daß er das große Unglück abwende, das dieſer Menſch über den armen Herrn Grafen und ſein ganzes Haus bringen kann.“ Am Nachmittag ließ der Graf den Mandatar ru⸗ fen und hatte eine lange Unterredung mit ihm. Ver⸗ ſtört und bleich war Jaslo in das Zimmer ſeines Herrn getreten, wohlgemut und friedlich kam er wie⸗ der heraus. Das leibhaftige gute Gewiſſen könnte nicht in liebenswürdigerer Geſtalt einhergehen. Der Kaſtellan begegnete ihm im Gange und ärgerte ſich ſpäter darüber, daß er dem jungen Mann für ſeinen Gruß gar ſo freundlich gedankt hatte. Aber das war es ja, daß er einen immer wieder gewann. Wer ihn ſah, konnte nichts Schlechtes von ihm denken. Viel⸗ leicht, weil er ſelbſt in dem Glauben handelte, recht zu fun, indem er alle, die einer andern Partei ange⸗ hörten als er, zu betören und zu verführen oder zu — verraten ſuchte. Nach der Abreiſe des Grafen begann er übrigens ſein Spiel ziemlich offen zu treiben. Er ſchien ſich das Vorgehen des Herrn Longchamps, Güterkommiſ⸗ ſärs beim Fürſten Sanguſzko, zum Muſter zu neh⸗ men, der, ſobald der Fürſt ſeine Reſidenz verlaſſen hatte, um ſich zum Winteraufenthalt nach Paris zu begeben, Schloß Gumniſk zu einem Vereinigungs⸗ punkte für Anhänger, Agenten und Emiſſäre der Propaganda aus allen Ecken und Enden Weſtgali⸗ 136 ziens machte. Mit diefen Leuten verkehrten Jaslo und Graf Joſeph beſtändig; und auch die jüngeren Grafen, deren Hofmeiſter der Beredſamkeit Jaslos lange widerſtanden hatte, jetzt aber anfing, ſchwan— kend zu werden, ſangen: „Jeſzeze Polſka“ und freu— ten ſich in ihrer kindiſchen Weiſe auf den baldigen Ausbruch der Revolution. Seltſam war die Stimmung im Dorf. Am Sonn⸗ tag Sexageſimä fanden ſich bedruckte fliegende Blät— ter auf den Bänken in der Kirche vor und wurden von den meiſten Andächtigen — aus gutem Grunde ungeleſen — ins Gebetbuch gelegt. Die wenigen aber, die gelehrt genug waren, um ſich mit ihrem Inhalt vertraut zu machen, erfuhren daraus, der Biſchof von Jeruſalem habe, während er das heilige Meßopfer darbrachte, eine Stimme vom Himmel vernommen. Das Gebet, das fie geſprochen, teile er hier der Chri⸗ ſtenheit in Polen zu ihrem Nutz und Frommen mit. Jeder, der es nachgebetet, ſei verpflichtet, es ſieben⸗ mal abzuſchreiben und an andre zu verteilen. Er werde dann als ein Gefeiter durch die drohenden Gefahren wandeln. Bald müſſe das Blut ſtromweiſe fließen; nachher aber ſtehe eine geſegnete Zeit in Ausſicht, in der die Früchte der Erde in unerhörter Fülle ge: deihen und die Ländereien blühen würden gleich einem Paradieſe. Ströme Blutes! — Oft ſchon hatten die Bauern 137 gehört, Ströme Blutes werden fließen; jetzt hieß es: fie müſſen fließen; durch den Mund des Hei⸗ ligen wurde es verkündet. Wenn aber Blut ſtrömen ſoll, muß es vergoſſen werden, und wer ſoll es ver— gießen ? ... Wer anders als die, deren Sache es iſt, auf den Feldern, die es düngen wird, zu ſäen und zu ernten? .. So ſchloſſen die meiſten; nur einige ängſtliche Seelen waren der Meinung: „Weit ge⸗ fehlt! Die polniſch geſinnten Herren werden uns um⸗ bringen, uns Auſtriaci!“ Ein dumpfer Druck lag auf allen Gemütern, den nur da und dort das Aufblitzen eines wilden Entſchluſſes, eine Verheißung der Rache für mehr als ſechshundertjährige Bedrückung unter⸗ brach. Auf dem Kreisamt herrſchte rege Tätigkeit; täglich wurden neue Verſchwörungen entdeckt und neue Verhaftungen vorgenommen. Jeder Freund des Friedens fing ſchon an zu hoffen, es werde den Ruhe⸗ ſtörern das Handwerk bald gelegt ſein, als grauſige Gerüchte aus der Nachbarſchaft in das Dorf dran⸗ gen. Die Edelleute, erzählte man ſich, wollen ihre Bauern zum Kampf gegen die Regierung aufſtacheln und werden von den Bauern erſchlagen; ihre Häu⸗ ſer, ihre Kaſtelle werden ausgeplündert und in Brand geſteckt. In der Nacht des 18. Februar ging Sikorſki, von namenloſer Bangigkeit gepeinigt, von Zimmer zu Zimmer. An dem der kleinen Grafen lauſchte er; da 138 war alles ftill, fie ſchliefen. Im großen Saal mit den ſechs hohen Fenſtern traf er den Grafen Jo— ſeph, der aufmerkſam in die Ferne hinausſpähte. Der Mond war noch nicht aufgegangen, die Nacht aber ſchnee- und ſternenhell. An zwei Punkten des blau- grauen Horizontes wallten von feurigen Funken durchſprühte weißliche Rauchſäulen empor. „Um Chriſti willen!“ ſeufzte Sikorſki, „zwei Dörfer bren- nen!“ „Das dritte noch nicht, und das iſt ſchlimm,“ ſprach Joſeph, „viel ſchlimmer als du denkſt, alter Si⸗ korſki.“ Der Kaſtellan entſetzte ſich über dieſe Worte und fragte den jungen Herrn, wie er, der doch ein gutes Herz habe, ſolche Reden zu führen imſtande ſei? Jo- ſeph lächelte und erwiderte mit einer altklugen und kalten Miene, die ihm ein ganz verändertes Aus⸗ ſehen gab: „Was willſt du? Einen Pfannkuchen be⸗ reitet man nicht, ohne Eier zu zerſchlagen.“ | Es wurde Mitternacht. Joſeph blickte unverwandt nach einem dunkeln Fleck am Horizonte aus, den end⸗ lich das ſanfte Licht des Mondes, aber nicht das eines Schadenfeuers erhellte. Am nächſten Morgen, in aller Gottesfrühe, ſandte Pan Jaslo den Sikorſki mit Briefen auf die Poſt, nach dem Städtchen, das im Schlitten mit guten Pferden in einer Stunde zu erreichen war. Dort wurde 139 dern Kaſtellan eine große Anzahl Neuigkeiten mitge⸗ teilt, die ihm die Haare zu Berge trieben. Er erfuhr, in welcher Gefahr ſich die Edelleute überhaupt, ins⸗ beſondere aber jene befanden, die ſich der Revolution angeſchloſſen hatten. „Wenn Euer Graf in Lem⸗ berg iſt,“ ſagte der Poſthalter, „kommt er gewiß heut oder morgen zurück. Es ſind reitende Boten mit Alarmnachrichten nach der Stadt geſchickt worden.“ Faſt närriſch vor Angſt ſtieg Sikorſki wieder in den Schlitten und hieß den Kutſcher nach Hauſe jagen, ſo raſch die Pferde laufen konnten. Als er ins Dorf kam, ſah er ſchon die Bauern ſcharenweiſe auf dem Wege nach dem Schloſſe be— griffen. Jeder von ihnen trug eine Senſe oder einen Dreſchflegel auf der Schulter. „Wohin?“ fragte Sikorſki. „Wie du ſiehſt, ins Schloß. Der Herr Manda⸗ tar hat uns befohlen, die Senſen gerade zu nageln und uns auf der Wieſe vor dem Haustor aufzuſtel⸗ len.“ „Gott verdamm' ihn!“ rief Sikorſki, ſprang aus dem Schlitten und rannte ins Amtshaus, zum Man⸗ datar. Der Vogel war ſchon ausgeflogen und wahr⸗ lich in prächtigem Gefieder. Der alte Diener ſah ihn, gekleidet wie zu einer Hochzeit, eben aus der Halle tre⸗ ten, als er ſelbſt ganz atemlos dort anlangte. Moch prächtiger nahm Joſeph ſich aus in der reichen pol⸗ . 140 . niſchen Tracht, den Säbel umgeſchnallt, zwei Pi- ſtolen im Gürtel. Er ſtand zwiſchen ſeinen jüngeren Brüdern, und auch dieſe Kinder, die ſich freilich Jünglinge dünkten, waren gekleidet und bewaffnet wie die Erwachſenen. Einige Dominikalbeamte und ein halbes Dutzend Herren, die Sikorſki bisher nie zu Geſicht bekommen hatte, bildeten ihr Gefolge. Der Ortsgeiſtliche hielt ſich neben ihnen. Eine Menge Schlachtſchitzen, kleine Edelleute aus der Umgebung, waren angefahren und geritten ge- kommen und tänzelten um Jaslo herum. Wenn er feierlich daſtand wie ein Hochzeitsgaſt, ſo gebärdeten ſie ſich, als ging's zu einem Balle. „Da bin ich!“ rief der Kaſtellan ſchon von wei⸗ tem, „hört meine Nachrichten!“ Aber den Herren war es nicht um ſeine Nachrichten zu tun. Sie wink⸗ ten ihm zu ſchweigen, ſchoben ihn hinweg oder ver— höhnten die Feigheit und Leichtgläubigkeit, der ſie die Warnungen zuſchrieben, die er dem und jenem zu⸗ flüſterte. Daß er ſie vor den Bauern nicht laut aus⸗ ſchreien durfte, das verſteht ſich von ſelbſt. Und dieſe Bauern! Ihr Zuſtrömen wollte kein Ende nehmen. Ein Schwarm nach dem andern mar⸗ ſchierte herein. Das Gedränge wurde immer ärger, der Raum immer beengter. Links vom Schloß be— grenzte ihn das Gitter zwiſchen Garten und Straße, rechts eine ſteile Böſchung. Wie auf Verabredung r hatten ſich die Leute um drei Männer, die alle an⸗ dern hoch überragten, in Treffen geſchart: in der Mitte des Planes um den Urlauber Sabata, der in Lemberg, in der zweiten Kompagnie des Grenadier⸗ bataillons, als Flügelmann ſtand. Mächſt der Bö⸗ ſchung umſtanden fie den Geſchworenen Iwan, den ſtärkſten Branntweintrinker im Orte, ein harmloſer Rieſe, wenn er ſein Räuſchlein hatte, ein zornwü⸗ tiger Krakeeler, wenn er nüchtern war. An der Seite des Gitters drängten ſich die Leute um Wisniak, den trockenen Spaßmacher, der nie lachte, und den eine Prügelſtrafe noch nie zum Jammern gebracht hatte, ein ſechs Schuh langer Kumpan mit einer hohen Schulter und mit einem Geſicht wie aus gebräuntem Eichenholz geſchnitten. Die Edelleute — es mochten ihrer dreißig bis vierzig fein — ftanden in der Halle, ließen ſich durch die Die- nerſchaft Likör ſervieren und tranken auf das Wohl des wiedererwachten Polens. Jaslo und die Gräflein aber ſchritten ganz militäriſch die Front der Bauern ab, und dieſe ſchmunzelten ſo freundlich hinter ihnen her, daß Sikorſki ſchon dachte: „Der Himmel ſei ge⸗ prieſen, ſie lachen! Die ganze Geſchichte läuft bei uns auf einen Scherz hinaus und endet mit einer tüch⸗ tigen Beſchämung des Herrn Mandatars.“ Nun ſtand dieſer ſtill und hielt den Leuten eine Anſprache. Er begrüßte ſie als die Bürger eines neuen 142 · Reiches, in dem es keine Robot, kein Salz- und Ta⸗ baksmonopol geben werde, und forderte ſie auf, unter der Führung des jungen Grafen nach Tarnow zu ziehen, um dort die öſterreichiſche Obrigkeit abzutun und eine polniſche einzuſetzen. Seine Rede, welche die Schlachtſchitzen zu dem ſtets erneuten Rufe: „Vivat Polonia“ begeifterfe, war mit vielen ſchönen Worten von Freiheit und Vaterlandsliebe verziert, und er trug ſie mit Feuer vor. Aber ſie zündete doch nur bei denen, die ohnehin ſchon brannten; auf die Bauern machte ſie keinen andern Eindruck als den der Über⸗ raſchung. Und auch dieſer geringe Erfolg wurde zu⸗ nichte und verwandelte ſich in höhniſche Heiterkeit, als Wisniak, über die Köpfe ſeiner Umgebung weg, dem Mandatar die flache Hand hinſtreckte und ihn ernſthaft bat, ihm auf die eben eröffneten ſchönen und ſicheren Ausſichten — zwei Gulden zu leihen. Zornig brauſte Jaslo auf; doch der Prieſter legte ihm beſchwichtigend die Hand auf den bereits zum Schlag ausholenden Arm und begann ſeine Gemeinde ſelbſt anzureden. Der ſanfte und gütige Herr bebte vor Aufregung; ſeine ſonſt ſo fahlen Wangen färbten ſich, ein Wi⸗ derſchein längſt erloſchener Jugend ſchimmerte auf ihnen, aus den rötlich umränderten Augen leuchtete ſchwärmeriſche Begeiſterung. Er rief ſein Volk in den Streit für die heilige Sache; er verhieß ihren ſieg⸗ e reichen Vorkämpfern den Beſitz eines irdiſchen und ihren Märtyrern den eines himmliſchen Paradieſes. Die übermächtige Empfindung raubte ihm zuletzt die Stimme; er konnte nur ſegnend die Hände erheben, indes die Bauern ſich bekreuzten, die Edelleute einan⸗ der in die Arme fielen, dann die Säbel zogen und ſchwangen, und dem Grafen Joſeph zuriefen, Be⸗ fehl zum Aufbruch zu geben. Der junge Herr tat es, ließ ſich eine Fahne reichen, die einer der Schloßdie⸗ ner bereit gehalten hatte, und entfaltete fie... Der Kaſtellan meinte, der Schlag müſſe ihn treffen — es war die weißrote Fahne, die Joſeph emporhob, und der ſeine Brüder zujauchzten. Ein ſchrecklicher und zugleich rührender Anblick, dieſe drei irregeleiteten Kinder! Guter Gott, wer hätte die Macht ihrer lieblichen Schönheit nicht empfun⸗ den, wer nicht Erbarmen mit ihrer unſchuldigen Schuld? Die dort! durchſchauerte es den alten Diener mit tödlichem Schreck, die gewiß nicht, die jetzt noch da- ſtehen wie eine Herde ängſtlicher Schafe und ſich je— den Augenblick in ein Rudel Wölfe verwandeln kön⸗ nen ... Beginnt es nicht ſchon unter ihnen zu gären? Was ſtecken ſie die Köpfe zuſammen und geſtikulieren und ſcheinen einer den andern in einem gefaßten Ent⸗ ſchluß befeſtigen zu wollen? Der Kaſtellan vernimmt deutlich in ihren halblauten Reden den Mamen Szela. 144 „Vorwärts!“ ruft nun Jaslo, der fich nicht mehr kennt vor Unwillen und Zorn, und die aus ſeinem Anhang rufen drein: „Wenn euch die jungen Herren führen, habt ihr zu folgen!“ „Indeſſen ihr hier zögert und euch beſinnt, ziehen die anderen Bauern mit ihren Herren nach den Kreis- ſtädten und laſſen ſich's dort wohl ſein.“ „Unſer Herr iſt nicht da“, verſetzte Iwan und blickte mit einer offenbar geſpielten Stumpfſinnig⸗ keit um ſich. Der Prieſter ſeufzte und wollte wieder das Wort ergreifen, doch wurde es ihm durch einen Schreiber abgeſchnitten, der ſchon die ganze Zeit hindurch ſeine Beredſamkeit auf eigene Fauſt an den Bauern ge— übt hatte. Er trug einen ſchäbigen Pelz, die Konfe— deraffa baumelte unſicher auf feinem ſpitzen Kopfe, und ein alter Hirſchfänger hing an fettigem Riemen an ſeiner Seite. „Euer Herr iſt gar kein Herr mehr!“ kreiſchte er in gebrochenem Polniſch, „euer Herr iſt kaiſerlich — es gibt nur noch polniſche Herren!“ „Sehen ſie alle ſo aus wie du, die neuen Herren?“ entgegnete Wisniak laut und langſam und ſetzte den Hut auf, den er bisher in der Hand gehalten hatte. Ach, — der Beifall, den dieſe Außerung und dieſe Gebärde erweckten, klang nicht harmlos mehr! In der trägen Maſſe des Volkes war ein unheimliches 145 Leben und Regen erwacht. Haß, Hohn, eine finftere Entſchloſſenheit zum Widerſtand kündete ſich plötz⸗ lich und allgemein an in der Haltung der armen Froner. Aber daß ihnen durch die Bauern Gefahr drohen könne, fiel den Edelleuten nicht ein. Sie warnten, ſie ſchrien, ſie ſchickten ſich an, die vier- und fünffache Überzahl der Landleute zum Gehorſam zu zwingen. Mit der flachen Klinge ſchlugen ſie drein, einige feuer⸗ ten ihre Piſtolen in die Luft. „Nehmt euch in acht!“ rief Iwan ihnen zu, und im ſelben Augenblick rann ihm das Blut über die Wangen. Ein Schlachtſchitz hatte ihm ſein eben leer getrunkenes Glas an die Stirn geworfen. Iwan mußte heute nüchtern fein, denn dieſer Scherz, der ihm im angeheiterten Zuſtand höchſtens, wie man zu ſagen pflegt, „einen Lacher gekoſtet“ hätte, ver⸗ ſetzte ihn in Wut. Mit Geheul brach er aus ſeiner Schar wie ein Raubtier aus dem Dickicht und ſchwang den Dreſchflegel. Der geiſtliche Herr trat ihm ent⸗ gegen mit erhobenem Kruzifix, parierte den Schlag und — ſank lautlos zu Boden, das erſte Opfer des wilden Kampfes, der jetzt entbrannte. Durch das Getümmel drängte ſich der Kaſtellan zu Joſeph heran: „Du biſt betrogen! Überall unter⸗ liegen die Polen, nicht die Kaiſerlichen ... Rette dich, rette deine Brüder. Die andern überlaß ihrem ver⸗ 146 dienten Schickſal ...“ Er hatte ihn am Kleide ge faßt: „Komm! Hinein ins Schloß!“ Joſeph entriß ſich ihm. „Die Polen unterliegen?“ ſtammelte er tonlos und ſchrie dann laut auf: „Den Polen zu Hilfe! Jaslo! Jaslo!“ Der Mandatar hörte ihn nicht, er befdnh ſich im Handgemenge mit dem rechten Flügel der Bauern; von ſeinen Getreuen, die ihm Beiſtand leiſteten, wälzte ſich ſchon einer — der Schreiber — von einem Senſenhieb getroffen, im Schnee. Joſeph wollte auf ſeinen Freund zuſtürzen, die beiden Kleinen folgten ihm auf den Ferſen ... Als fie an Sabata vorüber⸗ kamen, ſtellte der ſich ihnen in den Weg. Mit einem raſchen Griff entriß er dem jungen Grafen die Fahne: „Fort mit dem Fetzen! Ich bin kaiſerlicher Soldat und will den Fetzen nicht ſehen!“ „Dir find auch kaiſerlich!“ tönte es ihm zurück, und ein lauter Jubel erſcholl, als Sabata die Fahne mit Füßen trat, ihre Stange in Stücke brach und ſie in die Schloßfenſter ſchleuderte. Wütend zog Joſeph den Säbel und ſtürmte auf die Bauern ein und — Sikorſki hätte lachen müſſen, wenn ihm das Weinen nicht näher geweſen wäre — die beiden Brüder ihm nach. Die Bauern wehrten ab mit den Stielen der Senſen, wichen etwas zurück. Es bildete ſich eine Bucht in der geſtauten Menſchen— maſſe. Plötzlich ſchloß ſie ſich hinter den jungen Her⸗ 147 · ren, und fie waren den Augen Sikorſkis entſchwun⸗ den. „Ihr Leute! Ihr Leute!“ rief er, „um Gottes willen... Was tut ihr... Auseinander! Platz, ihr Leute, ihr Hunde!“ Er und einige Schloßdiener, die der ganzen Be⸗ gebenheit bisher ſtumm und neugierig zugeſehen hat⸗ ten, warfen ſich den Bauern entgegen. Sie prallten an wie an eine Mauer. Sie ſchrien: „Gebt uns die jungen Herren heraus!“ ſchrien, was ſie konnten, und hörten ihre eigenen Stimmen nicht in dem herrſchen⸗ den Tumult. Die Panowies“ ſchoſſen, die Bauern gebrauchten ihre Senſen und Dreſchflegel mit furcht⸗ barem Erfolg. Das alles ſah Sikorſki noch... auf einmal wurde ihm grau vor den Augen, und ihm war, als ſei ein ſchwerer Stein auf ſeinen Kopf ge⸗ fallen. Er wankte, ſank aber nicht, ein ſtarker Arm empfing ihn, hielt ihn, und als er ſich mit Gewalt zuſammennahm und emporblickte, ſah er in das An⸗ geſicht deſſen, den er ſo gräßlich fürchtete und doch ſo heiß erſehnt hatte — in das Angeſicht ſeines Herrn. Ein wahres Totenangeſicht! und ein grauſiges Wun⸗ der ſchien's, daß dieſe Lippen ſich öffneten und ſpra⸗ chen: „Die Kinder ...“ Er deutete mit ausgeſtreckter Hand auf die Wirbel, die da und dort im Gedränge entſtanden, wie ſie ſich im Waſſer an Stellen bilden, an denen ein ſchwerer * Herren. 148 Gegenſtand untertaucht. Nie hat ein Menſch einen qualvolleren Kampf gekämpft, als damals dieſer Mann, dieſer Vater. Im Begriff vorzudringen, beſann er ſich, die zu reizen, die ſeine Kinder in ihrer Gewalt hatten. Und ſo erhob er eine unvergeßlich ſchreckliche, keuchende, gepreßte Stimme, deren flehenden Ausdruck die wut⸗ ſprühenden Augen, die krampfhaft geſchloſſenen Fäuſte, die Haltung des wie zum Sprung vorgebeug⸗ ten Oberkörpers widerſprachen: „Lieber Sabata! Mein alter Blonſki, und du, Sofka — ich bitte euch, gebt mir meine Kinder her⸗ aus... Ich werde euch ewig dankbar fein.‘ Die Angerufenen blickten einander ſtumm an und rührten ſich nicht. Erſt nach einer tödlichen Pauſe begann einer von ihnen: „Deine Kinder ſind Polen, wir ſind keine Polen. Deine Kinder haben uns zum Hochverrat verleiten wollen, wir aber ...“ Die Fortſetzung ſeiner Rede wurde durch ein ohren— zerreißendes Geſchrei übertäubt. Der Kampf Jaslos und ſeiner Anhänger nahte der Entſcheidung zugun⸗ ſten der Senſenmänner, und der Anblick ihrer über⸗ wundenen, blutenden Gegner wirkte berauſchend auf die Sieger: „Die Prophezeiung! Die Prophezeiung! Das Blut, das in Strömen fließen muß, iſt das Blut der Herren!... Hurra! ſchlagt die Herren tot!“ brüll- ten ſie mit kannibaliſchem Entzücken und gebrauchten 149 · ihre mörderiſche Waffe. Sikorſki ſah den Grafen die unbewehrten Hände gegen den Himmel erheben und dann vorſtürzen in den ſicheren Tod... Möge ein Menſch verſuchen zu ſchildern, wie dem Kaſtellan zumute war, als jetzt der Ruf: „Szela kommt! Szela kommt!“ wild jauchzend in die Lüfte ſtieg. Auf der Straße, vor dem offenen Gittertor, hielt ein Zug von Bauernſchlitten, beladen mit einer gräßlichen Fracht. Landleute aus der Nachbarſchaft führten die Leichen der von ihnen ermordeten Guts⸗ herren auf das Kreisamt nach Tarnow. Dieſer haar⸗ ſträubende Anblick erweckte in der Menge ein Triumph⸗ gefühl, das den höchſten Grad erreichte, als Szela raſchen Schrittes den Garten betrat. Finſter ſchaute er drein, wies alle, die ihm huldigend nahen wollten, rauh hinweg und fragte: „Was tut ihr?“ „Was du getan haſt, Väterchen! Wir erſchlagen die Panowies, die gegen den Kaiſer ſind.“ Er richtete ſeine gebeugte Geſtalt empor und griff ſich nach dem Kopf: „Iſt euer Graf gegen den Kai⸗ ſer?“ „Er nicht, nein, er nicht...“ „Nun denn, ihr Dummköpfe! Ihr Gottverlaſ⸗ ſenen! Wie oft habe ich euch ſchon geſagt: von keinem haben wir etwas Gutes zu erwarten, außer vom Kai⸗ ſer und von den Beamten und Herren, die ihm treu ſind.“ 150 „Wir wiffen es, Väterchen, wir wiffen es.“ „Weh euch, wenn ihr es wißt und nicht danach handelt!“ Beſtürzt ſchwiegen die Bauern, ſcharrten mit den Füßen, neigten ſich demütig. Mur der Urlauber Sa⸗ bata faßte Herz genug, um — den Hut ehrerbietig in der Hand — zu ſprechen: „Der Graf iſt ein ſtrenger Herr.“ „Hol' dich der Teufel — ſtreng! ... Wenn noch fo ſtreng ...“ Er unterbrach ſich, machte eine kurze Pauſe und fuhr fort: „Wenn er dich zweimal ſchlägt, ſo denk': ein polniſcher Herr hätte mich viermal ge⸗ ſchlagen.“ „So denken wir ohnehin, Väterchen.“ „Um ſo beſſer! dabei bleibt und krünnnt mir kein Haar auf dem Haupt eures Herrn! heilig, — verſteht ihr mich? — heilig ſoll jeder öſterreichiſch Geſinnte euch fein! „Er iſt es ja“, meinte Sabata in einiger Verlegen⸗ heit. „Aber ſeine Beamten, Väterchen, ſeine Kin⸗ derte „Wo ſind die Kinder?“ fuhr Szela ihn an und wiederholte heftig, als die Antwort auf ſich warten ließ: „Wo ſind die Kinder eures Herrn?“ — „Ja, wo find ſie? ... Wer hat ſie zuletzt ge⸗ ſehen? — Der Iwan? Nein, der Wisniak, der balgte ſich mit ihnen. Dort, rechts, wo der Bauern⸗ 151 · richter ſteht ...“ Der Bauernrichter will fie nicht ge- ſehen haben. „Sie werden in den Schwarm geraten ſein, der mit den Panowies kämpfte“, ſagte er. „Und wenn ihnen etwas geſchehen iſt, Väterchen, je nun — find Lechi“, Väterchen, und verdienen Strafe.“ „Nicht durch euch! Ihr Vater wird ſie ſtrafen, dem kommt es zu, nicht euch!“ rief Szela in ſchmerz⸗ lichem Zorn. Alle verſtummten, und durch die laut⸗ loſe Stille drang nun ein zitternder Hilferuf, ein Schluchzen und Weinen an ſein Ohr. Er lauſchte, erhob gebieteriſch die Hand — die Menge teilte ſich und gab Raum — In dem Augenblick, in dem Szela an der Spitze der fremden Bauern erſchienen war, hatte der Graf Abrechnung gehalten mit ſeinem Gott und ein ſtum⸗ mes Gebet geſprochen: „Mach's gnädig, Allbarm⸗ herziger! Mach's den Kindern gnädig. Was es jetzt zu erdulden gibt, laß mich es allein erdulden... Schenk' den Kindern ein ſanftes Ende.“ Ein ſanftes Ende unter den Händen wilder Be- ſtien, empörungstoller Sklaven? Welch ein Gebet! Muß man nicht ſelbſt toll ſein, um auf ſeine Erhö⸗ rung zu hoffen? Verzweifelnd hatte ſich der Un⸗ glückliche der berauſchten und blutdürſtigen Horde ent⸗ gegengeworfen und dem erſten, auf den er traf, die Senſe entriſſen, nicht um fein Leben teuer zu ver⸗ * Polen. 152 — — — äòœ——üäͤä4 nn kaufen, ſondern nur im Sterben noch feinen Kindern ein furchtbares Totenopfer zu bringen. Er meinte, der Boden unter ſeinen Füßen ſchwände, meinte das Bewußtſein der Wirklichkeit zu verlieren, als das Gedränge, in dem er ſich eben erſt befunden hatte, nachließ, die Leute auseinanderſtoben und er allein ſtand, zu ſeinen Füßen die Leichen Jaslos und des Prieſters und, in Schmerzen ringend, die Verwun⸗ deten beider Parteien. Auf dem breiten Wege aber, der ſich im Gewühl gebildet hatte, kam Szela lang⸗ ſam herangeſchritten. An jeder Hand führte er einen der Knaben. Der ältere hinkte kläglich, ſchmiegte ſich an ſeinen Erretter und preßte das Geſicht in die Fal⸗ ten von deſſen Gewand. Der jüngere blickte trotzig drein; er war ſehr bemüht, ſeinen zerriſſenen Mantel feſtzuhalten, um zu verbergen, daß ihm die Czemerka in Fetzen von der nackten Schulter hing. Joſeph folgte entwaffnet, den Kopf tief auf die Bruſt ge⸗ ſenkt. Zweifelnd, ungläubig, allmählich auflebend, wie verzückt, ſtarrte der Graf den Nahenden entgegen. Er wollte auf ſie zueilen, aber ſeine Knie brachen, und nur mit bebender Stimme vermochte er auszurufen: „Du bringſt fie mir? ... Du, Szela!“ Er riß feine Kinder an ſich, er bedeckte fie mit Küf- fen, er ſtreckte verföhnend und vergebend feine Hand nach Joſeph aus. Sein Erſtgeborener jedoch hatte ſich 153 auf die Erde geworfen neben den toten Freund und war in ſeinem maßloſen Schmerz taub und blind für alles, was um ihn vorging. Als der Graf, ſich faſſend, die Augen erhob und die Karawane erblickte, die vor ſeinem Hauſe halt ge⸗ macht hatte, ſchauderte er und ſprach, unfähig, ſeinen Abſcheu zu bemeiftern: „Szela! Entſetzlicher! ... Dein Werk?“ „Ich habe es nicht getan“, lautete die Antwort. Feſter drückte der Graf die Köpfe ſeiner Kinder an ſeine Bruſt, um ihnen den ſchreckensvollen Anblick zu entziehen, von dem er ſelbſt die Augen nicht zu wenden vermochte, und murmelte leiſe: „Aber auch nicht verhindert!“ Szela zog die Achſeln in die Höhe; eine harte und unerſchütterliche Ruhe lag auf ſeinem gefurchten Ant⸗ litz: „Ich habe doch die Kinder meines Herrn ge— rettet“, ſagte er, wandte ſich ab und ging von einer Gruppe der Bauern zur andern. Eindringlich und kurz erteilte er ihnen ſeine Befehle. Dicht hinter ihm, wie ſein Schatten ihn geleitend, ſchritt ein düſterer Geſell, bösartigen Ausſehens, der einzige, der ſich unterfing, gegen eine Anordnung des Alten hie und da Einwand zu erheben. Es war ſein Sohn, Stanis⸗ laus Szela, der ausgediente Soldat. Sein Vater drohte ihm mit dem Stocke und ver⸗ wies ihn in die Nachhut des Zuges, der ſich jetzt wie⸗ 154 der in Marſch ſetzte, und den man noch lange ſehen konnte, ſich weiter bewegend zwiſchen den Pappeln der Kaiſerſtraße. Tagsüber gab es im Schloſſe Arbeit genug mit dem Aufbahren der Toten und der Pflege der Ver— wundeten. Die Bauern kampierten auf der Wieſe und im Hofe. Am Abend ließ der Graf ihnen ſagen, ſie möchten nach Hauſe gehen. Aber ſie antworteten, das dürften ſie nicht; es ſei Revolution, und Szela habe ihnen geboten, dazubleiben, um das Schloß und den Herrn vor den herumſtreichenden Inſurgenten und Räuberbanden zu beſchützen. Sein Befehl wurde pünktlich ausgeführt. Die Bauern haben durch volle drei Wochen (ganz ſo wie die des benachbarten alten Grafen Wieſioloſki) einen ruhigen und treuen Wachtpoſtendienſt geleiſtet, wäh⸗ rend ſich ringsum Greuelſzenen ohnegleichen abfpiel- ten. Erſt nachdem die Ordnung im Lande völlig ber- geſtellt war, begaben ſie ſich wieder zurück in ihre Hütten und an ihre Arbeit. Der Graf war von dem Benehmen ſeiner Unter⸗ tanen gewaltig gerührt und machte ihnen viele groß⸗ mütige Verſprechungen, die ihm fein von Dankbarkeit überquellendes Herz eingab. In beſſeren Tagen wur⸗ den auch einige davon erfüllt. — SITES * II. D ie zweite Begegnung mit Szela, deren ſich ©i- korſki bis an ſein Ende lebhaft erinnerte, fand fünf Monate ſpäter ſtatt. Seit dem Beginn des Mätz herrſchte Ruhe im Tarnower Kreiſe. Einige Züge Kavallerie als Streif⸗ kommandos hatten die Ordnung ohne Anwendung von Gewalt hergeſtellt. Die Bauern, die unter den Befehlen Szelas geſtanden, waren die erſten, welche die Waffen niederlegten und ſich, auf die Aufforde⸗ rung des Kreisamtes hin, zur Leiſtung der Robot wie⸗ der bereit finden ließen. In der Nachbarſchaft hat es immer geheißen, er hätte ganz gute Mannszucht gehalten und eine Inſurgentenſchar im offenen Kampfe angegriffen und geſchlagen. Sicher iſt, daß er Plünderungen verhütete, oder, wo ihm das nicht möglich war, doch jederzeit die Auslieferung wertvoller Beuteſtücke an das Kreisamt erzwang. So mancher gefangene Aufrührer verdankte ihm die Erhaltung ſeines Lebens. Er ſchützte ihn vor der Wut der Bauern, indem er ihn den Eid künftiger Treue gegen den Kai⸗ ſer leiſten ließ und ihn dann in ſeine Schar auf⸗ nahm. So gab es denn großes Erſtaunen, als bald nach dem Erlöſchen der letzten Flammen der Empörung Gerüchte der ſchlimmſten Art über Szela auftauch⸗ 156 · fen. Sie bezeichneten ihn als einen Mörderhäupt⸗ ling, der ſengend und brennend, raubend und plün- dernd von Edelhof zu Edelhof gezogen war. Sie ſchil— derten bis ins kleinſte die beſtialiſche Grauſamkeit, mit der er dabei verfuhr, und behaupteten endlich, daß er ſeine langgenährten Rachegelüſte gegen die Edel⸗ leute um ſo ungehemmter befriedigen konnte, als er im geheimen Einverſtändnis mit der Regierung ge— handelt und ſogar — in ihrem Solde geſtanden habe. Der empörende und peinliche Eindruck, den dieſe Verleumdung hervorrief, war ſo groß, der Haß und die Feindſeligkeit, die ſie erweckten, äußerten ſich ſo unumwunden, daß endlich zu ihrer Widerlegung ge— ſchritten und die ſtrengſte Unterſuchung angeordnet werden mußte. Szela blieb auf freiem Fuße in Tar⸗ now, verantwortete ſich in feiner gewohnten ſchlag— fertigen Weiſe und benützte die freie Zeit zwiſchen den Verhören, um einen Brief an den Kaiſer auf- zuſetzen, in dem er um Verminderung der Untertanen⸗ laſten bat. Inzwiſchen hatte der Kreishauptmann Ritter von Breinl die von ihm angeſuchte Verſetzung nach Brünn erlangt, und unter ſeinem Nachfolger im Amte, Czecz von Przemyſl, kam der Prozeß Szelas zum Abſchluß. Das Ergebnis lautete, daß Szela zum Kriminalver⸗ fahren nicht qualifiziert, ſeine Entfernung aus dem Lande jedoch dringend zu befürworten ſei. Worauf 157 Jakob Szela, der Grundwirt und ehemalige Gemeinde⸗ deputierte, den Befehl bekam, nach der Bukowina auszuwandern, wo er auf der Kameralherrſchaft Glitt ein Bauerngut als Eigentum und Wohnort ange⸗ wieſen erhielt. An dem Tage, an dem Szela feine Reife antreten ſollte, dachte der Kaſtellan Sikorſki: „Wäre doch neugierig, ihn noch einmal zu ſehen — wenn auch nur von weitem, denn davon, ſich bis zu ihm durch⸗ zudrängen, wird keine Rede ſein. Hilf Gott, was werden die Leute treiben beim Abſchied von ihrem Väterchen Szela. Von Glück kann man ſagen, wenn es nicht zu Exzeſſen kommt.“ Der Kaſtellan malte ſich die Sache in ſeinem Kopfe aus, und immer ge⸗ fährlicher erſchien ſie ihm, je länger er darüber nach⸗ dachte, und je kürzer der Weg wurde, den er nach dem Ziel ſeiner Wanderung noch zurückzulegen hatte. Zu ſeiner Überraſchung fand er im Dorfe alles ſtill. Es ſah dort aus wie an jedem Werktagsmorgen. Männer und Weiber waren zur Feldarbeit ausgezo⸗ gen. Nur in der Wirtshausſtube, in die Sikorſki beim Vorübergehen hineinblickte, lungerten einige Tagediebe. Der Jude führte ſeinen Klepper aus dem Stall, um ihn an die Budka zu ſpannen. „Wen führſt du?“ fragte Sikorſki. „Ich, niemanden. Der Bub führt den Szela nach Sanok.“ 158 „So, fo, und bald?“ „Sehr bald.“ Sikorſki beſchleunigte ſeine Schritte und hatte in kurzer Zeit die Hütte Szelas erreicht. Sie war reinlicher und größer als alle übrigen; neben der Tür befand ſich ein Bänklein, und der Raum davor mußte heute noch ſorgfältig gekehrt worden ſein. Dort ſtand Szela, mit herabhängenden Armen und gekreuzten Händen, und ſah unverwandten Auges fein Haus an. „Oho, Pan Sikorſki!“ begrüßte er den Nahenden, „das iſt ja ſchön, daß du mich noch heimſuchſt.“ „Ich habe dir Lebewohl ſagen wollen, Szela.“ „Dank dafür, Pan Kaſtellan. Leb' auch du recht wohl.“ „Führe mich ein wenig in dein Haus“, ſagte Si⸗ korſki, ohne von dieſer Verabſchiedung Notiz zu neh⸗ men. „Das Haus iſt leer, meine Habſeligkeiten habe ich durch den Sohn ſchon alle nach Glitt geſchickt.“ „So will ich auf dieſem Bänklein ausruhen, wenn du nichts dagegen haſt; der Weg iſt weit, und meine Füße ſind alt.“ „Mach' dir's bequem. Wohl dir, wenn du ruhen kannſt.“ Er konnte nicht ruhen, ſo erſchöpft er ſchien. Mit offenbarer Mühe ſchleppte er die ſchweren Waſſer⸗ 159 fiefel an feinen mageren Beinen, wandelte aber dennoch unſtet umher. „Es tut mir leid, daß ich nichts habe, womit ich dir aufwarten könnte“, begann Szela nach einer Weile. „Außer“ — er zog ein Stück Brot aus ſeiner Taſche — „wenn du meine Wegzehrung mit mir teilen willſt.“ Sikorſki lehnte ab; er beabſichtigte, ſich bei der Heim- kehr im Wirtshaus zu ſtärken. Der Appetit, den er ſchon zu verſpüren begonnen, war vergangen. Alles, was er von dem alten Manne, der ſich jetzt zum ewigen Abſchied von der Heimat rüſtete, gehört hatte, flog ihm durch den Sinn. Er würde gern zehn bare Gulden gegeben haben, um zu erfahren, was denn Wahres daran ſei. Hatte Szela nur den kleinſten Teil des Unheils verübt, das man ihm zuſchrieb, ſo ſollte einen füglich kein Mitleid mit ihm beſchleichen. Und doch — was war das Mitleid, das Sikorſki vor einigen Monaten mit ihm gehabt hatte, als er ſchwer gezüchtigt aus den Händen des Grafen gekommen war, im Vergleich zu dem, das der gebrochene Greis ihm in dieſem Augenblick einflößte! „Szela,“ fragte er, „was denkſt du? Was iſt denn ſo Merkwürdiges an deiner Haustür, daß du ſie im⸗ merfort anſiehſt?“ Der Alte hatte den Hut vom Kopfe genommen und ſtrich ſeine langen Haare in den Nacken zurück. » 160 - „Je nun, die Mühe dauert mich, die ich im vorigen Frühjahr an ſie gewendet habe. Siehſt du nicht, wie ſchön breit fie iſt? Das habe ich fo eingerichtet, da⸗ mit die Leute mit dem Sarg nicht anzuſtoßen brau⸗ chen, wenn ſie mich einmal hinaustragen.“ Er überließ ſich wieder der aufmerkſamen Betrach⸗ fung feines Hauſes: „Einen Schornſtein hat es auch“, hub er dann von neuem an. „Es hat ihnen im Dorf viel Verdruß gemacht, daß ich mir einen Schorn⸗ ſtein gebaut habe. Der wird ſo lange bauen, bis er unter der Erde liegt, haben ſie mir mit Kreide auf die Tür geſchrieben. Und der Geſchworene Budnik hat geſagt: „Bau du dir einen Schoruſtein, aber bilde dir nur nicht ein, daß wir es dir nachtun werden. Wir wollen unſre Häuſer ſo laſſen, wie ſie ſind. Ja, freilich!“ Er verzog den Mund zu einem ſchmerzlichen Lächeln und deutete auf die elenden Hütten längs der Dorfſtraße: „Das muß alles ſo bleiben, wie es iſt. Je nun! was werd' ich mich drum kümmern, dort unten in der Bukowina... Es ſoll dort viel ſchöner ſein als bei uns.“ Sein Geſicht verdüſterte ſich, und er fügte halblaut und mit einem tiefen Seufzer hinzu: „Trotzdem wäre ich lieber hier geblieben. Aber — was iſt zu tun? Der Kaiſer will's! — Gehab dich wohl, Pan Sikorſki, da kommt ſchon meine Gelegenheit.“ In der Tat fuhr die Budka eben heran, von einem munter nebenherſchreitenden Jüngelchen kutſchiert. Zu 6 v. Ebner⸗Eſchenbach 161 · gleicher Zeit ließ der Trab eines Pferdes ſich ver- nehmen, das kleine Gefährt wurde von einem Reiter eingeholt, überholt. Es war der Graf, der ſich von feinem Tiere ſchwang, dem herbeieilenden Sikorfki die Zügel reichte und auf Szela zuſchritt: „Szela,“ ſprach er bewegten Tones, „du haſt meinen Kindern das Leben gerettet, und ich habe dir noch nicht einmal gedankt.“ Er ſtreckte ihm die Hand entgegen, die der Alte küßte Der Alte und — nicht mehr der Alte. Er, den ſeine Standhaftigkeit in Gegenwart des Grafen nie ver⸗ laſſen hatte, nicht unter deſſen Stocke, nicht bei deſſen Aufjauchzen, als er ihm die totgeglaubten Kinder wie⸗ derbrachte — ihn verſetzten die einfachen Worte, die der Graf jetzt zu ihm ſprach, ganz außer ſich. Seine Lippen zitterten, ſeine Augen ſchwammen in Tränen, er beugte ſich, als ob er in die Knie ſinken wollte. „Was fällt dir ein? Was tuſt du?“ rief der Graf, fprang auf ihn zu und faßte ihn an beiden Schul⸗ tern. „Herr! Herr!“ ſtammelte Szela und ſah ihm mit leidenſchaftlicher Ergebenheit ins Angeſicht, „ich habe nicht geglaubt, daß mir vor meinem Ende noch ein Menſch ſagen wird: ‚Dank dir, Szela!“, und jetzt fommft du und ſagſt es.“ Ergriffen von dem Ausbruch einer Weichherzig⸗ 162 · — — b — 7 ee keit, die niemand dem Bauernhäuptling zugetraut hätte, entgegnete der Graf: „Es hat auch keiner ſoviel Grund, dir zu danken, wie ich.“ „Doch, gnädiger Herr! — Dir habe ich drei Kin— der gerettet; es gibt einen Herrn, dem ich mehr als dreitauſend gerettet habe, und der hat mich dafür vor Gericht ſtellen laſſen und ſchickt mich jetzt in die Fremde.“ „Weil er nicht anders kann. Die Ermordung dei⸗ ner Gutsherren fordert eine Sühne.“ „Du weißt, daß ich ſie nicht ermordet habe.“ „Aber die Bauern haben es getan, die unter deinen Befehlen ſtanden . 5 zu erwägen, daß ich kein General bin, und daß die Bauern keine abgerichteten Soldaten ſind.“ Der Graf faßte ihn ſcharf ins Auge: „Sag' auf⸗ richtig, Szela, wenn du deine Gutsherren wieder le⸗ bendig machen könnteſt, würdeſt du es tun?“ „Nein, Herr, um des Kaiſers willen nicht.“ „Und um deinetwillen noch weniger?“ Szela beſann ſich ziemlich lange, bevor er berichti⸗ gend verſetzte: „Um meinetwillen ebenſowenig.“ „Siehſt du!“ „Was ſoll ich ſehen, gnädigſter Graf? Die Her⸗ ren haben uns Böſes getan, ſolange wir denken. Der Kaiſer hat uns nur Gutes getan. Als die Herren gegen 6 . 163 - den Kaiſer gegangen find und die Bauern zwingen wollten, mit ihnen zu gehen, ſind die Bauern re⸗ belliſch geworden, und es iſt viel Unglück geſchehen.“ „Es geht die Sage, du hätteſt ſo manches davon verhüten können, und du haſt es nicht verhütet.“ Abermals erwiderte Szela erſt nach reiflicher Über: legung: „Kann fein, kann auch nicht fein. Dergleichen iſt nachträglich ſchwer zu beſtimmen. Die Bauern haben gewußt, daß alles auf ſie ankommt; ſie ha⸗ ben ja gehört, was der Herr Kreishauptmann mir hat ſagen laſſen, als ich den Mathias Drewniak zu ihm geſchickt habe um Militäraſſiſtenz: Unmöglich, Szela, bevor ſie mir in Tarnow die Garniſon ver⸗ ſtärken. Hilf dir ſelbſt, halte Ordnung, und ſieh zu, daß keine Gewalttätigkeiten verübt werden. Das war viel auf einmal verlangt.“ „Iſt auch nicht geleiſtet worden.“ „Wie hat es denn geleiſtet werden ſollen, von ſolchen Leuten, die auf einmal merken: Jetzt ſind wir die Herren? Gnädiger Graf, ich habe froh ſein müſ⸗ ſen, wenn ſie mir die Edelleute geſchont haben, die dem Kaiſer treu waren.“ „Auch das iſt nicht durchwegs geſchehen.“ „Überall habe ich die Augen nicht haben können. Ich habe oft meinen Sohn ſchicken müſſen, und der hat anders gehauſt ...“ Er brach ab und ſchloß mit gelaſſener Zuverſicht: „Der gerechte Gott wird es 164 · ihm aufs Kerbholz ſchreiben; die Menſchen ſchreiben es auf das meine.“ „Natürlich. So viele Hunderte gehorchten deinem Augenwink, wer wird dir glauben, daß du es nicht verſtanden haſt, deinen Sohn im Zaum zu halten?“ Schmerzlich beiſtimmend neigte Szela den Kopf. „Das wird niemand glauben. Aber wahr iſt es... Und am Ende, Herr, mein Sohn hat es wenigſtens ſeinen Geſellen recht gemacht, ich — habe es keinem recht gemacht. Sieh dich um... Wie find fie mir ſonſt von weitem zugelaufen, wo ſie mich erblicken konnten — und heute ... Burſche, die man kaum mit zwei Pferden zur Arbeit ſchleppt, find freiwillig bin- ausgegangen, damit ſie mir nicht zu ſagen brauchen: Glück auf den Weg!“ Er hatte, während er ſprach, nach dem ſeiner harrenden Gefährt hingeſehen, faſt ſchien's, mit einer gewiſſen Ungeduld, ſo daß der Graf fragte, ob er es denn nicht erwarten könne, fortzu⸗ kommen? Szela entſchuldigte ſich: „Verzeih. Auf die Für⸗ ſprache des Herrn Ritters von Breinl hat der Herr Kreishauptmann zugegeben, daß ich nicht wie ein Ar— reſtant über die Grenze gebracht werde. Er hat mir das Vertrauen geſchenkt, daß ich zur rechten Zeit von ſelbſt gehen werde. Verzeih, gnädiger Herr, es iſt jetzt die rechte Zeit.“ Der Graf zog eine wohlgefüllte Brieftaſche hervor 165 und wollte fie durchaus, mit Zürnen und Bitten, dem Szela aufdringen. Aber der meinte: „Tue dir keinen Schaden. Du weißt mit dem Gelde Beſſeres anzu⸗ fangen als ich. Hebe es auf für deine Kinder ... Aber, gnädiger Herr,“ unterbrach er ſich mit plötzlicher Leb⸗ haftigkeit, „ich habe gehört, daß du den Grafen Jo⸗ ſeph als Gemeinen haſt aſſentieren laſſen.“ „Jawohl. Er braucht eine ſtrenge Zucht.“ „Wenn ſie nur nützt.“ „Eine ſtrenge Zucht nützt immer.“ „Weiß nicht.“ Er tat einen tiefen Seufzer. „Mein Sohn war vierzehn Jahre Soldat.“ Sie traten an die Budka heran, um die ſich all⸗ mählich eine kleine Verſammlung gebildet hatte: Kin⸗ der, die den mageren Klepper ſtreichelten oder neck⸗ ten, ein paar alte Weiblein, von denen eines eben im Begriffe war, ein Laib Brot im Stroh des Wagens zu bergen. Dem Szela traurig zunickend, ſprach fie: „Du ſollſt dich in der Fremde erinnern, wie das Brot der Heimat ſchmeckt.“ Drei alte Zechbrüder waren auch angerückt und hatten ein Branntweinfäßchen von der Größe einer Melone mitgebracht. Sie weinten bitterlich und wie⸗ derholten fortwährend: „Leb' wohl, Väterchen! Gott behüte dich! Vergiß uns nicht!“, und dabei ging das Fäßchen von einem zum andern, und ſie tranken ab⸗ wechſelnd aus dem Spundloch. 166 Szela ſchickte ſich an, in die Budka zu ſteigen, als aus einer der nächſten Hütten ein großer und breit⸗ ſchultriger Menſch in zerlumpten Kleidern hervor— kam, auf den Alten zuſtürzte und ihn am Arme packte. Einige Kerle, die ebenſo verkommen ausſahen wie er, waren ihm gefolgt, hielten ſich aber, aus Angſt vor dem Grafen und dem Kaſtellan, in ſcheuer Entfer⸗ nung. Nur der erſte kannte keine Scheu, den machte die Wut zum vernunftloſen Tier. Er ſchüttelte Sze⸗ las Arm und ſchrie: „Bis zum letzten Augenblick habe ich gewartet, um dich zu fragen. So willſt du alſo wirklich fort, ohne deine Schulden bezahlt zu haben, du Schurke?“ „Was wäre ich dir ſchuldig, Drewniak?“ ſprach Szela, ſich von ihm losmachend. „Frage du nur, was du mir ſchuldig biſt“, rief je⸗ ner und hielt dem Alten die geballte Fauſt dicht vors Geſicht. „Nachdem du mich herumgejagt haſt, wie einen Hund in Schnee und Wetter, als Bote und Späher und auf dem Marſch, und mir dafür nichts gegeben..“ Seine Gefährten ſchrien drein: „Und die Brannt⸗ weinfäſſer, wohin wir gekommen ſind, verſiegeln laſ— “u „Daß man ſich nicht einmal hat warm trinken kön⸗ nen Fa „Und uns die ehrliche Kriegsbeute abgenommen ...“ 167 Anklagen häuften ſich auf Anklagen, Szelas Geg⸗ ner wagten ſich näher heran; den Weibern wurde angſt, die Betrunkenen heulten. „Die andern Bauern“, zeterte Drewniak, „haben Geld und Gut erworben in der Revolution. Wir ha⸗ ben nichts gekriegt ... ich ſage dir, Herr,“ wandte er ſich an den Grafen, „nichts von dem Eigentum der Rebellen. Er hat den herrſchaftlichen Wald bewacht, der Alte, als ob er ſelbſt ein Schuft von einem Heger wäre. Keinem armen Teufel hat er auch nur ein Scheit Holz gegönnt. Deshalb, Herr, glauben wir und wiſſen wir — er hat uns alle zu Narren ge⸗ habt. Nimm ihn nicht in Schutz — uns alle zu Nar⸗ ren hat er gehabt und hat es im geheimen mit den Polen gehalten ...“ Er konnte nicht weiter, er keuchte nur — und wollte ſich heftig auf Szela ſtürzen. Der Graf ſtieß ihn ſo heftig zurück, daß er wankte, und befahl gebieteriſch Ruhe, die denn auch, freilich nur ſcheinbar, eintrat. Szela lächelte in ſchwermüti⸗ gem Triumphe, und ſein auf den Grafen gerichteter Blick fragte: „Was ſagſt du mim?“ „Die Toren! die vermaledeiten Toren!“ fuhr dieſer auf, und eingeſchüchtert ſtimmte Drewniak einen an⸗ dern Ton an. Er ließ den Blick mit großer Betrübnis längs ſeiner Hünengeſtalt hinabgleiten, ſtreckte einen Fuß von ſich, deſſen nackte Zehen aus dem geplatzten Stiefel hervorſahen, und ſagte: 168 „Die Stiefel waren neu vor der Revolution. Wenn er mir wenigſtens die Stiefel erſetzt hätte!“ Seine guten Freunde und die alten Weiblein er⸗ hoben ein ſchadenfrohes Gelächter; Szela jedoch nä— herte ſich dem Grafen und ſagte: „Du haſt etwas für mich tun wollen, Herr. Sei ſo gnädig und bezahle ihm die Stiefel, die er in meinem Dienſt vertreten hat.“ Nachdem ſeiner Bitte willfahrt worden war, emp⸗ fahl er ſich beim Grafen, ſchüttelte Sikorſkis Hand und grüßte die Frauen und Kinder. „Ihr aber hört!“ rief er ſeinen Widerſachern zu; und wie er ſich feſt zuſammennahm und in die Bruſt warf, da war jede Spur von Gebrechlichkeit aus ſei— ner Geſtalt verſchwunden. Ehrwürdig, gebieteriſch er⸗ ſchien er jedem, und man ſah dem greiſen kleinen Bauern wahrlich etwas von einem Feldherrn an. Die rohen Kerle, die ſich murrend hatten davonſchleichen wollen, blieben ſtehen und lauſchten der letzten Er⸗ mahnung ihres ehemaligen Führers. „Ihr werdet ſchon noch draufkommen, wer es ehrlich mit euch ge⸗ meint hat. Seht nur zu, wie den andern ihr unrecht Gut gedeiht, und dankt dann Gott und mir für eure leeren Taſchen. Und ſomit lebt auch ihr wohl, ihr dummen Teufel.“ Szela warf noch einen langen, traurigen Blick nach ſeinem Hauſe und ſtieg in die Budka. Ihr Lein⸗ 169 wanddach war ungewöhnlich niedrig, dennoch konnte er aufrecht darunter ſitzen. Einmal im Wagen, erhob er die Augen nicht mehr, es kam auch kein Wort mehr über ſeine Lippen. Der Graf geleitete ihn zu Pferde noch ein gutes Stück Weges; aber Szela, ganz verſunken in ſeine Gedanken, blieb unempfindlich für dieſe Gunſt. Lange Zeit hörte man im Schloſſe nichts von ihm, als daß er glücklich in Glitt angelangt war. Erſt zwei Jahre ſpäter, nach der Aufhebung der Robot, ſchrieb Szela an den Grafen einen merkwürdigen Brief, den auch der Kaſtellan Sikorſki geleſen hat. Es hieß unter anderm darin: „Auf mein letztes Schreiben hat mir der Kaiſer nicht antworten laſſen; aber er hat alles ſo getan, wie ich es ihm angeraten habe. Gott ſegne ihn!“ 170 · nba m bn Li 8 empfindet der Menſch für allerlei Dinge und Weſen. Liebe, die echte, unvergängliche, die lernt er — wenn überhaupt — nur einmal kennen. So wenigſtens meint der Herr Revierjäger Hopp. Wie viele Hunde hat er ſchon gehabt, und auch gern gehabt, aber lieb, was man ſagt lieb, und unvergeß⸗ lich iſt ihm nur einer geweſen — der Krambambuli. Er hatte ihn im Wirtshauſe zum Löwen in Wiſchau von einem vazierenden Forſtgehilfen gekauft oder eigentlich eingetauſcht. Gleich beim erſten Anblick des Hundes war er von der Zuneigung ergriffen worden, die dauern ſollte bis zu ſeinem letzten Atemzuge. Dem Herrn des ſchönen Tieres, der am Tiſche vor einem geleerten Branntweingläschen ſaß und über den Wirt ſchimpfte, weil dieſer kein zweites umſonſt hergeben wollte, ſah der Lump aus den Augen. Ein kleiner Kerl, noch jung und doch ſo fahl wie ein abgeſtorbener Baum, mit gelbem Haar und gelbem ſpärlichen Barte. Der Jägerrock, vermutlich ein Überreſt aus der ver⸗ gangenen Herrlichkeit des letzten Dienſtes, frug die 171 · Spuren einer im naſſen Straßengraben zugebrachten Nacht. Obwohl fi) Hopp ungern in ſchlechte Gefell- ſchaft begab, nahm er trotzdem Platz neben dem Bur⸗ ſchen und begann ſogleich ein Geſpräch mit ihm. Da bekam er es denn bald heraus, daß der Nichtsnutz den Stutzen und die Jagdtaſche dem Wirt bereits als Pfänder ausgeliefert hatte, und daß er jetzt auch den Hund als ſolches hergeben möchte; der Wirt jedoch, der ſchmutzige Leuteſchinder, wollte von einem Pfand, das gefüttert werden muß, nichts hören. Herr Hopp ſagte vorerſt kein Wort von dem Wohlgefallen, das er an dem Hunde gefunden hatte, ließ aber eine Flaſche von dem guten Danziger Kirſch⸗ branntwein bringen, den der Löwenwirt damals führte, und ſchenkte dem Vazierenden fleißig ein. — Nun, in einer Stunde war alles in Ordnung. Der Jäger gab zwölf Flaſchen von demſelben Getränke, bei dem der Handel geſchloſſen worden — der Vagabund gab den Hund. Zu ſeiner Ehre muß man geſtehen: nicht leicht. Die Hände zitterten ihm ſo ſehr, als er dem Tiere die Leine um den Hals legte, daß es ſchien, er werde mit dieſer Manipulation nimmermehr zurecht⸗ kommen. Hopp wartete geduldig und bewunderte im ſtillen den trotz der ſchlechten Kondition, in der er ſich befand, wundervollen Hund. Höchſtens zwei Jahre mochte er alt ſein, und in der Farbe glich er dem Lumpen, der ihn hergab, doch war die ſeine um ein 172 paar Schattierungen dunkler. Auf der Stirn hatte er ein Abzeichen, einen weißen Strich, der rechts und links in kleine Linien auslief, in der Art wie die Ma⸗ deln an einem Tanmenreis. Die Augen waren groß, ſchwarz, leuchtend, von tauklaren, lichtgelben Reif⸗ lein umſäumt, die Ohren hoch angeſetzt, lang, makel⸗ los. Und makellos war alles an dem ganzen Hunde, von der Klaue bis zu der feinen Witternaſe; die kräf⸗ tige, geſchmeidige Geſtalt, das über jedes Lob erhabene Piedeſtal. Vier lebende Säulen, die auch den Körper eines Hirſches getragen hätten und nicht viel dicker waren als die Läufe eines Haſen. Beim heiligen Hu⸗ bertus! dieſes Geſchöpf mußte einen Stammbaum haben, fo alt und rein wie der eines deutſchen Ordens⸗ ritters. Dem Jäger lachte das Herz im Leibe über den prächtigen Handel, den er gemacht hatte. Er ſtand nun auf, ergriff die Leine, die zu verknoten dem Vazieren⸗ den endlich gelungen war, und fragte: „Wie heißt er denn?“ — „Er heißt wie das, wofür Ihr ihn kriegt: Krambambuli“, lautete die Antwort. — „Gut, gut, Krambambuli! So komm! Wirſt gehen? Vorwärts!“ — Ja, er konnte lang rufen, pfeifen, zerren — der Hund gehorchte ihm nicht, wandte den Kopf dem zu, den er noch für ſeinen Herrn hielt, heulte, als dieſer ihm zuſchrie: „Marſch!“ und den Befehl mit einem tüchtigen Fußtritt begleitete, ſuchte aber ſich immer 3 wieder an ihn heranzudrängen. Erſt nach einem bei- ßen Kampfe gelang es Herrn Hopp, die Beſitzergrei⸗ fung des Hundes zu vollziehen. Gebunden und gekne⸗ belt, mußte er zuletzt in einem Sacke auf die Schulter geladen und ſo bis in das mehrere Wegſtunden ent⸗ fernte Jägerhaus getragen werden. Zwei volle Monate brauchte es, bevor Krambam⸗ buli, halb totgeprügelt, nach jedem Fluchtverſuche mit dem Stachelhalsband an die Kette gelegt, endlich be⸗ griff, wohin er jetzt gehöre. Dann aber, als ſeine Unterwerfung vollſtändig geworden war, was für ein Hund wurde er da! Keine Zunge ſchildert, kein Wort ermißt die Höhe der Vollendung, die er erreichte, nicht nur in der Ausübung ſeines Berufes, ſondern auch im täglichen Leben als eifriger Diener, guter Kamerad und treuer Freund und Hüter. „Dem fehlt nur die Sprache“, heißt es von andern intelligenten Hunden — dem Krambambuli fehlte ſie nicht; ſein Herr zum mindeſten pflog lange Unterredungen mit ihm. Die Frau des Revierjägers wurde ordentlich eiferſüchtig auf den „Buli“, wie ſie ihn geringſchätzig nannte. Manchmal machte ſie ihrem Manne Vorwürfe. Sie hatte den ganzen Tag, in jeder Stunde, in der ſie nicht aufräumte, wuſch oder kochte, ſchweigend ge⸗ ſtrickt. Am Abend, nach dem Eſſen, wenn fie wieder zu ſtricken begann, hätte ſie gern eins dazu geplaudert. „Weißt denn immer nur dem Buli was zu erzäh⸗ » 174 len, Hopp, und mir nie? Du verlernſt vor lauter Sprechen mit dem Vieh das Sprechen mit den Men⸗ ſchen.“ Der Revierjäger geſtand ſich, daß etwas Wahres an der Sache ſei, aber zu helfen wußte er nicht. Wo⸗ von hätte er mit ſeiner Alten reden ſollen? Kinder hatten ſie nie gehabt, eine Kuh durften ſie nicht hal⸗ ten, und das zahme Geflügel intereſſiert einen Jäger im lebendigen Zuſtande gar nicht und im gebratenen nicht ſehr. Für Kulturen aber und für Jagdgeſchich— ten hatte wieder die Frau keinen Sinn. Hopp fand zuletzt einen Ausweg aus dieſem Dilemma; ſtatt mit dem Krambambuli ſprach er von dem Krambambuli, von den Triumphen, die er allenthalben mit ihm feierte, von dem Neide, den ſein Beſitz erregte, von den lächerlich hohen Summen, die ihm für den Hund geboten wurden, und die er verächtlich von der Hand wies. Zwei Jahre waren vergangen, da erſchien eines Tages die Gräfin, die Frau ſeines Brotherrn, im Hauſe des Jägers. Er wußte gleich, was der Beſuch zu bedeuten hatte, und als die gute, ſchöne Dame be- gann: „Morgen, lieber Hopp, iſt der Geburtstag des Grafen ..., ſetzte er ruhig und ſchmunzelnd fort: „Und da möchten Hochgräfliche Gnaden dem Herrn Grafen ein Geſchenk machen und ſind überzeugt, mit nichts anderm ſoviel Ehre einlegen zu können wie mit 175 dem Krambambuli.“ „Ja, ja, lieber Hopp.“ Die Grä⸗ fin errötete vor Vergnügen über dieſes freundliche Entgegenkommen und ſprach gleich von Dankbarkeit und bat, den Preis nur zu nennen, der für den Hund zu entrichten wäre. Der alte Fuchs von einem Re⸗ vierjäger kicherte, tat ſehr demütig und rückte auf einmal mit der Erklärung heraus: „Hochgräfliche Gnaden! Wenn der Hund im Schloſſe bleibt, nicht jede Leine zerbeißt, nicht jede Kette zerreißt, oder wenn er ſie nicht zerreißen kann, ſich bei den Verſuchen, es zu tun, erwürgt, dann behalten ihn Hochgräfliche Gnaden umſonſt — dann iſt er mir nichts mehr wert.“ Die Probe wurde gemacht, aber zum Erwürgen kam es nicht, denn der Graf verlor früher die Freude an dem eigenſinnigen Tiere. Vergeblich hatte man es durch Liebe zu gewinnen, mit Strenge zu bändigen geſucht. Er biß jeden, der ſich ihm näherte, verſagte das Futter, und — viel hat der Hund eines Jägers ohnehin nicht zuzuſetzen — kam ganz herunter. Mach einigen Wochen erhielt Hopp die Botſchaft, er könne ſich ſeinen Köter abholen. Als er eilends von der Er⸗ laubnis Gebrauch machte und den Hund in ſeinem Zwinger aufſuchte, da gab's ein Wiederſehen uner⸗ meßlichen Jubels voll. Krambambuli erhob ein wahn⸗ ſinniges Geheul, ſprang an ſeinem Herrn empor, ſtemmte die Vorderpfoten auf deſſen Bruſt und leckte 176 die Freudentränen ab, die dem Alten über die Wan⸗ gen liefen. Am Abend dieſes glücklichen Tages wanderten ſie zuſammen ins Wirtshaus. Der Jäger ſpielte Tarok mit dem Doktor und mit dem Verwalter, Krambam⸗ buli lag in der Ecke hinter ſeinem Herrn. Manchmal ſah dieſer ſich nach ihm um, und der Hund, ſo tief er auch zu ſchlafen ſchien, begann augenblicklich mit dem Schwanze auf den Boden zu klopfen, als wollt' er melden: „Präſent!“ Und wenn Hopp, ſich vergef- ſend, recht wie einem Triumphgeſang das Liedchen anſtimmte: „Was macht denn mein Krambambuli?“ richtete der Hund ſich würde: und reſpektvoll auf, und ſeine hellen Augen antworteten: „Es geht ihm gut!“ Um dieſelbe Zeit trieb, nicht nur in den gräflichen Forſten, ſondern in der ganzen Umgebung, eine Bande Wildſchützen auf wahrhaft tolldreiſte Art ihr We⸗ ſen. Der Anführer ſollte ein verlottertes Subjekt ſein. Den „Gelben“ nannten ihn die Holzknechte, die ihn in irgendeiner übel berüchtigten Spelunke beim Branntwein trafen, die Heger, die ihm hie und da ſchon auf der Spur geweſen waren, ihm aber nie hat⸗ ten beikommen können, und endlich die Kundſchafter, deren er unter dem ſchlechten Geſindel in jedem Dorfe mehrere beſaß. Er war wohl der frechſte Geſell, der jemals ehr⸗ 177 - lichen Jägersmännern etwas aufzulöfen gab, mußte auch ſelbſt vom Handwerk geweſen ſein, ſonſt hätte er das Wild nicht mit ſolcher Sicherheit aufſpüren und nicht ſo geſchickt jeder Falle, die ihm geſtellt wurde, ausweichen können. Die Wild- und Waldſchäden erreichten eine uner⸗ hörte Höhe, das Forſtperſonal befand ſich in grim⸗ migſter Aufregung. Da begab es ſich nur zu oft, daß die kleinen Leute, die bei irgendeinem unbedeutenden Waldfrevel ertappt wurden, eine härtere Behandlung erlitten, als zu andrer Zeit geſchehen wäre und als gerade zu rechtfertigen war. Große Erbitterung herrſchte darüber in allen Ortſchaften. Dem Ober⸗ förſter, gegen den der Haß ſich zunächſt wandte, ka⸗ men gutgemeinte Warnungen in Menge zu. Die Raubſchützen, hieß es, hätten einen Eid darauf ge⸗ ſchworen, bei der erſten Gelegenheit exemplariſche Rache an ihm zu nehmen. Er, ein raſcher, kühner Mann, ſchlug das Gerede in den Wind und ſorgte mehr denn je dafür, daß weit und breit kund werde, wie er ſeinen Untergebenen die rückſichtsloſeſte Strenge anbefohlen, und für etwaige ſchlimme Folgen die Verantwortung ſelbſt übernommen habe. Am häu⸗ figſten rief der Oberförſter dem Revierjäger Hopp die ſcharfe Handhabung feiner Amtspflicht ins Ge⸗ dächtnis und warf ihm zuweilen Mangel an „Schneid“ vor, wozu freilich der Alte nur lächelte. Der Kram⸗ . 178 - bambuli aber, den er bei ſolcher Gelegenheit von oben herunter anblinzelte, gähnte laut und wegwerfend. Übel nahmen er und ſein Herr dem Oberförſter nichts. Der Oberförſter war ja der Sohn des Unvergeß— lichen, bei dem Hopp das edle Weidwerk erlernt, und Hopp hatte wieder ihn als kleinen Jungen in die Rudimente des Berufs eingeweiht. Die Plage, die er einſt mit ihm gehabt, hielt er heute noch für eine Freude, war ſtolz auf den ehemaligen Zögling und liebte ihn trotz der rauhen Behandlung, die er ſo gut wie jeder andre von ihm erfuhr. Eines Junimorgens traf er ihn eben wieder bei einer Exekution. Es war im Lindenrondell, am Ende des herrſchaft— lichen Parks, der an den „Grafenwald“ grenzte, und in der Nähe der Kulturen, die der Oberförſter am liebſten mit Pulverminen umgeben hätte. Die Linden ſtanden juſt in ſchönſter Blüte, und über dieſe hatte ein Dutzend kleiner Jungen ſich hergemacht. Wie Eichkätzchen krochen fie auf den Aſten der herrlichen Bäume herum, brachen alle Zweige, die ſie erwiſchen konnten, ab und warfen ſie zur Erde. Zwei Weiber laſen die Zweige haſtig auf und ſtopften ſie in Körbe, die ſchon mehr als zur Hälfte mit dem duftenden Raub gefüllt waren. Der Oberförſter raſte in unermeß⸗ licher Wut. Er ließ durch ſeine Heger die Buben nur ſo von den Bäumen ſchütteln, unbekümmert um die 179 · Höhe, aus der fie fielen. Während fie wimmernd und ſchreiend um feine Füße krochen, der eine mit zerſchundenem Geſicht, der andere mit ausgerenktem Arm, ein dritter mit gebrochenem Bein, zerbläute er eigenhändig die beiden Weiber. In einer von ihnen erkannte Hopp die leichtfertige Dirne, die das Ge⸗ rücht als die Geliebte des „Gelben“ bezeichnete. Und als die Körbe und Tücher der Weiber und die Hüte der Buben in Pfand genommen wurden und Hopp den Auftrag bekam, ſie aufs Gericht zu bringen, konnte er ſich eines ſchlimmen Vorgefühls nicht erwehren. Der Befehl, den ihm damals der Oberförſter zu⸗ rief, wild wie ein Teufel in der Hölle und wie ein folder umringt von jammernden und gepeinigfen Sündern, iſt der letzte geweſen, den der Revierjäger im Leben von ihm erhalten hat. Eine Woche ſpäter traf er ihn wieder im Lindenrondell — tot. Aus dem Zuſtande, in dem die Leiche ſich befand, war zu er⸗ ſehen, daß ſie hierher, und zwar durch Sumpf und Gerölle geſchleppt worden war, um an dieſer Stelle aufgebahrt zu werden. Der Oberförſter lag auf ab⸗ gehauenen Zweigen, die Stirn mit einem dichten Kranz aus Lindenblüten umflochten, einen ebenſolchen als Bandelier um die Bruſt gewunden. Sein Hut ſtand neben ihm, mit Lindenblüten gefüllt. Auch die Jagdtaſche hatte der Mörder ihm gelaſſen, nur die Patronen herausgenommen und ſtatt ihrer Lindenblü⸗ 180 ten hineingeſteckt. Der ſchöne Hinterlader des Ober— förſters fehlte und war durch einen elenden Schieß— prügel erſetzt. Als man ſpäter die Kugel, die ſeinen Tod verurſacht hatte, in der Bruſt des Ermordeten fand, zeigte es ſich, daß ſie genau in den Lauf dieſes Schießprügels paßte, der dem Förſter gleichſam zum Hohne über die Schulter gelegt worden war. Hopp ſtand beim Anblick der entſtellten Leiche regungslos vor Entſetzen. Er hätte keinen Finger heben können, und auch das Gehirn war ihm wie gelähmt; er ſtarrte nur und ſtarrte und dachte anfangs gar nichts, und erſt nach einer Weile brachte er es zu einer Beob- achtung, einer ſtummen Frage: — „Was hat denn der Hund?“ Krambambuli beſchnüffelt den toten Mann, läuft wie nicht geſcheit um ihn herum, die Maſe immer am Boden. Einmal winſelt er, einmal ſtößt er einen ſchril— len Freudenſchrei aus, macht ein paar Sätze, bellt, und es iſt gerade ſo, als erwache in ihm eine längſt erſtorbene Erinnerung „Herein,“ ruft Hopp, „da herein!“ Und Krambam⸗ buli gehorcht, ſieht aber ſeinen Herrn in allerhöchſter Aufregung an, und — wie der Jäger ſich auszudrük⸗ ken pflegte — ſagt ihm: „Ich bitte dich um alles in der Welt, ſiehſt du denn nichts? Riechſt du denn nichts? ... O lieber Herr, ſchau doch! riech doch! O Herr, komm! Daher komm! ...“ Und tupft mit 181 der Schnauze an des Jägers Knie und ſchleicht, ſich oft umſehend, als frage er: „Folgſt du mir?“ zu der Leiche zurück und fängt an, das ſchwere Gewehr zu heben und zu ſchieben und ins Maul zu faſſen, in der offenbaren Abſicht, es zu apportieren. Dem Jäger läuft ein Schauer über den Rücken, und allerlei Vermutungen dämmern in ihm auf. Weil das Spintiſieren aber nicht ſeine Sache iſt, es ihm auch nicht zukommt, der Obrigkeit Lichter auf⸗ zuſtecken, ſondern vielmehr den gräßlichen Fund, den er getan hat, unberührt zu laſſen und ſeiner Wege — das heißt in dem Fall recte zu Gericht — zu gehen, ſo tut er denn einfach, was ihm zukommt. Nachdem es geſchehen und alle Förmlichkeiten, die das Geſetz bei ſolchen Kataſtrophen vorſchreibt, er⸗ füllt, der ganze Tag und auch ein Stück der Nacht darüber hingegangen ſind, nimmt Hopp, ehe er ſchla⸗ fen geht, noch ſeinen Hund vor. „Mein Hund,“ ſpricht er, „jetzt iſt die Gendarme⸗ rie auf den Beinen, jetzt gibt's Streifereien ohne Ende. Wollen wir es andern überlaſſen, den Schuft, der unſern Oberförſter erſchoſſen hat, wegzuputzen aus der Welt? — Mein Hund kennt den nieder⸗ trächtigen Strolch, kennt ihn, ja, ja! Aber das braucht niemand zu wiſſen, das habe ich nicht ausgeſagt Ich, hoho! ... Ich werd' meinen Hund hineinbringen in die Geſchichte .. Das könnt' mir einfallen!“ Er 182 beugte ſich über Krambambuli, der zwiſchen feinen ausgeſpreizten Knien ſaß, drückte die Wange an den Kopf des Tieres und nahm ſeine dankbaren Lieb— koſungen in Empfang. Dabei ſummte er: „Was macht denn mein Krambambuli ?“, bis der Schlaf ihn übermannte. Seelenkundige haben den geheimnisvollen Drang zu erklären geſucht, der manchen Verbrecher ſtets wie⸗ der an den Schauplatz ſeiner Untat zurückjagt. Hopp wußte von dieſen gelehrten Ausführungen nichts, ſtrich aber dennoch ruh⸗ und raſtlos mit ſeinem Hunde in der Nähe des Lindenrondells herum. Am zehnten Tage nach dem Tode des Oberförſters hatte er zum erſtenmal ein paar Stunden lang an etwas andres gedacht als an ſeine Rache und ſich im „Grafenwald“ mit dem Bezeichnen der Bäume be- ſchäftigt, die beim nächſten Schlag ausgenommen werden ſollten. Wie er nun mit ſeiner Arbeit fertig iſt, hängt er die Flinte wieder um und ſchlägt den kürzeſten Weg ein, quer durch den Wald gegen die Kulturen in der Nähe des Lindenrondells. Im Augenblick, in dem er auf den Fußſteig treten will, der längs des Buchen- zaunes läuft, iſt ihm, als höre er etwas im Laube raſcheln. Gleich darauf herrſcht jedoch tiefe Stille, tiefe, anhaltende Stille. Faſt hätte er gemeint, es ſei nichts Bemerkenswertes geweſen, wenn nicht der 183 Hund ſo merkwürdig dreingeſchaut hätte. Der ſtand mit geſträubtem Haar, den Hals vorgeſtreckt, den Schwanz aufrecht, und glotzte eine Stelle des Zau⸗ nes an. Oho! dachte Hopp, wart' Kerl, wenn du's biſt! trat hinter einen Baum und ſpannte den Hahn ſeiner Flinte. Wie raſend pochte ihm das Herz, und der ohnehin kurze Atem wollte ihm völlig verſagen, als jetzt plötzlich, Gottes Wunder! — durch den Zaun der „Gelbe“ auf den Fußſteig trat. Zwei junge Ha⸗ ſen hingen an ſeiner Weidtaſche und auf ſeiner Schul⸗ ter, am wohlbekannten Juchtenriemen, der Hinter⸗ lader des Oberförſters. Nun wär's eine Paſſion ge- weſen, den Racker niederzubrennen aus ſicherem Hin⸗ terhalt. Aber nicht einmal auf den ſchlechteſten Kerl ſchießt der Jäger Hopp, ohne ihn angerufen zu haben. Mit einem Satze ſpringt er hinter dem Baum hervor und auf den Fußſteig und ſchreit: „Gib dich, Vermale⸗ deiter!“ Und als der Wildſchütz zur Antwort den Hinterlader von der Schulter reißt, gibt der Jäger Feuer ... All ihr Heiligen — ein ſauberes Feuer! Die Flinte knackſt, anſtatt zu knallen. Sie hat zu lang mit aufgeſetzter Kapſel im feuchten Wald am Baum gelehnt — ſie verſagt. Gute Nacht, ſo ſieht das Sterben aus, denkt der Alte. Doch nein — er iſt heil, ſein Hut nur fliegt, von Schroten durchlöchert, ins Gras. 184 Der andre hat auch kein Glück; das war der letzte Schuß in ſeinem Gewehr, und zum nächſten zieht er eben erſt die Patrone aus der Taſche ... „Pack an!“ ruft Hopp ſeinem Hunde heiſer zu: „Pack an!“ Und: „Herein, zu mir! Herein, Krambambuli!“ lockt es drüben mit zärtlicher, liebevoller — ach, mit altbe⸗ kannter Stimme Der Hund aber — — Was ſich nun begab, begab ſich viel raſcher, als man es erzählen kann. Krambambuli hatte ſeinen erſten Herrn erkannt und rannte auf ihn zu, bis — in die Mitte des Weges. Da pfeift Hopp, und der Hund macht kehrt, „der Gelbe“ pfeift, und der Hund macht wieder kehrt, und windet ſich in Verzweiflung auf einem Fleck, in glei⸗ cher Diſtanz von dem Jäger, wie von dem Wild⸗ ſchützen, zugleich hingeriſſen und gebannt. Zuletzt hat das arme Tier den troſtlos unnötigen Kampf aufgegeben und ſeinen Zweifeln ein Ende ge⸗ macht, aber nicht ſeiner Qual. Bellend, heulend, den Bauch am Boden, den Körper geſpannt wie eine Sehne, den Kopf emporgehoben, als riefe es den Himmel zum Zeugen ſeines Seelenſchmerzes an, kriecht es — ſeinem erſten Herrn zu. Bei dem Anblick wird Hopp von Blutdurſt ge⸗ packt. Mit zitternden Fingern hat er die neue Kapſel 185 · aufgeſetzt — mit ruhiger Sicherheit legt er an. Auch „der Gelbe“ hat den Lauf wieder auf ihn gerichtet. Diesmal gilt's! Das wiſſen die beiden, die einander auf dem Korn haben, und was auch in ihnen vor⸗ gehen möge, ſie zielen ſo ruhig wie ein paar gemalte Schützen. Zwei Schüſſe fallen. Der Jäger trifft, der Wild⸗ ſchüt fehlt. Warum? weil er — vom Hunde mit ſtürmiſcher Liebkoſung angeſprungen — gezuckt hat im Augen⸗ blick des Losdrückens. „Beſtie!“ ziſcht er noch, ſtürzt rücklings hin und rührt ſich nicht mehr. Der ihn gerichtet, kommt langſam herangeſchritten. Du haſt genug, denkt er, um jedes Schrotkorn wär's ſchad' bei dir. Trotzdem ſtellt er die Flinte auf den Boden und lädt von neuem. Der Hund ſitzt aufrecht vor ihm, läßt die Zunge heraushängen, keucht kurz und laut und ſieht ihm zu. Und als der Jäger fertig iſt und die Flinte wieder zur Hand nimmt, halten ſie ein Geſpräch, von dem kein Zeuge ein Wort ver⸗ nommen hätte, wenn es auch ſtatt eines toten ein le⸗ bendiger geweſen wäre. „Weißt du, für wen das Blei gehört?“ „Ich kann es mir denken.“ „Deſerteur, Kalfakter, pflicht⸗ und treuvergeſſene Canaille!“ „Ja, Herr, jawohl.“ . 186 - „Du warft meine Freude. Jetzt iſt's vorbei. Ich habe keine Freude mehr an dir.“ „Begreiflich, Herr“, und Krambambuli legte ſich hin, drückte den Kopf auf die ausgeſtreckten Vorder⸗ pfoten und ſah den Jäger an. Ja, hätte das verdammte Vieh ihn nur nicht ange⸗ ſehen! Da würde er ein raſches Ende gemacht und ſich und dem Hunde viel Pein erſpart haben. Aber ſo geht's nicht! Wer könnte ein Geſchöpf niederknal⸗ len, das einen ſo anſieht? Herr Hopp murmelt ein halbes Dutzend Flüche zwiſchen den Zähnen, einer goffesläfterlicher als der andre, hängt die Flinte wie⸗ der um, nimmt dem Raubſchützen noch die jungen Haſen ab und geht. Der Hund folgte ihm mit den Augen, bis er zwi⸗ ſchen den Bäumen verſchwunden war, ſtand dann auf, und fein mark⸗ und beinerſchütterndes Weh⸗ geheul durchdrang den Wald. Ein paarmal drehte er ſich im Kreiſe und ſetzte ſich wieder aufrecht neben den Toten hin. So fand ihn die gerichtliche Kommiſſion, die, von Hopp geleitet, bei ſinkender Nacht erſchien, um die Leiche des Raubſchützen in Augenſchein zu nehmen und fortſchaffen zu laſſen. Krambambuli wich einige Schritte zurück, als die Herren herantraten. Einer von ihnen ſagte zu dem Jäger: „Das iſt ja Ihr Hund?“ „Ich habe ihn hier als Schildwache zurückgelaſſen“, antwortete Hopp, der ſich ſchämte, 187 die Wahrheit zu geſtehen. — Was half's? Sie kam doch heraus, denn als die Leiche auf den Wagen ge⸗ laden war und fortgeführt wurde, trottete Krambam⸗ buli geſenkten Kopfes und mit eingezogenem Schwanze hinterher. Unweit der Totenkammer, in der „der Gelbe“ lag, ſah ihn der Gerichtsdiener noch am fol⸗ genden Tage herumſtreichen. Er gab ihm einen Tritt und rief ihm zu: „Geh nach Hauſe!“ — Krambam⸗ buli fletſchte die Zähne gegen ihn und lief davon, wie der Mann meinte, in der Richtung des Jägerhauſes. Aber dorthin kam er nicht, ſondern führte ein elen⸗ des Vagabundenleben. Verwildert, zum Skelett abgemagert, umſchlich er einmal die armen Wohnungen der Häusler am Ende des Dorfes. Plötzlich ſtürzte er auf ein Kind los, das vor der letzten Hütte ſtand, und entriß ihm gierig das Stück harten Brotes, an dem es nagte. Das Kind blieb ſtarr vor Schrecken, aber ein kleiner Spitz ſprang aus dem Hauſe und bellte den Räuber an. Dieſer ließ ſogleich feine Beute fahren und entfloh. Am ſelben Abend ſtand Hopp vor dem Schlafen⸗ gehen am Fenſter und blickte in die ſchimmernde Som⸗ mernacht hinaus. Da war ihm, als ſähe er jenſeits der Wieſe am Waldesſaum den Hund ſitzen, die Stätte ſeines ehemaligen Glückes unverwandt und ſehnſüchtig betrachtend — der Treueſte der Treuen, herrenlos! . 188 - Der Jäger ſchlug den Laden zu und ging zu Bett. Aber nach einer Weile ſtand er auf, trat wieder ans Fenſter — der Hund war nicht mehr da. Und wieder wollte er ſich zur Ruhe begeben und wieder fand er ſie nicht. Er hielt es nicht mehr aus. Sei es, wie es fei... Er hielt es nicht mehr aus ohne den Hund. — Ich hol' ihn heim, dachte er, und fühlte ſich wie neugebo⸗ ren nach dieſem Entſchluß. Beim erſten Morgengrauen war er angekleidet, be⸗ fahl ſeiner Alten, mit dem Mittageſſen nicht auf ihn zu warten, und ſputete ſich hinweg. Wie er aber aus dem Hauſe trat, ſtieß ſein Fuß an denjenigen, den er in der Ferne zu ſuchen ausging. Krambambuli lag verendet vor ihm, den Kopf an die Schwelle gepreßt, die zu überſchreiten er nicht mehr gewagt hatte. Der Jäger verſchmerzte ihn nie. Die Augenblicke waren ſeine beſten, in denen er vergaß, daß er ihn verloren hatte. In freundliche Gedanken verſunken intonierte er dann ſein berühmtes: „Was macht denn mein Krambam ... Aber mitten in dem Worte hielt er beſtürzt inne, ſchüttelte das Haupt und ſprach mit einem tiefen Seufzer: „Schad' um den Hund.“ 189 D = o = 8 = o — E⸗ war im März zwiſchen Okuli und Lätare. Der Graf und die Gräfin hatten ſich in ihrer neu einge⸗ richteten Wohnung im Forſthauſe des Reviers Fich⸗ tenberg einquartiert, um die Zeit des Schnepfenein⸗ falls gehörig auszunützen. Da erlagen viele der ge⸗ flügelten Reiſenden, die eine Zuflucht in den feuchten Niederungen der Nadelwälder geſucht hatten. Je blutiger der Tag geweſen, je vergnügter kehrten die Jäger heim, je liebenswürdiger wurde der Herr Ober⸗ förſter zum Abendeſſen geladen. Die kleine Geſell⸗ ſchaft nahm das Mahl in einem traulichen holz⸗ getäfelten Zimmer ein, das von einem ſtark geheizten Kachelofen faſt übermäßig erwärmt und von den vier Kerzen eines Hirſchweibchenlüſters ziemlich ſpärlich erhellt wurde. Die Ereigniſſe, des Tages Hatten den Stoff zum Tiſchgeſpräch geliefert. Beim ſchwarzen Kaffee be⸗ gann der Graf in feiner breiten und äußerſt gutmü⸗ tigen Art den Stand der Waldungen zu loben. „Das iſt ein Unterſchied“, ſagte er, „zwiſchen den meinigen und den fürſtlichen, wo wir im Herbſt gejagt haben.“ 190 Man rauchte; die Gräfin, die fich die größte Zi- garre angebrannt hatte, ſprang plötzlich auf, lief zum Fenſter, öffnete es weit und ſprach, dampfend wie ein Schlötchen: „Alles gut bei Ihnen, mein lie- ber Herr Ruppert, nur Ihre Leute nicht. Die Haus⸗ diener feuern einen aus dem Zimmer, und Ihre Jä— ger — eine Sippſchaft ... mein Großvater würde fagen: ‚wie wenn's die Tauben zuſammengetragen hätten'.“ „Ja, ja, ſie hat recht,“ ſagte der Graf, „ich hab' mir heut' das Jagdperſonal betrachtet. Dieſe Men⸗ ſchen ſchauen aus wie die Räuber.“ Das Geſicht des Oberförſters zog ſich in die Länge. „Das können Hochgräfliche Gnaden gleich anders ha— ben, brauchen nur zu befehlen, nämlich. Wir nehmen uns halt ein Muſter an den fürftlichen Jägern drü⸗ ben: die tragen Uniform mit ſilberne Knöpf und Bor⸗ ten und waſchen ſich alle Tag zweimal die Händ'.“ „Zu was alterieren Sie ſich gleich, Ruppert — ich hab' nur ſo gemeint“, beſchwichtigte der Graf, und ſeine Frau fiel ein: „Es handelt ſich auch nicht ums Händewaſchen, aber daß die Leute gar ſo merkwürdig ſind. Da iſt einer den ganzen Tag hinter mir hergegangen, ſo ein Magerer, Brauner, ein recht Unheimlicher mit trotzi⸗ gen Augen.“ „Der Gruber, Hochgräfliche Gnaden.“ 191 „Der kann nicht einmal reden.“ „Mit dem Maul, nein, aber ich bitt' untertänigſt, nur einen Blick auf ſeine Kulturen am Reiterberg zu werfen, die ſprechen nämlich ſtatt ſeiner.“ „Sie haben mir aber keine Antwort gegeben, wie ich gefragt habe“, ſprach die Gräfin und ſchlug ihre wundervollen ſchwarzbraunen Augen ſchalkhaft zu dem Alten auf. Er verſtand ſie nicht. „Was belieben zu meinen?“ „Hören Sie zu. Ich war an einer Stelle im Wald, die ich noch nicht gekannt hab'. Es ſind dort gar große Fichten und ein ſchmaler Wieſengrund — kleine Quellen durchrieſeln ihn — zieht ſich hinunter bis zum Taldorf. Man kann den Kirchturm ſehen und das Kreuz darauf. Dort am Waldesrand be⸗ merke ich einen grünen Hügel, lang und ſchmal, ganz eingefaßt mit Schneeblumen. „Sie, ſag' ich, „Sie, Jäger, was iſt denn das?‘ — ‚Was?‘ ſagt er und knotet eine von den Schnepfen feſter, die er ſich an die Weidtaſche angebunden hat. ‚Iſt das nicht ein Grab, ein armes, einſames Grab?“ — ‚Kann fein‘, brummt er, ſo ſtill, daß ich's kaum verſtanden habe. Dabei reißt er an feinem dicken Schnurrbart... grad, wie Sie jetzt tun, lieber Ruppert, Herr Oberförſter“, brach ſie lachend aus. Er ließ ſchnell die Hand ſinken, und die Gräfin fuhr fort: „Neben dem Grab — als ob ſich's nicht 192 näher getraute, ift ein Kreuzerl aus zwei dünnen Lat— ten aufgepflanzt, die ein gebogener Nagel in der Mitte zuſammenhält, und es ſteht ein Mame drauf: Reſel. Man kann's noch ausnehmen, trotzdem die Buchſtaben vom Regen halb verwiſcht und ſo krumm ſind, wie wenn ein Kind ſie geſchrieben hätte.“ „Kein Kind,“ verſetzte der Förſter, „aber einer, der geworden iſt wie ein Kind... Hochgräfliche Gnaden haben ihn noch gekannt,“ wandte er ſich an den Gra⸗ fen, „den alten Vitalis, den großen, dicken, mit dem roſenfarbigen Geſicht.“ „Ja — ja — und ich hab' immer miniſtrieren wol- len, wenn er ins Schloß gekommen ift, die Meſſ' leſen. Was für eine Geduld hat er mit mir gehabt!“ „Aber die Reſel, warum iſt fie nicht auf dem Fried⸗ hof begraben?“ fragte die Gräfin, und der Förſter erwiderte zögernd: „Ja, leider, weil ſie leider Hand an ſich gelegt hat, ſich nämlich umgebracht hat.“ „Umgebracht!“ rief die junge Frau erregt — „ge⸗ wiß aus unglücklicher Liebe, ſie hat ihren Geliebten nicht heiraten dürfen, oder er hat ſie ſitzen laſſen, der Lump. . . Iſt's fo? Sagen Sie's, wenn Sie's wiſ⸗ ſen.“ „Wie ſollt' ich nicht? Die Reſel iſt ja die Tochter von meinem Bruder geweſen.“ „So — und was war der?“ 7 v. Ebner⸗Eſchenbach 193 · „Müller im Taldorf.“ „Hat er viele Kinder gehabt?“ „Die längſte Zeit gar keins, dann iſt die Reſel ge⸗ kommen. Der liebe Gott hat ſich beſonnen. Aber weil fie keine Ruh’ gegeben haben mit Bitten und Betteln und auf alle Wallfahrtsorte herumgezogen ſind, gibt er endlich nach und ſchickt ihnen die zitternde Freud'.“ „Das Kind wird wohl kränklich geweſen ſein?“ „Geſund wie ein Fiſcherl von ihrer Geburt an. — Wenn die zwei Alten ein Kind kriegen, kommt's mit graue Haar auf die Welt', hat es immer geheißen. Indeſſen bringt das Mädel einen Kopf voll dunkle Locken mit, und wie ihr die ausgegangen ſind, wachſen noch dunklere nach. Die Augen waren ſchwarzbraun, ich hab' mein Lebtag keine ſo ſchönen mehr geſehen.“ Die Gräfin zuckte die Achſeln, erhob ſich und ſagte mit komiſch⸗naiver Entrüſtung zu ihrem Gatten: „Comme il est béte!“ Der Angeſprochene erwiderte nur mit einem zu⸗ ſtimmenden Laut, denn er befand ſich ſchon im Halb⸗ ſchlafe. Ein wenig verdroſſen nahm die junge Dame Platz auf der Ottomane am Fenſterpfeiler, ſtützte den Nacken auf die Polſter und fragte: „War die Reſel groß, klein, wie hat ſie ausgeſ ehen?“ „Sie wird beiläufig eine Perſon gehabt haben wie Hochgräfliche Gnaden, nur nicht ſo mager da herum.“ — Der Förſter legte die Zigarre weg und griff mit 194 beiden Händen an feine breite Taille. „Aber ein Feuerteufel. Man hat nämlich nie gewußt, wenn ſie weg war, ob ſie ihre geraden Glieder heimbringt.“ Die Gräfin lächelte: „Ja, ja, ſo wilde Hummeln gibt's, ich habe auch eine gekannt.“ „Die Eltern ſind aus der Todesangſt um ſie nicht herausgekommen, wollten es ihr aber nicht zeigen, daß ihr nicht weh geſchieht. Manchmal hat ſie's von ſelbſt gemerkt und geſagt: Mutterl, acht Tag’ geh ich dir nicht von der Seiten“, — hat ſich mit ihrer Arbeit hingeſetzt und gekniffelt, gekniffelt! An gutem Wil⸗ len hat's ihr nicht gefehlt, nur war's ganz gegen ihre Natur, und wenn man ſie ſo geſehen hat, iſt ſie einem vorgekommen wie ein Fink oder ein Kanari, den's ein⸗ geſpannt haben, und der ein Wagerl hinter ſich ber- ziehen muß. Ihr Vater hat den traurigen Anblick nicht vertragen, hat ſie immer bald weggeſchickt, ſich ausfanzen auf der Wieſe. Da fie iſt geflogen... Hat übrigens nicht nur getanzt, auch den Leuten geholfen beim Mähen und Heumachen und im Winter beim Holzklauben —, wenn ſie nur draußen im Freien ſein konnte. Und — kurioſes Mädel! eine Paſſion, ihr Leben zu riskieren, als ob ſie's nicht früh genug loswerden könnt'.“ Seine Zuhörerin unterbrach ihn eifrig: „Nein, nein, daran hat ſie nicht gedacht, ſie hat die Gefahr geliebt, das konnnt vor; auch Mädchen haben Helden⸗ 7 * . 195 blut in den Adern ... Vielleicht war ihr Großvater Soldat wie der meine.“ Der Förſter nickte zuſtimmend: „Kann fein... Die Reſel — wenn ich denk', daß ſie als ein zwölfjähriges Ding ein Wickelkind aus dem lichterloh brennenden Haus gerettet hat und ein paar Wochen drauf bald erſoffen wär'. Iſt nämlich ins Waſſer geſprungen einem jungen Hund nach, der hätt' ertränkt werden ſollen.“ „Einem Hund — Förſter, das hätt' ich auch ein⸗ mal getan bei einem Haar! aber die Gouvernante, die dumme Gans, hat mich am Kleid erwiſcht und feſtgehalten ... Erzählen Sie weiter, ich hab' fie ſchon lieb, die Reſel.“ „Schauen, ſo iſt es jedem Menſchen gegangen, nämlich, und nicht anders dem lieben Vieh. Wenn ſie zu uns gekommen iſt, glauben, daß mein Hund mir zugegangen wär'? Keine Idee. Wie verherf um ſie herumgeſprungen und ihr nicht von den Ferſen gewichen. Und mein älteſter Bub', der Robert, macht ihm's nach. Oder will wenigſtens ... Sie war da⸗ mals ſechzehn, er achtzehn. Ich hab' ihn g'haut — es hat nichts genutzt. Fortſchicken mußt ich ihn zu einem Bekannten in Sachſen, wo er mehr zu tun und weniger zu eſſen bekommen hat als zu Haus. Plag' und Hunger, Hochgräfliche Gnaden, ſind die beſten Mittel gegen die Lieb' nämlich.“ 196 „War der Reſel nicht leid um ihn?“ „Nein. Sie iſt mit ihrem Toni gegangen und hat ſich ſonſt um niemanden geſchert. Das heißt, das will ich nicht geſagt haben: an ihre Eltern nämlich iſt ſie gehängt, denen ſie ja das allerhöchſte war, und auch an dem alten geiſtlichen Herrn, dem Vitalis. — Schauen, an dem konnt' man's erleben, wie das iſt, wenn ein einſchichtiger Menſch fein Herz an ein frem- des Kind hängt. Der treibt's mit ihm mehr als die eigenen Eltern, glauben mir ſicher. — ‚Mein Tauf- kind, mein Beichtkind', ich hör' noch den Ausdruck und: ‚Die hat ein Köpferl, die fragt g'ſcheiter, als ich antworten kann. Ja, und was für ein Herz! Nur daß ſie's nicht immer zeigen mag. Wie oft kommt es aber von ſelbſt zum Vorſchein, zum Beiſpiel — wißt ihr noch, Förſter? — bei dem großen Feuer.“ — Jehſes, Jehſes! wenn allemal ein halbes Dorf ab— brennen müßt', damit eins ſein gutes Herz zeigen kann, hab' ich gedacht — geſagt, nein. Den guten, guten Herrn zu kränken, hätt' ich mir zur Sünd' an⸗ gerechnet. Die Reſel war weniger heiklig in dem Punkt, und der Herr Pater nämlich auch ſchwer da— hinzubringen, daß er ihr eine Ermahnung erteilt. Ihm hat ihre Reu Angſt gemacht, die gleich da war, aber nicht viel anders ausgeſchaut hat wie die pure Wer- zweiflung. Da iſt ſie auf die Knie gefallen vor denen Eltern und hat ihnen Händ' und Füß' geküßt und 197 · mit Jammern und Weinen um Verzeihung gebeten.“ „Warum denn um Verzeihung?“ „Wird ihre Urſachen gehabt haben, wiſſen. Die Liebſchaft mit dem Toni war nämlich im höchſten Flor, und die Alten, ſo ſchwach ſie ſonſt waren, davon ha⸗ ben ſie doch nichts wiſſen wollen.“ „Warum denn nichts wiſſen wollen?“ „Erſtens war er kaum zwanzig.“ „Kaum zwanzig!“ Die Gräfin ließ ihren Blick auf den edlen, aber nicht mehr jugendlichen Zügen ihres Gatten ruhen und auf dem Silberglanz, in dem ſein Scheitel unter dem Licht der Lüſterkerzen ſchimmerte. „Zweitens“, ſetzte der Förſter hinzu, „war mein Bruder ein wohlhabender Mann, der für ſeine Toch⸗ ter etwas Beſſeres verlangen konnt' als nämlich einen armen Heger, was der Burſch zu der Zeit geweſen iſt. Heger in der Hubertushütten oben. Wahr iſt, der Vater hätt' früher g'ſcheit fein und nicht erlauben ſollen, daß die Reſel und der Toni von Kind auf beſtändig mitſammen herumrennen. Es hat ſich ſo gemacht, weil das Haus vom Revierjäger, dem Toni ſeinem Vater, nicht weit von der Mühl' war und das einzige in der Nachbarſchaft.“ „Alſo Spielkameraden“, ſprach die Gräfin ernft und nachdenklich, „und beide jung und luſtig, da ha⸗ ben ſie ſich ineinander verlieben müſſen.“ „Zu dienen, Hochgräfliche Gnaden. Ich habe mei⸗ 198 nem Bruder oft geſagt, es wär' Zeit, daß er auf fie Achtung gebet. Umſonſt. Höchſtens, daß er's in Übel genommen und mich angefahren hat: ‚Ich kann ihr nicht nachlaufen mit meiner Gicht; wär' auch ſchad um die Müh', alle möglichen Mucken trau' ich ihr zu, aber nicht einen unrechten Gedanken. Sie wird die Kinderſchuh' und die Dummheit mit dem Toni auf einmal ablegen; laß nur den Andreas da ſein.“ „Wen?“ „Dem Wirt vom Fichtentann ſein Einziger. Ja. — Die Alten haben ſich ihn nämlich ſchon lang zum Schwiegerſohn ausgeſucht gehabt. Die Wochen drauf nach geleiſteter Militärpflicht ſollt' er eintreffen. Ein prächtiger, braver Menſch.“ „Ja,“ ſagte die Gräfin wie im Traum, „brav und gut... aber er hat graue Haare gehabt.“ „Graue Haar’? daß ich nicht wüßt'.“ Die junge Frau wurde über und über rot und wandte die Augen etwas erſchrocken ihrem Manne zu, der inzwiſchen feſt eingeſchlafen war. „Alles eins,“ ſprach ſie raſch, „erzählen Sie weiter.“ „Was ſoll ich noch erzählen? Belieben ſich das End' zu denken; haben das Grab von dem armen Ding geſehen. Sie iſt, verſteht ſich, mit Erlaubnis des hochſeligen Herrn Grafen dort beſtattet worden. Solang der Pater Vitalis noch gelebt hat, hat er die 199 Ruheſtatt von feinem Taufkind gepflegt. Dann hab' ich immer einen von meine Buben hinausgeſchickt.“ „Gut, gut, das kommt ſpäter, jetzt möchte ich wiſ⸗ ſen, wie die Reſel geſtorben iſt.“ Der Förſter zögerte. „Verlangen ſich's nicht, Hoch⸗ gräfliche Gnaden, es iſt nämlich eine ſehr traurige Ge⸗ ſchicht'.“ „Aber ich will ſie kennen“, ſprach die Gräfin ge⸗ bieteriſch und hob ſich auf dem eingeſtemmten Ell⸗ bogen ein wenig in die Höhe. „Jetzt haben grad ſo geſchaut wie die Reſel“, be⸗ merkte der alte Jäger lächelnd. „So, — wann?“ „Wann man ſie bös gemacht hat, und das iſt ſie leicht geworden gegen jeden, nur gegen den Toni nicht; was der getan hat, war immer recht — nämlich ihr. Eine Unbändige wie die und getraute ſich nicht, die Augen anders aufzuſchlagen als ſo, wie es ihm ge⸗ fällig war.“ „Sie hat ihn eben lieb gehabt.“ „Beim Tanz konnte es noch ſo luſtig hergehen, konnten's die Burſchen mit ihr treiben wie verruckt, die Freud' war gleich vorbei, wie der Toni aus Eifer⸗ ſucht oder was ein Geſicht geſchnitten hat. Bei ihm war das fertig im Handumdrehen.“ „Das iſt merkwürdig,“ ſagte die Gräfin, „daß der Toni auch ſo geweſen iſt.“ 200 · „Sehr merkwürdig“, beftätigfe der Förſter unbe: fangen. „Ein lieber, hübſcher, luſtiger Kerl iſt zum Tiſch getreten; ein hölzerner Haubenſtock mit ſchiefem Maul hat ſich niedergeſetzt. Wenn ich ein Mädel wär', ich nehmet keinen, der ſo iſt. Sonſt war ihm nichts nachzuſagen; er war tüchtig in ſeinem Fach, voll Courag' und wie der Teufel auf Wildſchützen und Holzdiebe. Davon aber hat eine Geliebte nichts.“ „Sie hat davon, daß es ihr gefällt, und das iſt alles.“ „Entſchuldigen, man möcht' halt wiſſen, was für einen Grund ſie gehabt hat zu ſo einer Lieb'.“ „Auf den Grund kommt's nicht an, lieber Rup⸗ pert.“ Sie lehnte den Kopf zurück und ſchloß die Augen. „Weiter, weiter. — Nun, ſoll ich Ihnen einſagen? — Der andre wird ſtündlich erwartet und der armen Reſel fürchterlich zugeſetzt: „Du nimmſt ihn, du mußt! — Wir wollen, wir beſchwören, der Frieden unfrer alten Tage hängt davon ab. Wie ſanft würden wir ſterben, wenn wir dich wüßten in der Hut eines braven Mannes ... Kind, Kind! mach' uns den Tod nicht ſchwer. — Haben fie fo zu ihr geſprochen, die Großeltern und der Vitalis?“ „Bitt' ſchön, Großeltern waren keine“, verſetzte Ruppert nicht ohne Schadenfreude an der Lücke im divinatoriſchen Talent ſeiner Gebieterin. „Der geiſt— liche Herr hat ihr im Namen der Eltern zugeredet.“ 20 „Und fie hat nachgegeben, die Armſte?“ Der Förſter wiegte bedenklich den Kopf: „Ver⸗ zeih ihr Gott und geb ihr den ewigen Frieden.“ „Wie — — Alſo ſtandhaft geblieben die Reſel und ‚nein‘ geſagt?“ „Nicht ‚ja‘ und nicht ‚nein‘, aber völlig deſperat geweſen, hör' ich, den Eltern gute Nacht gewünſcht, und man ſoll für ſie beten. — Aus dem Zimmer ge⸗ gangen, wieder hereingekommen, paarmal nacheinand, grad als ob ſie etwas ſagen möcht' und ſich nicht traut und es nicht herausbringt. Endlich auf das viele Bitten der Mutter geht ſie zur Ruh'. „Morgen re⸗ den wir weiter', ſagt der Vater, und ſie, mit einer Art Todesangft: „Wenn zwei bitten kommen, viel⸗ leicht erbarmt ihr euch dann.“ In einer Viertelſtund' hat die Mutter nachgeſehen, da iſt ſie im Bett ge⸗ legen und hat geſchlafen — oder dergleichen getan. Am nächſten Morgen war ſie verſchwunden.“ „Sie hat ſich ins Waſſer geſtürzt oder in einen Abgrund“, erklärte die Gräfin mit großer Beſtimmt⸗ heit. „Wohl ihr, daß ſie es konnte, daß keine Gou⸗ vernanten da waren, ſie zu hindern.“ „Wie meinen — Gubernanten? waren freilich keine da“, ſprach der Förſter treuherzig. „Die ordi⸗ nären Leut' aber haben alle geſagt wie Hochgräfliche Gnaden: die hat ſich umgebracht ſo oder ſo, und denen Eltern noch zu Gehör geſprochen: Wenn man einem 202 Kind von jeher feinen Willen gelaffen hat, darf man nicht auf einmal Gehorſam von ihm verlangen. Die den Selbſtmord am bitterſten beweinen, brauchen nicht erſt zu fragen, wer ihn verſchuldet hat.“ „Ganz richtig“, warf die Gräfin ein. „Die Alten ſind dageſeſſen, wie wenn der Blitz ſie getroffen hätt'. Was iſt ihnen am Gered' ge⸗ legen? Solche Vorwürfe, wie ſie ſich ſelber gemacht haben, hätte der ärgſte Bosnickel nicht erfunden. Der Herr Kaplan, der auch Troſt braucht, ſpendet ihn, probiert es wenigſtens. — Da klopft 's ans Fenſter und gleich darauf an die Tür. Die Eltern fahren zu⸗ ſammen; ſie meinen nicht anders als: Unſre Tote meldet fi). — — Statt dem kommt der Bub vom Bäcker herein, der dem Toni alle Wochen zweimal das Brot bringt. Sie ſollen ſich nicht abkränken, ſagt er, die Reſel lebt, er hat ſie geſehen, ſie iſt oben in der Hubertushütten.“ „Wo?“ — die eifrige Zuhörerin ſchlug in die Hände und rief mit einem Gemiſch von Tadel und Bewunderung: „Mordsmädel das!“ „Ich bin juſt auf Beſuch bei meinem Sohn in Sachſen geweſen“, fuhr der Erzähler fort, „und erſt am Abend zurückgekommen. Das Unglück war ſchon geſchehen — vorher aber ein Wunder. Denken nur, der alte Pater Vitalis hat den Weg zum Heger an⸗ getreten und wirklich zurückgelegt. Wie er über die 203 Felſen und über das Geröll gekrochen ift, der fehmwer- fällige Herr mit ſeine wackligen Beine, laßt ſich auf natürliche Art nicht erklären. Nachgehens habe ich ihn gefragt: ‚Wie waren Sie imſtande, die Be⸗ ſchwerlichkeiten von der Wanderung zu überwinden?“ — Seine Antwort war: Ich habe keine Beſchwer— lichkeiten verſpürt, ich bin hinaufgetragen worden von meinem großen Zorn und meinem großen Schmerz.“ — Kurz und gut, er tritt in die Hütten. In der Ku⸗ chel am Herd ſteht ſein Taufkind, ſein Beichtkind', ſchlagt die Hände vors Geſicht, wie ſie ihn erblickt, und weint, daß die Tränen ihr durch die Finger flie⸗ ßen. Wo war da ſein Zorn? Nur ſein Schmerz iſt übriggeblieben und hat aus ihm geredet: „Du Gott⸗ verlaſſene, weißt du, was du getan haſt? Weißt du, ob deine Eltern die Schand' überleben? .. Davon⸗ gelaufen — du!... Warum davongelaufen? — Sprich! Da iſt dein alter Beichtvater, beichfe! Nun mein Gott und Herr, es war nicht ſchon an⸗ ders als nämlich am allerſchlimmſten. Sie hat einge⸗ ſtanden, daß ſie es nicht mehr aushalten konnte unter einem Dach mit ihre braven, betrogenen Eltern, nicht mehr hören konnte: „Wenn du uns lieb haſt, heirateſt du den Andreas! — daß fie alſo in ihrer Deſperation hierher gerannt iſt. Heute oder morgen haben die El⸗ tern doch erfahren müſſen, wie es mit ihr ſteht und —“ 204 Die Gräfin fiel ihm erregt ins Wort: „Die Zucht hat ihr gefehlt, die Führung. Sie iſt ganz allein da⸗ geſtanden, Aug’ in Aug’ mit der Verſuchung . Arme Reſel! — Von einer ſolchen Gefahr wiſſen wir freilich nichts; uns wird die Wahl zwiſchen Recht und Unrecht erſpart — die Beſchützer laufen uns ja nach auf Schritt und Tritt. Gar oft verdrießt einen die beſtändige Überwachung und iſt am Ende doch Glück und Gnade. Ach, wie wohl tut das reine Gewiſſen, das wir uns — nein, das man uns be- wahrt hat!... Weiter, Oberförſter, warum unter⸗ brechen Sie ſich alle Augenblicke? Was hat er jetzt geſagt, der gute Pater Vitalis?“ „Je nun, die Botſchaft der Eltern hat er ihr aus⸗ gerichtet. Daß ihr verziehen iſt nämlich, und die Hei⸗ rat mit dem Toni erlaubt, aber: aus dem Elternhaus geht's zur Kirchen, ins Elternhaus muß ſie gleich mit ihm zurück. Die Reſel war, wie wenn ihr die Sonne beim Untergang feuerrot ins Geſicht geſchienen hätte, und dabei ſoll ein Froſt fie geſchüttelt haben., Mein Va⸗ ter, ſagt ſie, meine Mutter, meine guten Eltern, meine viel zu guten! Sie hat die beſten Vorſätze ge⸗ faßt, ihnen alles zu vergelten und tauſendfach zu bü⸗ ßen, was ſie an ihnen verſchuldet hat, und von nun an die dankbarſte Tochter zu ſein, die gehorſamſte. — Mit Gottes Gnade, fagfe der Herr Kaplan, ‚und 205 jetzt komm.“ Noch nicht; fie nötigt ihn, ein Glas Ziegenmilch zu trinken, und gibt ihm dann über den halben Berg das Geleit, bis wo der Weg gut wird. Da bleibt ſie ſtehen, nimmt ſeine Hand und küßt ſie. Vergelt's Gott, Hochwürden, und auf baldiges Wie⸗ derſehen. Er erſchrickt: „Was? gehſt nicht gleich mit?“ — Alſo nein! um nichts auf der Welt kann fie kommen ohne den Toni; das wär' ja, als ob er nichts mehr von ihr wiſſen wollt' und ſie nach Hauſe ſchicket. Sie haben beide gefehlt, ſie müſſen beide um Ver⸗ zeihung bitten und um den Segen. Die Tage ſind jetzt lang, meint ſie — nämlich im Anfang Juni — es iſt noch hellicht, und ſie möchte ſo gern warten, bis es dunkel wird. Vor Schlafengehen trifft fie fi- cher ein, bringt den Toni mit, und wenn der ſeine Begnadigung hat, ſoll er nur gleich fort, ſie ſchwört, daß ſie ſich's dann nicht einmal verlangt, ihn eher wiederzuſehen als am Altar bei der Trauung. Noch einmal küßt fie dem Pater die Hand, und eh' er ſich beſinnt, iſt ſie auf- und davongeſprungen. — Nach einer Weile hat die Luft von der Höh' herab dem geiſtlichen Herrn einen Jauchzer zugetragen, da war ſo ein Jubel drin, als ob eine arme Seel' aus dem Fegfeuer gradaus in den Himmel aufflieget.“ „Nun hätte ja alles gut werden können, Förſter.“ „Zu dienen, ja — können, das heißt, wenn näm⸗ lich der Toni ein ganzer Mann geweſen wäre und 206 · nicht ein halbeter, der fich einer übeln Angewohnheit aus ſeiner Bubenzeit noch nicht erwehren kann. Er iſt, das hat er mir erzählt, — wenn ich ſage, zwanzigmal, ſage ich nicht genug, — an dem Abend in ſeinem ſchlimmſten Humor geweſen, nämlich. Hat er einen Streit gehabt, hat er einen Waldfrevel entdeckt oder was — genug, wie ihm die Reſel von weitem zu⸗ ruft, tut er ſchon, als ob er nichts höret noch ſehet. Sie kommt ihm entgegen und teilt ihm voller Freu⸗ den alles mit, vom Beſuch des Pater Vitalis und von der Einwilligung der Alten. Der Tom ſpielt ſich auf den Dummen, macht dergleichen, als ob er nichts verſtehet. Einwilligung — zu was? er möcht' gern wiſſen, zu was er Einwilligung brauchet. Geht ins Haus, fangt an, ſein Gewehr zu putzen und ſingt ſich dazu recht frech und übermütig das alte Liedel: Ich will dich ja lieben, aber heiraten nicht.“ Die Gräfin hatte ſich mit einem Ruck aufgerichtet: „Schlechter Kerl! Miſerabler Menſch ... Ach, daß ſie doch nicht zu ihm gegangen wäre! — Alſo weiter, Herr Ruppert.“ „So gewöhnt die Reſel an feine ungleiche Laun' auch war, in dem Augenblick iſt ihr's zu viel gewor⸗ den, und fie hat ihm ein paar ernſthafte Worte ge⸗ ſagt. Gleich iſt der Gifthahn beleidigt, der empfind⸗ 5207 liche Dalken, und das muß natürlich geſtraft werden, je grauſamer, je beſſer. — Werden das nicht wiſſen, weil es dergleichen kaum geben wird bei ſo hohe Herr⸗ ſchaften nämlich; aber unter uns kommt's vor, daß einer ſein Liebſtes, ob es jetzt ein Hund iſt, ein Pferd oder ein Frauenzimmer, manchmal plagen muß bis aufs Blut „Ach ja, ich kenne das,“ ſeufzte die junge Frau, „ſolche Käuze findet man überall. Und ſie gefallen einem noch.“ „Unbegreiflicherweiſ' nämlich: denn in einem ſol⸗ chen Moment — ich hab' das vom Toni — iſt denen Sekierern, wie wenn der Teufel ihr Herz in ſeine ver⸗ fluchte Krallen nehmet und zuſammendrucket, daß es hart wird wie Stahl ... Aber Hochgräfliche Gnaden ſind, ſcheint mir, ſchläfrig. Soll ich nicht aufhören?“ „Nur weiter, lieber Herr Oberförſter.“ „Wie ſie ihn ſo gar bös geſehen hat, iſt ihr angſt und bang geworden, und ſie macht ihm nicht den ge⸗ ringſten Vorwurf, bittet nur demütig: Schau, nimm mich doch. Tu's aus Erbarmen mit meine braven El⸗ tern. Aber der ſtutzige Bock beutelt mit dem Kopf wie ein Sonnenkollerer. Es fallet ihm nichts ein vom Heiraten, und er ſei zu jung nämlich, und er will noch ſeine Freiheit genießen. Auf das hin wird die Reſel ſtill.“ „Und was tut ſie?“ 208 „Im vorigen Winter, wiffen, iſt der Toni von drei Kerlen mit berußte Geſichter, wahrſcheinlich ab— geſtrafte Holzdiebe, im Schlaf überfallen, gebunden und geknebelt, aus dem Bett geriſſen und in den Schnee geworfen worden. Einem puren Zufall, der mich zu ganz ungewohnter Zeit dort vorbeigeführt hat, hat er's zu verdanken, daß er nicht völlig erfroren iſt; zu drei Viertel war er's ſchon. Seit damalen hat er immer eine geladene Piſtolen an der Wand beim Bett hängen gehabt. Auf dieſe geht die Reſel zu, nimmt fie vom Nagel und ſpannt: Toni, ich muß heim, ich hab's dem geiſtlichen Herrn verſprochen, ich kann aber nicht kommen ohne deiner. Kommft mit, Toni — Willſt?“ In ihm hat alles gezittert, weil ſie einen ſo ent⸗ ſchloſſenen Ausdruck gehabt hat, aber er wird ſich doch nicht imponieren laſſen, er, mit feiner Courag'. — Kommſt mi£?‘ — Das iſt kein Bitten mehr, und jetzt droht fie: „Willſt?“ — Er ſchreit, er weiß nicht was — er fürchtet, daß er: „Nein', daß nämlich der Böſe: ‚Kein‘ aus ihm geſchrien hat, und ſtürzt auf ſie zu und will ihr die Piſtolen aus der Hand reißen. Das hätt' ihm freilich früher einfallen ſollen. Die Reſel ſtürzt zuſammen, hat ſich in die Bruſt geſchoſ— fen, die Kugel ſitzt in der Lungen... Jetzt iſt dem Teufel ſeine Arbeit fertig, jetzt laßt er los. Dem Toni geht das Herz auf und gehen die Augen über. Er wirft 209 . ſich neben ihr hin ... Die Welt, wenn fie fein wäre, nämlich, den Himmel, wenn er ihn hätte, alles gebet er, um daß ſie geſund werden möchte, ſeine Geliebte, er ſpürt es wohl: ſeine Vielgeliebte. Und holt Decken und einen Polſter und legt ſie ſo vorſichtig drauf, als ob ſie ein bis zum Rand gefülltes Glas wäre, aus dem um Gottes willen kein Tropfen ausgeſchüttet werden darf. Aber ſie ſagt mit einer großen Müh': Geh, du biſt ſchlecht ... Ach Vater, ach Mutter!... Ach, du Schlechter, laß mich wenigſtens nicht ſterben wie ein Tier — ruf mir den geiſtlichen Herrn ... Und er fort. — Ein Felsſtück, das von der ſteilen Wand abſpringt, wäre nicht früher unten geweſen. Ohne anzuklopfen, ſtürzt er dem Herrn Kaplan ins Zimmer, findet ihn nicht allein, ſeine Behörde, der Herr Dechant von Marienhöhe, ſitzt bei ihm. Matür⸗ lich bringt der Toni trotzdem ſeine Sache vor. Der Pater Vitalis wird leichenblaß und muß ſich an ihn anhalten, daß er nicht umfallt, nämlich. Dennoch ſagt er: ‚Stütze mich — komm', und will in die Kir⸗ chen um das Allerheiligſte; kann nur nicht, iſt zu ſchwach. Der Herr Dechant führt ihn zu einem Seſ— ſel und erkundigt ſich genau, was denn ſei? Dann meint er: „Wie? das Allerheiligſte hinauftragen an die Stätte, wo alles Heilige mit Füßen getreten wor⸗ den? Unmöglich. Bringt erſt die Verwundete ins Elternhaus zurück, zu Buße und Entſühnung ... Ja, 210 · bringt fie‘, ſagt auch der Herr Kaplan ... „Aus dem Elternhaus hat ſie als Braut zu mir kommen ſollen, ſich meinen Prieſterſegen abholen zu einem neuen Le— bensweg; im Elternhaus will ich ihr die Reiſezehrung reichen zu ihrem letzten Gang.“ Von da an habe ich alles ſelber mitgemacht, nämlich, bin neben der Tragbahren hergegangen, auf der ſie gelegen iſt und hat nichts als gebetet. Manchmal habe ich mich zu ihr gebückt: Nun, wie fühlſt dich? „Ach, Herr Onkel, als eine große Sün— derin. Wir haben ſie alſo heimgebracht und auf das Bett der Mutter gelegt, weil die es ſo verlangt hat. Kein Aug' hat die Reſel von ihr abgewendet, außer um den Vater anzuſchauen, und hat die Händ' von beide in ihre Hand’ gehalten und geſagt: „Ihr ... und im⸗ mer wieder: Ihr .. Es war leicht zu verſtehen, was das geheißen hat, nämlich: Ihr ſeid das Gute, das Beſte. Niemand hat mich lieb gehabt wie ihr. Ich bereue! ich bereue! Ach, daß ich doch nicht fort müßt', daß ich doch bei euch bleiben könnt'. — Mein Bruder hat laut geantwortet auf ihre ſtummen Re⸗ den: ‚Es wird keine lange Trennung fein, wir kom⸗ men dir bald nach. — Nun hat der Geiſtliche ſich genähert und ihr zugeſprochen mit herrlichen Worten. Dann ihre kurze Beichte gehört, und iſt eben im Be— griff geweſen, ihr die Abſolution zu erteilen, als ein een Krakeel vor der Tür entſtanden ift. Es will nämlich einer herein, den andre abzuhalten ſuchen.“ „Der Toni“, ſprach die Gräfin. „Ja. Man hört ein paar Leute ſchreien und hin⸗ fallen, und die Tür geht auf. Keiner hat ſich umge⸗ ſchaut, nur ich. Da ſeh' ich ihn, wie er kniet ... Hoch⸗ gräfliche Gnaden, ich habe viel geſehen in meinem langen Leben, ſo etwas nicht wieder. Der rechte Schächer, wenn man den vom Kreuz abgenommen hätte, bevor der göttliche Erlöſer ihm Vergebung ver⸗ heißen — dem ſein Ebenbild war er. Wohl bin ich aufgeſprungen, nimm ihn beim Kragen und will ihn hinauswerfen. Aber er, den ich ſonſt mit einem Fin⸗ ger an die Wand gedruckt habe, erwehrt ſich meiner und rutſcht auf ſeine Knie bis mitten ins Zimmer. Seine Zähne haben ihm geklappert, dicke Schweiß⸗ tropfen ſind ihm über die Wangen gelaufen, ſeine Augen waren trocken wie Feuer. ‚Refel!“ ſagt er, verzeih mir!! Sie horcht. — ‚Verzeih mir!‘ wieder⸗ holt er, ſchleppt ſich bis ganz in die Mähe von ihrem Bett und ſchlagt mit der Stirn auf den Boden. Der Herr Kaplan wendet ſich ab, die beiden Eltern preſſen die Geſichter in den Polſter, auf dem die Reſel liegt. Sie faßt mit der einen Hand die Mutter um den Hals, und mit der andern deutet ſie auf den Schächer. Alles Irdiſche war von ihr abgefallen, ſie hat ihn mit einem fo ſanftmütigen Mitleid angeſchaut e „Vater — Mutter — Hochwürden .. . das iſt ein ar: mer Menſch ... Und nimmt ihre letzte Kraft zu- ſammen: „Vater — Mutter — Hochwürden, er: barmt euch feiner... Mein Kind, denke jetzt nur an den Ewigen, vor dem du bald ſtehen wirft,‘ beſchwört Vitalis — denk' an das Heil deiner Seele.“ Aber fie ſagt: „Mein Leben lang habe ich um Ver⸗ zeihung gebeten, jetzt bittet einer mich, und ich ſoll fie ihm verweigern?“ „Dein Heiland, mein Kind, begehrt einzuziehen in dein Herz — empfange deinen Heiland, mein Kind.“ „Zuerſt verzeihen“, antwortet fie und richtet ihre halb gebrochenen Augen auf den armen Sünder: Ich verzeih dir, Toni, und wenn auch Gott mir nicht verzeiht — ich verzeih dir.‘ 3 Damit war fie hinüber.‘ Tol?“ „Tot, und hat über die Verſöhnung mit einem Menſchen die Verſöhnung mit ihrem Schöpfer ver- ſäumt. — Wir ſtehen vor ihr, ich und die Eltern nämlich, und ſtarren ſie voller Entſetzen an, und doch wieder nicht, weil ſie daliegt und lächelt, ſo friedlich wie ein unſchuldiges Kind. Der Pater Vitalis iſt am früheſten zur Beſinnung gekommen, hat ſich mit einer wunderbaren Kraft aufgerichtet, die Arme zum Himmel emporgehoben und laut und inbrünſtig ges betet: Vergib uns unſre Schulden, wie auch wir ver— geben unſern Schuldigern “ „Arme Reſel!“ hub die Gräfin nach einer langen Pauſe an... „und was iſt aus ihrem unglückſeligen Geliebten geworden, lebt er noch? ich möchte ihn ken⸗ nen, den Toni.“ „Kennen ihn ohnehin“, erwiderte der Förſter. „Iſt derſelbe, der Hochgräfliche Gnaden heute geführt hat, auf der Jagd.“ „Der war's — der?“ — jetzt befann fie ſich. Der hartnäckige Schweiger mit dem finſtern Blick, in def- ſen Nähe ihr faſt unheimlich zumute geweſen, hatte eine flüchtige, raſch verjagte Erinnerung in ihr ge- weckt, — die Erinnerung an einen, den zu vergeſſen ihre Pflicht war. 214 Die Poefie des Unbewußten Novpellchen in Korreſpondenzkarten Liebe Mama! 7. Juli. D as Schloß liegt auf einem Berge, der für unſre Gegend ein Montblanc wäre, hier aber neben dieſen Rieſen nur ein Kind von einem Berg iſt. Gegen Oſten hin öffnet ſich ein grünes Tal; ein Bächlein durchrennt es, weiß wie gepeitſchter Seifenſchaum. Wenn ich auf den Balkon trete, rauſcht ein Meer von grünen Wipfeln zu meinen Füßen. — Hör’ ihnen zu, ſie begrüßen dich, ſagte Albrecht. War das nicht nett? Mein Mann iſt überhaupt ſo gut! Ich mache jetzt erſt ſeine Bekanntſchaft. Eigentlich haſt Du mich mit einem fremden Herrn in die weite Welt reiſen laſſen. Ich küſſe Deine Hände, ich möchte Dir tauſend zärtliche Dinge ſagen, aber Du liebſt das nicht, ſo ſage ich denn nur: Lebe wohl! Deine Tochter. 215 · 10. Juli. Dank für Deinen teuren Brief; es iſt doch grau⸗ ſam, daß ich, um ihn zu beantworten, nur eines der ſchönen Kärtchen benützen darf, die Du mir mit⸗ gegeben haſt. Viel zu tun habe ich allerdings. Ich will auch eine Schloßfrau werden wie meine Mut⸗ ter, eine Stütze und ein Hort für meine ganze Um⸗ gebung. Freilich, du biſt ſchon lange die Gebieterin Deines Hauſes, und ich muß mich erſt an die Herr⸗ ſchaft gewöhnen. Albrecht mahnt mich oft: Laß doch das Bitten weg! Der Oberſt ſagt zu ſeinen Soldaten: Vorwärts! Wenn er ſagen würde: Ich bitte vor⸗ wärts zu marſchieren, bliebe wohl mancher zurück. — Aber das iſt doch nicht ganz dasſelbe, nicht, meine ge⸗ liebte Mama? — Ich umarme Dich, ich lege mein ganzes Herz in — oder ſoll ich ſagen, auf dieſe Karte? 13. Juli. Mein teures Kind, laſſe es nur bei den Kärtchen bewenden, murre nicht gegen meine Anordnungen. Daß ich im erſten Jahre Deiner Ehe durchaus keine langen Briefe von Dir erhalten will, das hat ſeine 216 guten Gründe, die Dein Mann, der „fremde Herr“, der mir ein ſo gut bekannter iſt, ſicherlich würdigen wird, Du brauchſt ihn nur danach zu fragen. Mit treuer Liebe Deine Mutter. 17. Juli. Ich habe Albrecht Deine Karte gezeigt und ihn gefragt: Weißt du ſie zu würdigen dieſe Gründe? — Nun, Mama, er hat mich ſo ernſthaft angeſehen, daß ich ganz beſtürzt wurde. — Natürlich, war ſeine Antwort. O Mutter, ich fürchte, mein Mann ver- ſteht Dich beſſer als ich! Ich wagte nicht, ihn um eine Erklärung zu bitten, ich bin ihm gegenüber noch ſehr befangen. Er ſpricht ſo wenig, er iſt ein verſchloſſener Menſch; das Kennenlernen geht nicht ſo raſch, als ich anfangs dachte. Es iſt doch etwas außerordentlich Impoſantes um ſolch einen großen, ſchweigſamen Mann. Haben wir es denn genug erwogen, ob ich nicht zu gering für ihn bin, ich armes Ding, das in der Welt und von der Welt nichts weiß. 217 · 22. Juli. Ich ſoll trachten, ihn zu unterhalten! Ach, er hat ſich mit mir noch nie ſo gelangweilt, als ſeitdem ich ihn zu unterhalten trachte. Tagsüber ſehe ich ihn nicht, da iſt er im Wald oder in der Fabrik. Er kommt erſt zu Tiſch um ſieben Uhr. Nach Tiſche raucht er und lieſt Zeitungen, und ſodann beginnt das große Schweigen. Ein paarmal befolgte ich Deinen Rat und brachte allerlei vor — von Büchern und ſolchen Sachen. Er hört mir geduldig zu, aber auf mein Geſchwätz zu antworten, iſt ihm nicht der Mühe wert. Kein Wunder auch. Ein Mann wie er! Ein Kind wie ich! 26. Juli. Vor drei Tagen dachte ich: willſt doch ſuchen, ihn ins Geſpräch zu ziehen, und fragte ganz direkt: Wallenſtein oder Götz, welchen ſtellſt du höher? — Schwer zu beſtimmen, ſagte er, machte ſein ſtrenges Geſicht und ſah aus wie einer, der ſich mit Gewalt auf etwas beſinnen will. Endlich ſprach er: Ein Buch, 218 das ich ſehr gern habe, iſt der Siebenjährige Krieg von Schiller. Kennſt du's? — Ich nicht, und niemand kennt es. — Warum? — Weil es nicht exiſtiert. — So? ... Seine braunen Wangen wurden noch dunk⸗ ler; das iſt ſeine Art zu erröten. Hat es ihn verdroſ⸗ ſen, daß ich auf ſeinen Scherz nicht einging? Habe ich eine andre Albernheit begangen? Genug, er ſtand auf, machte eine Bemerkung über das Wetter und ging ſogleich fort. Und ſeitdem geht er alle Abende fort, und ich ſehe ihn faſt gar nicht mehr. O hätte ich geſchwiegen! 7 26. Juli. Liebe Schweſter! Es geht nicht, wie es gehen ſollte. Meine Frau iſt eine Vollkommenheit an Güte, an Verſtand, an Ge⸗ lehrſamkeit, in allem und jedem — viel zu hoch für mich und ihre Meinung von mir auch viel zu hoch!. Die Augen werden ihr aufgehen, und dann werde ich alles verloren haben; ihre Liebe, die ſie mir auf Treu und Glauben geſchenkt hat, iſt mir alles. Es iſt jeder zu bedauern, der es mit ſeiner Frau 219 · ſchlecht getroffen hat; ich habe es zu gut getroffen und bin am allermeiſten zu bedauern. Albrecht. 28. Juli. Geſtern machten Albrecht und ich einen Ritt durch das Tal. Es zieht ſich lang ſchmal hin, breitet ſich dann plötzlich aus und umfängt ſamtne Wieſen und einen kleinen See, den unſer Waldbach tränkt; am Ufer des Sees liegt ein Garten, und in dieſem ein allerliebſtes Schlößchen. — Wem gehört das? Wer wohnt da? fragte ich. — Ein Graf Wieſenburg hat es bewohnt. — Hat? — Ja. Er ſtarb vor kurzem in Ems. — Unverheiratet? — Nein. — Und ſeine Witwe? — Nimmt ihren Aufenthalt im Auslande. — Und dieſer reizende Beſitz? — Steht leer; ſoll verkauft werden. — Steht nicht leer! Die Fahne weht vom Dache, die Gräfin wird angekommen ſein. . . . Da ſah ich es, wie ſehr man ſich in acht nehmen muß, ihm zu widerſprechen, beſonders — — Verzeih, ich laſſe mir's heute wohl ſein und nehme eine zweite Karte. 220 · 9 (Fortſetzung.) Beſonders wenn er unrecht behält wie geſtern. Denn gar bald beſtätigte ein Bäuerlein, das des We⸗ ges kam, meine Vermutung: die Gräfin Blanka von Wieſenburg iſt zurückgekehrt. — Siehſt du? rief ich. Albrecht ſchwieg, biß ſeinen Schnurrbart und pei⸗ nigte ſein Pferd. Ich konnte es endlich nicht mehr mit anſehen und ſagte: Aber Albrecht, der arme Fuchs! ... Wäre dieſe Gräfin doch dort, wo das be- kannteſte aller Gewürze wächſt. Er warf mir einen Blick zu — — Mama, hört eine Frau jemals ganz auf, ſich vor ihrem Manne zu fürchten? 10 29. Juli. Teure Mutter! Ich habe erfahren, daß mein Vetter Hans wieder in M. iſt und nach wie vor in den Feſſeln der Frau von F. liegt. Willſt Du ihn nicht zu Dir kommen laſſen und ihm ins Gewiſſen reden? Du verſtehſt das. Du kannſt ihm auch ſagen, daß wir uns ſeiner 221 ſchämen, Albrecht und ich. Albrecht begreift es nicht, wie ein Mann ſo ehrlos ſein kann, der Frau eines andern den Hof zu machen. Du hätteſt die Ent⸗ rüſtung ſehen ſollen, mit der er auf meine Frage: Begreifſt du's? entgegnete: Was würdeſt du zu einem Manne ſagen, der das getan hätte? Ich konnte mich nicht genug beeilen, ihn zu beruhigen: Verach⸗ ten würd' ich ihn! Er iſt ja ein Dieb und Betrüger und in allen Stunden ein Lügner! So iſt es! So iſt es! ſprach Albrecht mit einem Ausdruck, den ich Dir nicht ſchildern kann. O Gott, wie edel muß man ſein, um ſolchen Schmerz zu emp⸗ finden über die Schlechtigkeit der andern. Ich ſtand auf, trat zu ihm und drückte einen Kuß auf ſeine ehr⸗ liche Stirn. Er kann aber Zärtlichkeitsausbrüche ſo wenig leiden wie Du, und auch das gefällt mir im Grunde. — Laß, laß, ſagte er und wandte ſich ab. 11 29. Juli. Liebe Schweſter! Ich kann nicht fort, ſonſt hätte ich Dir ſchon meine Frau gebracht, es würde mich ſehr freuen, wenn Du ſie kennenlernen würdeſt, aber ich bin jetzt mein eigener 222 - ä 2 > 2 u u Fabriksdirektor, und dabei wird es noch eine Weile bleiben müſſen. Schrecklich iſt gewirtſchaftet wor- den in den letzten verwünſchten Jahren. Das wäre aber alles nichts, damit werde ich allein fertig, es iſt etwas andres. Daß Blanka im Schlößchen eingetrof— fen iſtll! So hält die ihr Wort, und ſo iſt alles aus, wenn meine Frau das erfährt, alles aus, und damit werde ich allein nicht fertig. Liebe Schweſter, laß Deinen Reiſewagen vorfah⸗ ren, ſetz' Dich hinein und komm. Albrecht. 12 1. Auguſt. Liebe Mama! Die Schweſter Albrechts hat uns mit ihrem Be⸗ ſuch überraſcht. Sie iſt um zehn Jahre älter als er und ein Fräulein und wird wohl auch nichts andres mehr werden. Sie iſt groß und mager, ſehr liebens⸗ würdig, außerordentlich geſcheit. Vor Zeiten muß ſie wunderſchön geweſen ſein. Ihre Augen ſind es noch, die ſehen einen durch und durch. Sie macht gar nichts » 223 · aus ſich, ihre Haltung hat gewöhnlich etwas Mach⸗ läſſiges; aber manchmal, plötzlich, ſcheint ſie zum Be⸗ wußtſein ihres Selbſt zu kommen. Und da richtet ſie ſich auf... In ſolchen Augenblicken fühle ich mich neben ihr — eine Mücke. Meinem Albrecht iſt wohl in ihrer Nähe. Mun ja, ein Mann wie er kann leicht aufrechtſtehen neben jeder Superiorität. 13 3. Auguſt. Mein Mann ſpricht jetzt mehr als früher, und Emilie weiß immer, was er gemeint hat, wenn er auch etwas ganz andres ſagt. (Denn er iſt ſehr zerſtreut.) Er hat zum Beiſpiel in eigentümlichem Zuſammen⸗ hang den Orinoko genannt oder Karl den Großen. Sie läßt ſich dadurch nicht irremachen (wie ich mich neulich durch den Siebenjährigen Krieg), ſie nickt zu⸗ ſtimmend: Ganz recht, du meinſt den Mitſſiſſippi, oder: Ganz recht, du meinſt Karl den Fünften. Und er ſagt: Natürlich, und freut ſich, daß man ihn ſo gut verſtanden hat. Ja, ſo mit ihm umzugehen, das muß ich eben ler⸗ nen! 224 14 4. Auguft. Meine Schwägerin ift noch am Tage ihrer An— kunft zur Gräfin Wieſenburg gefahren. Es war ihr darum zu tun, ein kleines Verſäummis Albrechts gut— zumachen. Er vergaß nämlich, der Gräfin ſeine Hei— rat anzuzeigen, was ſie übel genommen hat, wie es ſcheint. Emilie blieb lange aus, und mein Mann er⸗ wartete ſie mit außerordentlicher Bangigkeit. Ich möchte mich einmal in Gefahr befinden, damit er ſich auch um mich ängſtige. Als Emilie endlich zurückkam, merkte ich ihm viel weniger Freude an, als ich ihm früher Unruhe an— gemerkt hatte. Er fragte nur: Etwas ausgerichtet? — Eigentlich nein; du mußt hinüber. Albrecht prote⸗ ſtierte, und das freute mich; ein ſo außerordentliches Weſen ſeine Schweſter auch iſt, ſie hat ihm doch nicht zu ſagen: Du mußt! 15 6. Auguſt. Gräfin Blanka hat uns beſucht. Denke Dir ein Schneewittchen mit blauen, melancholiſchen Augen, 8 v. Ebner⸗-Eſchenbach 25 mit gewellten, ſeidenen, aſchblonden Haaren. Mein alter Muſiklehrer (ich laſſe ihn herzlich ſt grüßen) würde ſagen: Eine harmoniſche Erſcheinung. Ich war beim erſten Blick von ihr bezaubert, und ſie, — o Himmel, ſolang ich lebe, iſt mir noch niemand mit ſolcher Wärme entgegengekommen! Sie iſt eine ebenſo ausgezeichnete Perſon wie Emilie, und auch ihr Daſein war reich an Prüfungen. Sie war unglücklich verheiratet, ſie ſagt es ſelbſt, ſie iſt zutraulich wie ein Kind, obwohl fie ſchon dreißig Jahre alt fein ſoll. Wie traurig, daß ich die kaum gewonnene Freundin ſo bald wieder verlieren werde! Das Schlößchen iſt verkauft, und Blanka nur hergekommen, um ihre Zelte abzubrechen. 16 8. Auguſt. Es iſt merkwürdig bei uns ſeit der Anweſenheit Blankas. Sie kommt oft zu mir, möchte mit mir al⸗ lein ſprechen. Ja! ob Albrecht und Emilie uns auch nur einen Augenblick verließen! Ich werde bewacht und behütet ... man könnte es nicht anders treiben, wenn Blanka der böſe Feind wäre, der auf mein Verderben ſinnt. Ich bin nicht mißtrauiſch, es ge⸗ ſchieht aber alles, um mich dazu zu machen. 226 17 10. Auguſt. Blanka muß einmal eine große Enttäuſchung er- litten haben, ſie ſpielt oft darauf an. — Es gibt keine Treue in der Welt! ſagte fie heute, und Emilie er- widerte: Das Gegenteil zu beweiſen, ſteht jedem frei. Er übe Treue, und ſie wird in der Welt ſein. Dabei leuchteten ihre Augen. Aber Blanka hielt den Blick aus (der mich blinzeln macht wie ein Blitz) und lä⸗ chelte nur und ſprach: Die Lehre mache ich mir zu- nutze. Ich führe meine Vorſätze treulich aus. Sie glauben doch nicht, daß ich hergekommen bin, um Ge⸗ rümpel einpacken zu laſſen? Ich bin gekommen, um Gericht zu halten, und das wird geſchehen. — Nun lächelte auch Emilie, aber etwas ſäuerlich. — Gericht halten, oder denunzieren? — Wie Sie wollen. — Bei derlei Affären erweiſt der Denunziant ſich oft als Mitſchuldiger. — Wer weiß, vielleicht iſt ihm alles, ſogar die Begeiſterung der Unſchuldigen und Reinen, feil um die Wolluſt der Rache Das ſind kindliche Reden, aber die Damen führen ſie mit einem Nachdruck, als ob hinter jedem Wort eine Armee von Gedanken verſteckt wäre. s · 227 » 18 12. Auguſt. Habe ich Dir ſchon erzählt, daß Blanka ein Ver⸗ gnügen darin findet, meinen Mann zu necken? Mich wundert nur, daß ſie den Mut dazu hat. Ja, ſie neckt ihn mit feiner... feiner zeitweiligen, kleinen Gedächt⸗ nisſchwäche. Sie behauptet auch, er hätte eine neue Orthographie erfunden. Beim Ordnen verſchiedener Papiere (vermutlich ihres Mannes) iſt ſie auf merk⸗ würdige Briefe gekommen, die fie mir zeigen will — wegen der Orthographie. Sie ſagt das ſo ſonderbar, ihre Art und Weiſe war ſo herausfordernd, ſchien Albrecht ſo peinlich zu berühren, daß es mich ver⸗ droß und ich ausrief: Nur her, mit dieſen Elaboraten! Ich will ſie ſehen! Ich habe ohnehin keine Ahnung von dem Stil meines Mannes, wir waren nicht ge⸗ trennt während unfres kurzen Brautſtandes, er ſchrieb mir alſo nicht. Mur her alſo! nur her! — Da fuhr er aber auf mit einer unbegreiflichen Heftigkeit. Und dieſe Heftigkeit, und ſeine finſtern, lauernden Mie⸗ nen .. . Ich liebe ihn ja unausſprechlich, wenn das aber ſo fortgeht, werde ich ihn noch mehr fürchten als lieben, und das, Mama, — das wird ein Unglück ſein. 228 19 15. Auguſt. Verehrte Schwiegermutter! Ich beſtätige mit ehrerbietigem Dank den richtigen Empfang der Korreſpondenzkarten meiner lieben Frau und habe Ihre gute Meinung daraus erſehen. Es iſt ſehr ſchlimm, denn ich weiß nicht, was ich tun ſoll, damit ſie nicht ſo vor mir erſchrickt, wenn ich vor ihr erſchrecke. Das Gewitter ſteht über meinem Hauſe, der Blitz wird gleich einſchlagen. Sie wiffen al- les, ich habe Ihnen pflichtgemäß alles eingeſtanden, bevor ich um Ihre Tochter, meine liebe Frau, bei Ihnen geworben habe... Meine Situation iſt auf das höchſte geſpannt — ſoll ich nicht abſpan— nen? — auch ihr alles eingeſtehen?! Sie wird mich verachten; raten Sie mir! Es wird alles geſchehen, nur mit Worten kann ich meine liebe Frau nicht täuſchen, genug ſchon, zu viel, daß es mit Vertuſchen geſchieht. Raten Sie mir!! 229 20 18. Auguſt. Lieber Schwiegerſohn! Die Frage, ob Sie alles geſtehen ſollen, haben Sie wohl nicht im Ernſt geſtellt, deshalb erſpare ich mir die Antwort darauf. Was das Täuſchen anbetrifft, ſo muß ich ſagen, wenn Sie es nicht können, ſo trach⸗ ten Sie es zu lernen, denn wie wollen Sie regieren, wenn Sie nicht täuſchen können? Und eine Frau nehmen, hat doch geheißen regieren wollen, ſeit die Welt ſteht. 21 20. Auguſt. Verehrte Schwiegermutter! Verzeihen Sie, Sie irren ſich. Ich habe es ernſt gemeint, das mit dem Geſtehen. Es iſt nicht ſo kurios, wie es ausſieht, weil ich weiß, daß „man“ nicht ruhen wird, bevor „man“ mich verraten hat. Aber weil Sie es ſo nehmen, werde ich ſchweigen. Möge ich es nie bereuen, aber ich werde es bereuen. Die Reue iſt etwas Schreckliches. Ich bin in ihren Krallen zum Feigling geworden. 230 Könnte übrigens auch auf einmal andere Saiten aufziehen; meine Schweſter hält mich ab, ſonſt hätte ich ſchon energiſche Maßregeln ergriffen. 22 22. Auguſt. Lieber Schwiegerſohn! Ihre Schweſter hat recht, energiſche Maßregeln ſollen Sie nicht ergreifen, ſondern in Gottesnamen, wenn man Sie verrät — ſonderbar! ich meine eher ſich — zugeben, daß Sie das Unglück gehabt haben, bei einer Kokette Glück zu haben, ſogleich jedoch hin⸗ zuſetzen, daß der Mann Rechenſchaft zu verlangen hat von der Vergangenheit ſeiner Frau, dieſe aber nicht von der ſeinen in bezug auf Herzensangelegen⸗ heiten. Auf Argumente laſſen Sie ſich, wenn ich Ihnen raten darf, nicht ein, das einzige: „Es war von jeher ſo“ ausgenommen, das allerdings ſchwach iſt; aber in dieſer Sache gibt es wenig ſtarke, und ſolange die ſchwachen gelten .. Wir wiſſen von den meiſten Münzen, daß ſie den Wert, den ſie anzeigen, nicht beſitzen — da ſie jedoch allenthalben für denſelben angenommen werden... Sie verſtehen mich. e 23 22. Auguſt. Alles gut, mehr als guf. Wir waren im Schlöß⸗ chen, um Abſchied zu nehmen, Emilie und ich. Al⸗ brecht hatte verſprochen uns nachzukommen, erſchien aber nicht. Er hat wieder furchtbar viel zu tun, dachte ich, und entſchuldigte ihn auch damit bei Blanka. Statt deſſen — wir ſind noch gar nicht lange auf der Rückfahrt begriffen, und wen erblicke ich? ... Nie⸗ mand anders als meinen Herrn Gemahl, der am Wege ſteht und nach uns (wäre ich ganz aufrichtig, ich ſagte nach mir) auslugt, hoffend und harrend wie eine männliche „Spinnerin am Kreuz“. Wir kommen in ſeine Nähe, er ſpringt in den Wagen, ſieht erſt Emilie an, die ihm wie beruhigend zunickt, und dann mich und ſagt freudig: Alſo wieder da! Alſo glück⸗ lich wieder da! als ob ich unverſehrt aus der Schlacht, oder von einem Ausflug zu den Menſchenfreſſern, heimgekehrt wäre. Was haſt du denn gefürchtet? fragte ich, der Weg iſt ja gut, und die Pferde ſind ſicher. Da nahm er meine Hände in die ſeinen und ſprach das geflügelte Wort: O mein Herz — lieben heißt fürchten! 232 24 23. Auguft. Sie iſt fort, leider fort, wie eine liebliche Erſchei— nung aufgetaucht und wieder verſchwunden. In der zwölften Stunde erwachte Albrechts Gewiſſen, und er fuhr nach der Eiſenbahnſtation, um Blanka ins Coupé ein Lebewohl nachzurufen. Er hat einen weiten Weg und kann vor abends nicht zurück ſein. Emilie iſt zu Hauſe geblieben. Ach, liebe Mama, ſie glauben, ich merke nichts, während ich mich im ſtillen königlich ergötze an allen ihren Schlichen! Albrecht iſt nicht nach der Station gefahren, weil ihn danach verlangt, ſich bei Blanka zu empfehlen, ſondern weil er ſich überzeugen will, ob ſie auch wirklich fortreiſt. Emilie ſpaziert nicht zu ihrem Vergnügen längs der Terraſſe auf und nieder, ſondern um wie eine Schildwache zu patrouillieren. — — — Und während alle dieſe weiſen Vorſichts— maßregeln getroffen werden, iſt das, was ſie verhüten ſollen, — geſchehen. Die Briefe Albrechts ſind in meinen Händen. Ich habe ſie! Ich habe ſie! Emilie ruft, ich will zu ihr. Lebe wohl für jetzt. Mit der Nachmittagspoſt ſchicke ich noch eine Karte. 233 25 23. Auguſt, nachmittags. Wie ich zu den Briefen kam, mußt Du hören. Ein kleiner Junge brachte mir ein Körbchen, gefüllt mit herrlichen Roſen. — Wer ſchickt das? fragte Emilie. — Der geiſtliche Herr. — Ja fo! Nichts ein⸗ leuchtender. Wir waren neulich vor dem Garten des Pfarrers ſtehengeblieben und hatten ſeine Zentifolien bewundert, und lauter Zentifolien waren es, die, nach⸗ läſſig hineingeworfen, das Körbchen füllten. Ich freue mich, trage die Blumen in mein Zimmer, um ſie in Waſſer zu ſetzen, und ſiehe da, unter ihnen ver⸗ borgen liegt ein Zettel und ein verſiegeltes Päckchen. Den Zettel ſchreibe ich Dir ab: Die Auslieferung dieſer Papiere an Sie koſtet mich viel — Ihre gute Meinung. Je nun — ich bezahle den Preis, heimſen Sie den Vorteil ein. Das Leben überhaupt, die Ehe insbeſondere, iſt ein Kampf. Hier ſind Waffen. Blanka. Im Augenblick, in dem ſie für immer von uns ſcheidet, findet ſie noch die Stimmung zu einem etwas boshaften Scherz. Er beweiſt allerdings eine ſtarke Seele, und was ſie da ſchreibt, iſt ja recht geiſtreich; aber ein einfaches warmes Abſchiedswort wäre mir doch lieber geweſen. 234 · F ̃ ! — . DEE . , Ö AE N nn 26 24. Auguſt. Meine geliebte Mutter! Heute muß es ein Brief ſein, und heute mußt Du es mir verzeihen. Ich erzähle von Anfang an, obwohl nur das Ende intereſſant iſt. Albrecht kam geſtern erſt nach neun Uhr zurück. Er hatte den Wagen vor dem Hoftor halten laſſen und war ſchon ins Haus geeilt, während ich am Fenſter ſtand und mich fürchtete, weil ein ſchweres Gewitter aufſtieg. Da öffnet ſich die Tür, und Albrecht ſtürzt herein. Ich erſchrecke, ſtoße einen Schrei aus, und — er ſchreit auch: Was iſt? Was gibt's? Was haſt du!... Sieht ſich im Zimmer um, ſieht alles mit einem Blick, auch die Roſen, die neben der Lampe auf dem Tiſche ſtehen, und ich, weil fein verſtörtes Weſen mich ängſtlich macht, plumpſe ſogleich heraus: Blanka hat ſie geſchickt, deine Briefe lagen dabei. Er zuckte zuſammen wie ein verwundeter Hirſch, ſprach kein Wort und fuhr mit beiden geballten Fäu⸗ ſten nach dem Kopf. Albrecht! Albrecht! rief ich, wie unrecht von dir, wie ſchrecklich unrecht! — Nicht wahr? ... Er ſtöhnte nur ſo, und ich weiß ſelbſt nicht, wie es kam, daß ich nicht in Tränen ausbrach über ſeinen Schmerz, ſon⸗ 235 dern — freilich mit ſehr beklommener Stimme — ſagen konnte: Wie unrecht, daß du Geheimmiſſe vor mir haben, dich mir nicht zeigen willſt, wie du biſt, mit deinem guten und braven Charakter und mit dei⸗ ner mangelhaften Orthographie! Du ſpotteſt, preßte er mühſam hervor, und ich enf- gegnete: Dich verſpotten, weil du nicht Zeit hatteſt, hinter den Büchern zu hocken? Ein Mann wie du, der Beſſeres zu tun hat! O Lieber! warum mich täu— ſchen wollen? Was liegt denn mir daran, ob du glaubſt, daß die Inſter im Naſſauiſchen entſpringt, und daß Katharina von Medicis die Frau Peters des Großen war? Wenn du nur das ſicher und ge— wiß weißt und feſthältſt und nie vergiſſeſt, daß ich deine einzige Freundin und Vertraute bin und ſein muß... — Auch ſein willſt? unterbrach er mich und ſchnappte nach Luft. — Willſt? ... Hab' ich da noch zu wollen? Bin ich nicht deine Frau? Und er: Das jetzt? Jetzt — nachdem du gelefen haft — — er deu- tete nach dem Päckchen und zitterte, wahrlich, der ganze Mann zitterte, und es war ſein Glück, ſonſt wäre ich ernſtlich und unbarmherzig böſe geworden. Aber weil er gar ſo beſchämt und reuig ausſah, ſagte ich nur ein wenig vorwurfsvoll: Geleſen? ... Al brecht? wie kannſt du das glauben? So haſt du nicht? ... haſt nicht?. Überzeuge dich, ob das Siegel unverſehrt iſt, gab 236 · ich, und diesmal recht trocken, zur Antwort und ſteckte ihm die Briefe in ſeine Bruſttaſche —. Und in Zu— kunft halte es nie mehr für möglich, daß ich wiſſent— lich etwas fue, das dir unlieb ift... Nun kommt das Intereſſante! und daran werde ich denken, ſolang ich lebe. Statt aufzufahren über meine harten Worte, wie ich erwarten mußte, ſtatt deſſen — — Liebe Mutter, nie hat er vor mir ge— kniet, nicht als Bräutigam, nicht in der erſten Flitter⸗ woche ... In dem Augenblick aber — bevor ich mich beſann, bevor ich's hindern konnte — da lag er zu meinen Füßen, mein beſter Mann, mein teurer Herr, und faltete ſeine Hände wie ein Betender. In ſeinen Augen glänzten große Tränen, und er rief und er flüſterte mit lautem Jubel, mit ſtillem Entzücken: O mein Weib! mein Kind! „237 Nachwort — 1 klein iſt die Zahl der deutſchen Schriftſtellerinnen, die es im Reiche echter Kunſt den Männern gleichgetan haben. An ihrer Spitze ſteht Marie Freifrau von Ebner⸗ Eſchenbach, geboren am 13. September 1839 auf dem Schloſſe ihres Vaters, des ſpäteren Grafen Dubſky, zu Zdislavic in Mähren. Ihre Mutter, eine ſächſiſche Ba- ronin, ſtarb nach der Geburt Mariens, und der Vater heiratete noch zweimal. Das ſchwache Kind wurde von den Stiefmüttern und der ganzen Familie zärtlich betreut. Sie war trotz ihrer Kränklichkeit ein ſehr fröhliches Ge- ſchöpf von lebhafter Auffaſſungsgabe, voll Wahrheits⸗ liebe und Mitleid für alle Unterdrückten, ſo poeſiebegabt, daß in ihr bald das Bewußtſein der Berufung zur Dich⸗ terin erwachte. An ihrem 13. Geburtstag gelobte ſie ſich, das deutſche Theater zu reformieren. Sie glaubte, dazu beſtimmt zu ſein, der Shakeſpeare des 19. Jahrhunderts zu werden, und war, wie ſie ihrer Erzieherin erklärte, ent⸗ ſchloſſen, entweder nicht zu leben oder die größte Schrift⸗ ſtellerin aller Völker und Zeiten zu werden. Als Back⸗ fiſch dichtete ſie Epen aus der römiſchen Geſchichte, dra- matiſierte engliſche und franzöſiſche Romane. Als die Ge— dichte der Siebzehnjährigen Grillparzer vorgelegt wurden, 241 urteilte er: „Unverkennbare Spuren von Talent. Ein höchſt glückliches Ohr für den Vers, Gewalt des Ausdrucks, eine vielleicht auch nur allzu tiefe Empfindung, Einſicht und ſcharfe Beurteilungsgabe in manchen der ſatiriſchen Ge— dichte bilden ſich zu einer Anlage, die Intereſſe weckt und deren Kultivierung zu unterlaſſen wohl kaum in der eige⸗ nen Willkür der Beſitzerin ſtehen dürfte.“ Marie heiratete im Revolutionsjahre 1848 ihren Vet⸗ ter, den Baron Moritz von Ebner⸗Eſchenbach, und blieb mit ihm in fünfzigjähriger, kinderloſer Ehe aufs glück⸗ lichſte vereint. Er war ein hervorragender Ingenieur und ebenfalls ein begabter Dichter. Acht Jahre wirkte er als Profeſſor an der Ingenieur-Akademie in Kloſterbruck, und in dieſer Zeit reifte das Talent Mariens aus. Als das Ehepaar 1856 nach Wien zurückgekehrt war, erſchien als erſtes gedrucktes Werk die feine Humoreske „Aus Fran⸗ zensbad, ſechs Epiſteln von keinem Propheten“, uud 1860 brachte Eduard Devrient ihr Drama „Maria Stuart in Schottland“ in Karlsruhe auf die Bühne. Otto Ludwig widmete dieſem Drama in feinen „Shakeſpeare-⸗Studien“ eine ausführliche Kritik, die bei manchem Tadel die poeti⸗ ſchen Vorzüge anerkannte. Sie bewirkten es, daß das Werk der Dichterin neben Hebbels „Nibelungen“ für den Schillerpreis vorgeſchlagen wurde. Eine lange Reihe anderer Dichtungen für die Bühne folgte. Aber kaum eine gelangte trotz allem Bemühen ans Rampenlicht, und als 1873 das Schauſpiel „Das Wald⸗ fräulein“ abgelehnt worden war, wurde die Dichterin für immer von der Luſt, für das Theater zu arbeiten, geheilt. 242 Wie bitter fie den Verzicht auf das Schaffen in der drama— tiſchen Form empfand, das hat fie in einer ihrer erſten Er- zählungen einen kleinen Kanzliſten ausſprechen laſſen. All⸗ jährlich reicht er dem Burgtheater eine Tragödie ein, im⸗ mer wieder wird er zurückgewieſen: „Es war nur eine lange Kette von niedergehaltenen Empfindungen, nur ein unterdrückter Schrei. Ein ſtillſchweigendes Verzichten, ſo lange geübt, bis ſich im fortwährenden Selbſtbeſiegen ſo— gar die Kraft des Wunſches abgeſtumpft. Eine Reihe fehl— geſchlagener Hoffnungen, über die niemals eine Klage ſich ſeinen Lippen entrang. Um ihn, wohin er blickte, der Sieg der Mittelmäßigkeit, der Parteilichkeit.“ Gleich ihrem Andreas Mut entſagte die Dichterin de- mütig, ſtarkmütig, ohne Groll. Sie wurde zu der großen Erzählerin. Ein Menſchenalter hindurch zierten faſt alle ihre Romane und Novellen die „Deutſche Rundſchau“, damals die erſte deutſche Zeitſchrift, und ohne Wider⸗ ſpruch wurde ihr Name neben den Meiſtern jener Blüte⸗ zeit der deutſchen Novelle, einem Gottfried Keller, Storm, Raabe, Heyſe, genannt. Überall geht ſie vom Erlebten aus und ſtellt es in ſchlich⸗ ter Anſchaulichkeit dar. Den Stoff ſchöpft ſie mit Vor⸗ liebe, gleich ihrem großen Vorbild, dem Ruſſen Turgen⸗ jew, aus den drei Bezirken ihres Erlebens: den Jugend⸗ eindrücken, der mähriſchen Heimat, dem Wien der Gegen⸗ wart. Jedes dieſer Schaffensgebiete meiſtert fie mit glei⸗ cher Kraft. Im „Gemeindekind“ läßt ſie den Sohn des Mörders, der beim Gemeindehirten als Tunichtgut und Dieb zu verkommen droht, zum lebenstüchtigen Manne 243 · 2 heranreifen, und im Hintergrund erfcheinen in lebendigſter Zeichnung Mariens Schloß Soleſchau und die Groß⸗ bauern, die Häusler und Holzknechte der Umgebung. In „Unſühnbar“ wird ebenſo glänzend ein Hätſchelkind des Glückes aus der Wiener Ariſtokratie in ihrer vom Schickſal auferlegten Buße gezeichnet, neben ihr ſolche ſcharfgeſehene Geſtalten wie die urgeſunde, nüchtern bos- hafte Gräfin Dolph, die kleine urwieneriſche Fee, die fe— ſchen Sportladies. Die große Novelle „Glaubenslos?“ ſchildert die Tra⸗ gödie des Gefühlsmenſchen, der als Prieſter die feſte Stütze des Dogmas verliert und keine Kraft findet, ſein Leben von neuem aufzubauen. Unter den zahlreichen Erzählungen kleineren Umfanges ſtehen die in dieſem Bande vereinten „Dorf- und Schloß⸗ gefchichten“ mit an erſter Stelle. Sie ſtammen aus den achtziger Jahren, der Reifezeit, und ſchwerlich wird man unter den Werken der Dichterin und denen ihrer ganzen Generation Novellen nennen können, die dem „Kreisphy⸗ ſikus“ oder „Krambambuli“ durch Gehalt oder Form über⸗ legen wären. Als ein neues Literatengeſchlecht voll Verachtung gegen die alten ethiſchen und äſthetiſchen Normen heraufkam, als es ſchien, daß alle vornehme Kunſt, alles ſorgſame, auf erworbenem Können beruhende Schaffen einer ge- wiſſenloſen Schmutzmalerei weichen müßte, da erhob Ma⸗ rie von Ebner⸗-Eſchenbach in der Novelle „Bertram Vo⸗ gelweid“ ihre Stimme gegen dieſe falſchen Ibſenianer und Nietzſcheaner, ähnlich wie ihr gleich ariſtokratiſcher 244 Geſinnungsgenoſſe Wildenbruch in feinem Roman „Ge: miramis“ und in feinem Spiel „Das heilige Lachen“. Unbeirrt und ungeſchwächt ſchuf ſie fort, mit immer wachſender Lebensweisheit, Menſchenliebe und Duldung, wie das am ſchönſten die köſtliche Sammlung ihrer „Apho— rismen“ bezeugt. Kein Altern war in ihren Spätwerken ſpürbar, mochte ſie auch ſelbſt einen der letzten Bände ſcherzhaft „Altweiberſommer“ betiteln. Mit 86 Jahren ſchrieb ſie noch die liebenswürdigen Erinnerungen an Grillparzer nieder, ſo warm und ſo leuchtend wie je, und aus ihrem Nachlaß traten noch 1923 gedankenſchwere, gefühlstiefe „Letzte Worte“, herausgegeben von Helene Bucher, hervor, lange nachdem die ſeltene Frau am 12. März 1916 in Wien dahingeſchieden war. 245 - Inet Dorf⸗ und Schloßgeſchichten Vorwort Der Kreisphyſikus Jakob Szela Krambambuli Die Reſel 6 Die Poeſie des 1 Neben in Kor⸗ reſpondenzkarten Nachwort Seite . — Ebner⸗Eſchenbach Sämtliche Werke 12 Ganzleinenbände jeder Band M. 3.50 12 Halblederbände jeder Band u. 5.25 Inhalt Band 1: Das Gemeindekind / Miterlebtes Band 2: Glaubenslos? / Unfühnbar Band 3: Bozena / Neue Erzählungen Band 4: Dorf» und Schloßgeſchichten / Neue Dorf⸗ und Schloß⸗ geſchichten / Zwei Komteſſen Band 5: Das Schaͤdliche / Die Totenwacht / Aus Spätherbſttagen Band 6: Arme Kleine / Stille Welt Band 7: Die unbeſiegbare Macht W Brand Band 8: Lotti, die Uhrmacherin / Agave / Margarete Band g: Genrebilder / Ein kleiner Roman Band 10: Alte Schule / Drei Novellen / Bertram Vogelweid / Ohne Liebe Band 11: Parabeln und Märchen / Gedichte / Aphorismen / Prin⸗ zeſſin Leiladin / Hirzepinzchen / Erzählungen Band 12: Altweiberſommer ee einem zeitloſen Tagebuch / Die Prinzeſſin von Banalien / Meine Kinderjahre / Meine Erinnerungen an Grillparzer / Am Ende Die Romane und Novellen von Marie von Ebner⸗Eſchenbach zählen zu den unterhaltendſten, wertvollſten Gaben deutſcher Erzählerkunſt und die geſamte deutſche Leſerwelt verehrt in ihr die größte deutſche Dich⸗ terin, die weder eine ihrer Bedeutung gleichkommende Vorgängerin noch bisher eine Nachfolgerin gehabt hat. In ihrer Bedeutung kann man ſie am beſten mit Gottfried Keller vergleichen, mit dem ſie das wunderbar klare Auge und die reich ausgebildete Erzählungskunſt ge⸗ meinſam hat. Marie von Ebner⸗Eſchenbach, von der Adolf Bartels in ſeiner deutſchen Dichtung der Gegenwart ſagt, daß ein Goethe an ihr ſeine Freude gehabt haben würde, wird mit Recht in die Reihe der unfterblichen deutſchen Klaſſiker geſtellt. HAFIS-LESEBÜCHEREI In Halbleder gebunden M. 2.50 Die Hafis-Leſebücherei will Millionen von Leſern die Möglichkeit geben, eine Auswahl des Beſten aus dem Schrift⸗ tum aller Zeiten und Völker zu genießen und ihr Eigen zu nennen. Sie bietet eine große Zahl von ſchönen, dauerhaften Bänden auf gutem Papier und im ſtattlichen Umfang von etwa 300 Seiten zu dem Preiſe von 1 Mark 30 Pfennig für den Leinenband, 2 Mark 50 Pfennig für den Halblederband. Etwas Gleichartiges war nie zuvor erreichbar, auch nicht zu der Zeit, als Bücher weit wohlfeiler als heute hergeſtellt werden konnten. Nur unter der Bedingung iſt eine ſolche Leiſtung möglich, daß dieſe Bände in gewaltigen Mengen gedruckt werden und in faſt jedes deutſche Haus gelangen. Die Herausgeber ſind überzeugt, daß dieſe Hoffnung ſich erfülle. Unzähligen, die bisher des Preiſes wegen ſolche Schätze nicht erwerben konnten, müffen dieſe Bücher bald zum koſtbaren Beſitztum werden. / Nichts Wertloſes wird hier erſcheinen. Hohe Kunſt und gute Unterhaltung ſollen gleichmãßig berüdfichtigt werden und jedes, auch das Werk mittleren Ranges, ſoll ſich in muſtergültiger Geſtalt darbieten. Dafür bürgt eine in volkstümlichen Samm⸗ lungen bisher noch nicht übliche, gewiſſenhafte Prüfung des Wort⸗ lautes durch erfahrene, wiſſenſchaftlich geübte Literarhiſtoriker ſowie die neu hergeſtellten guten Überſetzungen der fremd⸗ ſprachigen Schriftwerke. Auch das Äußere entſpricht in einer bisher unbekannten Weiſe durch Anmut und guten Geſchmack, durch leicht lesbare, ſchöne Druckſchrift und gefälligſoliden Einband den Anſprüchen heutiger Buchkunſt in hohem Maße. HAFIS-LESEBÜCHEREI Band 1 Alexis, Hoſen des 5 von Bredow 2 Anzengruber, Sternſteinhof 3 un Friedemann Ba 11 Immermann, Oberhof 12 Scheffel, Trompeter von Säkkingen 13 Mörike, Novellen und Märchen 14 Balzac, Eugenie Grandet 15 Goethe, Werthers Leiden 16 Heine, Buch der Lieder 17 Hölderlin, Hyperion, Gedichte 18 Poe, K . 19 Zola, Ein Liebesblat 20 Dickens, Welhnachtsgeſchichten 21 Goethe, Fauſt 22 Schiller, Gedichte 23 Hoffmann, Elixiere des Teufels 24 Richard Wagner, Ring des Nibelungen 25 Eichendorff, Aus dem Leben eines Taugenichts — Marmorbild 26 de Coſter, Vlämiſche Legenden 27 Mark Twain, Humoresken 28 Gobineau, Aftatifche Novellen 29 Ranke, Don Carlos — Savonarola — Die großen Mächte 30 es. Neuſahrszeit im Paſtorat 31 Schücking, Die Marketenderin von Köln 32 Almgviſt, Der Juwelenſchmuck d. Königin 33 Droſte⸗Hülshoff, Judenbuche — Gedichte 34 Leſſing, Minna v. Barnhelm — Emilia Galotti — Nathan der Weiſe 35 Marlitt, Das Geheimnis d. alten Mamſell 36 Brentano, Aus der Chronika eines fahren⸗ den Schülers — Märchen 37 Weber, Dreizehnlinden 38 Jean Paul, Schulmeiſterlein Wuz — k 5 * — Dr. Katzen⸗ 39 Auſſiſche Novellen Ri — 1—70 in Halbleder gebunden M. 2.50 40 Shaleipeare, Romeo und Julia — Hamlet — Othello 41 Otto Müller, Stadtſchultheiß v. Frankfurt 42 Stifter, Bunte Steine 43 Keller, Das Sinngedicht 44 Reuter, Ut mine Feſtungstid u. a. 45 Tillier, Mein Onkel Benjamin 46 Nibelungenlied 47 Hebel, Schatzkäſtlein 48 Treitſchle, Oeutſche Lebensbilder 49 Jacobſen, Frau Marie Grubbe 50 Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray 51 Walter von Molo, Im Titanenkampf 52 Goethes Briefe an Charlotte v. Stein 53 Steinitzer, Die Bezwinger der Alpen 54 Kraemmer, Cupido, Humoriſt. Roman 55 Schleich, Erlebtes Erdachtes - Erſtrebtes 56 Riehl, Muſiker⸗Geſchichten 57 Stevenſon, In der Südſee 58 Küchler, Die kleine Magd u. a. Erzähl. 59 Dtto Flake, Erzählungen 60 Lamb, Shakeſpeare⸗Novellen 61 Tolſtoi, Die Kreutzerſonate 62 Merimee, Carmen und andere Novellen 63 Ebner⸗Eſchen bach, Dorf⸗ und Schloß⸗ geſchichten 64 Zobeltitz, Friedel halb⸗ſüß 65 Puſchkin, Erzählungen 66 Speyer, Nachtgeſichte, Erzählungen und Viſionen 67 Freytag, Erinnerungen aus mein. Leben 68 Tſchechow, Ruſſiſche Erzählungen 69 Fichte, Reden an die deutſche Nation 70 Wildenbruch, Semiramis 71 Meyer, Jürg Jenatſch 72 Meyer, Der Schuß von der Kanzel — Die Hochzeit des Mönchs 73 Fontane, Irrungen Wirrungen 74 Witkowski, Richard Wagner in Paris 75 Büchner, Sämtliche Dichtungen 76 Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde 77 Balzae, Die 2. von dreißig Jahren 78 Abbé Prévoſt, Manon Lescaut 79 Nanſen, Eine glückliche Ehe 80 Johannes V. Jenſen, Dolores Fedor von Zobeltitz Aus ge wä hte Ro m game Haf is 10 Ganzleinenbände jeder Band M. 3.50 Ausgabe 10 Halblederbände jeder Band K. 5.25 al Band 1: Die Glücksfalle Band 6: Das Geſchlecht der Band 2: Der Beutezug der Liebe Schelme Band 3: Das Fräulein und der Le⸗ Band 7: Beſſer Herr als Knecht vantiner Band 8: Der Herr Intendant Band 4: Die Spur des Erſten Band g: Die Hetzjagd Band 5: Die Entthronten Band 10: Der Herd in der Fremde Foo von Zobeltitz, entfproffen jenem märkiſchen Uradel, der einft den eingewanderten Hohenzollern Trotz bot, geboren auf Spiegelberg, dem alten Sitz ſeines Hauſes, hat bald die gleichſam angeſtammte Offiziers⸗ uniform ausgezogen und dem Triebe nachgegeben, mit der Feder lebens⸗ volle, durch glückliche Erfindungs⸗ und Geſtaltungsgabe ausgezeichnete Bilder feiner Welt zu geben. Mit offenen Augen, mit freier, gütiger Geſinnung erfaßte er Menſchen und Dinge, nicht nur in der Heimat, wo er ländliches Leben und Berliner Treiben gleich meiſterhaft zu ſchildern wußte, auch auf weiten Reiſen, die den Wanderfrohen immer wieder in neue Länder führten rings um den Erdball. Er wurde zu einem der anregendſten, liebenswerteſten Romanſchriftſteller und gewann eine noch immer wachſende Gemeinde begeiſterter Leſer. Nunmehr hat der Siebzigjährige, in friſcher Kraft Schaffende ſich entſchloſſen, zehn feiner glänzendſten Werke in von neuem durchgeſehener Geſtalt als geſchloſſene Reihe darzubieten. Man findet in ihnen eine Fülle ſcharf gezeichneter Geſtalten, farbiger Gemãlde aus Heimat und Fremde, großer und kleiner Schickſale ſpannendſter Art, alles übergoldet von dem Humor, der opti⸗ miſtiſchen Lebensanſchauung. Der deutſchen Hausbücherei wird damit ein ſehr wertvoller Zuwachs, den nach künſtleriſch geformter Unter⸗ haltung Verlangenden ein ſicher erfreulicher Beſitz dargeboten. I | I PT Ebner von Eschenbach, Marie, 1853 Freifrau D6 Dorf-und Schlossgeschich- > ten PLEASE DO NOT REMOVE SLIPS FROM THIS POCKET — ———ęV— gi:t:ᷣ. c —-᷑ — BI —— —— — UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY ge 800 o 80 0 IL 68 9 Wall SOd J1HS Av 39NV4 Q I M3IASNMOG IV As